Krieg

Hilfe in der Not

Vier bis fünf Stunden Schlange stehen. Für Ophir Cohen ist das eine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen. Er hat sich gemeinsam mit zwei Freundinnen in die Hunderte von Menschen eingereiht, die vor dem Einkaufszentrum Dizengoff Center stehen, um Blut zu spenden. Für die mehr als 2600 Verletzten in den Krankenhäusern im ganzen Land. »Wir alle sind zutiefst geschockt. Das Einzige, was uns jetzt irgendwie durch den Tag bringt, ist es, anderen zu helfen. Deshalb sind wir hier.«

In vielen anderen Städten im ganzen Land spielen sich ähnliche Szenen ab. In Jerusalem stehen Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen bis zu elf Stunden an, um bei der Aktion des Rettungsdienstes Magen David Adom im Pais-Arena-Stadion Blut zu spenden und Leben zu retten. Säkulare und ultraorthodoxe Israelis, christliche Pilger aus verschiedenen Ländern, russische, amerikanische und französische Einwanderer warten geduldig hintereinander in langen Reihen.

Unterstützung für Geflüchtete, Verletzte und Angehörige

In diesen schrecklichsten Tagen rückt Israel wieder zusammen. Als Reaktion auf den beispiellosen Terroranschlag der Hamas hat sich bereits wenige Stunden nach den schrecklichen Nachrichten eine spontane Welle der Unterstützung für die Geflüchteten, Verletzten, Soldaten und Angehörigen der Vermissten gebildet. Die verschiedenen Initiativen werden über soziale Medien geteilt.

Zu den Ersten, die noch am Samstag eine Hilfsaktion ankündigten, gehörten Organisationen, die eigentlich die Proteste gegen die Justizreform der israelischen Regierung organisieren. »In dieser schwierigen Stunde für unsere Brüder und Schwestern im Süden und die gesamte jüdische Nation setzen die Protestorganisationen ihre gesamte organisatorische Infrastruktur und ihre logistischen Fähigkeiten ein«, heißt es in einer Erklärung.

In Tel Aviv organisierte die Protestgruppe »Brothers and Sisters in arms« (Waffenbrüder und -schwestern) eine Lebensmittelaktion und Sammelstellen für Notwendiges. Hunderte Kartons, Taschen und Kisten stapelten sich binnen weniger Stunden. Die Reservistengruppe organisiert auch Fahrten in den Süden mit Geländewagen, um Einwohner aus den Gemeinden zu holen und in Sicherheit zu bringen – unter Raketenbeschuss. Sie alle tragen T-Shirts mit der Aufschrift: »Brothers to arms« – Brüder an die Waffen.

Eine, die noch am Samstag begann zu helfen, ist Amit Rose. Die Angestellte in der Tel Aviver Hightech-Firma »Walk Me« bekam über Freunde eine Nachricht von Familien, die dringend Artikel des täglichen Bedarfs benötigen. Sie schickte die Bitte weiter in die WhatsApp-Gruppe mit Kolleginnen und Kollegen und bot an, die Dinge persönlich bei den Spendern abzuholen und weiterzuleiten.

Im ganzen Land wird Blut gespendet. Die Menschen warten in langen Reihen.

Doch binnen einer Minute antwortete der Geschäftsführer des Unternehmens, Dan Adika: »Amit, kauf alles, was die Familien brauchen. Egal, was es kostet. Ich bezahle es.« Die 28-Jährige fuhr in den Supermarkt, lud es in ihr Auto und brachte es zu einer Verteilstation. »Walk Me« hat weltweit mehr als 1000 Angestellte, in Israel 400.

Es gibt verschiedene Gruppen, die derzeit dringend Unterstützung benötigen: Soldatinnen und Soldaten, die die Nordgrenze vor der Terrormiliz Hisbollah schützen, Soldaten, die in den südlichen Gemeinden kämpfen und die Grenze zu Gaza sichern. Und Menschen, die aus dem Süden flüchten und alles zurücklassen mussten. »Sie benötigen wirklich alles, was man zum Überleben braucht, von Unterkünften über Lebensmittel, Hygieneartikel, Decken, Taschenlampen bis zu Kleidung und vieles mehr«, weiß Rose.

Soldaten im Norden und Süden

Manche bräuchten auch Hilfe bei der Kinderbetreuung, weil die Väter in die Armee eingezogen wurden und die Mütter völlig überlastet oder emotional derzeit nicht in der Lage sind, sich um die Kinder zu kümmern. Außerdem müssten die Dinge zu den Soldaten in den Norden und Süden gefahren werden. »Und das sind oft sehr gefährliche Routen.«

Die junge Tel Aviverin ist zutiefst berührt von der Motivation ihrer Landsleute in diesen dunklen Tagen: »Einfach alle packen an, ohne Wenn und Aber, nutzen ihre Kontakte und Netzwerke, um festzustellen, wer was braucht und wie man es dorthin bringen kann.«

Binnen einer Stunde waren 100 Sandwiches fertig und wurden an die Soldaten geliefert.

Ein Beispiel: »Eine Kollegin postete, dass ihr Freund mit seinen Kameradinnen und Kameraden im Norden stationiert ist. Sie fügte eine Liste mit den Dingen hinzu, die sie brauchen. Ein anderer Kollege, der im Norden lebt, fuhr in den Supermarkt, kaufte ein und brachte es in die Basis. In zwei Stunden war alles bei unseren Soldaten. Kurz darauf schrieb jemand, dass 100 Sandwiches gebraucht werden. Die waren eine Stunde später fertig und wurden geliefert. So geht helfen!«

Ihre Firma »Walk Me« habe in zwei Tagen Hunderttausende von Schekeln ausgegeben. »Und dazu kommen Spenden aus den USA an, mittlerweile schon mehrere Zehntausend Dollar, und es geht immer weiter«, berichtet sie. »Es gibt praktisch kein Limit für die Summe, die zum Helfen eingesetzt wird.«

Das Geld sei sehr wichtig, betont sie. »Doch das, was über allem steht, ist die Bereitschaft der Israelis, in dieser Zeit einfach alles Menschenmögliche zu tun, um die Bedürftigen zu unterstützen.« Adika, ihr Chef, sagt dazu: »Alles ist so traurig, so unfassbar traurig. Aber wir werden das überstehen. Wir kommen zusammen und helfen. Ich habe in den vergangenen 24 Stunden das Schlimmste der Menschheit gesehen und auch das Beste.«

Waffenruhe

Trump warnt Hamas: »Ich beobachte das sehr genau«

Zwei Wochen nach Inkrafttreten der Waffenruhe befinden sich noch immer Leichen von Geiseln in Gaza. Trump droht nun der Hamas. Die sieht sich weiterhin als Machtfaktor

 26.10.2025

Tel Aviv

Rubio: Israel muss sich mit Gaza-Friedenstruppe wohlfühlen

Eine internationale Friedenstruppe soll im Gazastreifen für Sicherheit sorgen. Bei einem Besuch des US-Außenministers in Israel wird klar, dass es auch in dieser Frage Hürden zu überwinden gibt

 24.10.2025

Jerusalem

Marco Rubio über Gaza-Deal: »Wir machen gute Fortschritte«

Nach Vizepräsident Vance hat sich auch der US-Außenminister mit Ministerpräsident Netanjahu getroffen. Ihm zufolge hat der Friedensplan für Präsident Trump »oberste Priorität«

 24.10.2025

Meinung

Warum die UNRWA seit 77 Jahren den Frieden in Nahost blockiert

Das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser verursacht erhebliche Probleme. Daher gibt es nur einen Weg

von Jusek Adlersztejn  24.10.2025

Israel

Eingeschränkte Einsatzfähigkeit: Armee braucht dringend Geld

Laut Armeeführung reichen die aktuellen Bestände, Produktionskapazitäten und logistischen Reserven nicht aus, »um eine längere militärische Konfrontation zu tragen«

 24.10.2025

Geiseldeal

Israel: Hamas könnte zehn Geisel-Leichname übergeben

Die Terroristen nutzen die Waffenruhe israelischen Geheimdiensten zufolge bisher, um wieder aufzurüsten

 24.10.2025

Jerusalem

Saar bekräftigt Israels Unterstützung für Waffenruhe – und droht Hamas

Der israelische Außenminister wirft der internationalen Gemeinschaft »Heuchelei« vor. Sie kritisiere Israel, aber schweige zu Massenhinrichtungen der palästinensischen Terroristen

 23.10.2025

Ultraorthodoxe

Charedis vergleichen Wehrdienstverweigerer mit Hamas-Geiseln

Nach den Festnahmen von drei charedischen Männern werden die Plakate der verschleppten Menschen als Propaganda missbraucht

von Sabine Brandes  23.10.2025

Israel

»Es ist alles ein großes Wunder«

Die nach mehr als zwei Jahren in der Gewalt der Hamas freigelassenen Israelis berichten von bohrendem Hunger, Folter und religiösem Zwang – aber auch von unerschütterlicher Hoffnung

von Sabine Brandes  23.10.2025