Ran Gvili ist noch immer nicht zu Hause. Seit genau zwei Jahren und zwei Monaten wird der 24-jährige von der Hamas in Gaza festgehalten. Gvili, Mitglied einer israelischen Polizei-Spezialeinheit, wurde am 7. Oktober 2023 während des Hamas-Massakers in südlichen Gemeinden Israels gegen Terroristen getötet. Seine Leiche wurde nach Gaza verschleppt. Er ist die letzte Geisel im Gazastreifen.
Zum ersten Mal seit zwei Jahren fand am vergangenen Samstagabend keine Kundgebung zur Befreiung der Geiseln in Tel Aviv statt. Doch das Forum der Familien von Geiseln veröffentlichte eine Erklärung: »Die Rückkehr von bisher 27 gefallenen Geiseln beweist eindeutig, was wir gesagt haben: Die Hamas kennt den Aufenthaltsort von allen und nutzt die letzte Geisel – Ran Gvili – als Druckmittel.« Die Organisation fordert sowohl die israelische Regierung als auch die internationalen Vermittler auf, »darauf zu bestehen, dass Hamas ihre Verpflichtungen vollständig erfüllt«.
Schabbat-Mahlzeiten statt Demonstration
Das Familienforum fordert eine klare Linie: Die Waffenruhe dürfe nicht in die zweite Phase eintreten, bevor die sterblichen Überreste von Gvili an Israel überführt worden seien. Solange dies nicht geschehe, werde man die wöchentlichen Demonstrationen auf dem Platz der Geiseln aussetzen und stattdessen Freitagabends gemeinsame Schabbat-Mahlzeiten veranstalten – als symbolischen Akt des Zusammenhalts und des fortdauernden Drucks auf die Regierung.
Zur selben Zeit heißt es, dass die USA unter der Leitung von Präsident Donald Trump die Bekanntgabe der zweiten Phase ihres Gaza-Friedensplans vorbereiten. Nach Angaben aus Washington solle damit vor allem die fragile Waffenruhe stabilisiert werden.
Während die Demonstrationen für Solidarität mit den Geiseln endeten, begannen Proteste in verschiedenen Städten des Landes. Dabei ging es meist gleich um mehrere Themen: Vor allem stand um die Einsetzung einer unabhängigen staatlichen Untersuchungskommission in die Versäumnisse vor und während des 7. Oktobers auf der Tagesordnung.
Organisation Brothers in Arms: »Wir sprechen uns vehement gegen das Vorhaben der Regierung aus, charedische Männer vom Militärdienst zu befreien.«
Die Protestierenden machten ihrem Unmut aber auch gegen die Versuche der Regierung, die Justiz zu schwächen, sowie den neuen Entwurf zu einem Armeegesetz für ultraorthodoxe Männer Luft. Mitglieder die Reservisten-Protestgruppe »Brothers in Arms« (Waffenbrüder) erklärten an diesem Abend, »wir sprechen uns vehement gegen das Vorhaben der Regierung aus, charedische Männer vom Militärdienst zu befreien«.
In Tel Aviv versammelten sich mehrere Tausend Menschen auf dem Habima-Platz. Rednerinnen und Redner, darunter Angehörige von gefallenen Soldaten und von der Hamas ermordeten Zivilisten, forderten eine größere Regierungsverantwortung.
Maayan Sherman, Mutter des Soldaten Ron Sherman, der von Terroristen nach Gaza entführt wurde und wahrscheinlich durch einen IDF-Einsatz in Geiselhaft starb, verlangte nach einer Untersuchung und kritisierte das Gnadengesuch von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in seinem Korruptionsverfahren: »Niemand in diesem Land steht über dem Gesetz«, sagte sie und warf der Regierung in Jerusalem vor, »Israel am 7. Oktober im Stich gelassen zu haben und sich seither scham- und verantwortungslos« zu verhalten.
Auch in Haifa und Jerusalem kam es zu Protesten
Netanjahu hatte mehrfach betont, er wolle keine staatliche Kommission einsetzen, solange der Krieg noch andauere. Später argumentierte er, man könne dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs nicht zutrauen, einen unparteiischen Richter für den Vorsitz der Kommission zu ernennen.
In Tel Aviv mit dabei war auch die Organisatorin der Proteste, Shikma Bressler. Sie rief ins Megafon: »Wir sind das Volk. Wir alle können und müssen die Zerstörung der Demokratie und des Landes beenden und den Staat Israel zu einem Land wiederaufbauen, auf das wir alle stolz sein können: jüdisch, demokratisch, liberal, friedlich.«
Auch in Haifa und Jerusalem kam es zu Protesten. In Jerusalem demonstrierten Menschen vor der Residenz von Präsident Isaac Herzog und drängten ihn, dem Gnadengesuch von Netanjahu nicht stattzugeben.