Interview

»Finden Sie jemanden, dem Sie helfen!«

»Es tut uns Menschen nicht gut, wenn wir aufhören zu planen und zu hoffen. Das ist sehr schlecht.«: die Jerusalemer Psychotherapeutin Ephrat Havron Foto: privat

Interview

»Finden Sie jemanden, dem Sie helfen!«

Die israelische Psychotherapeutin Ephrat Havron über iranische Raketen und den Umgang damit

von Tobias Kühn  01.10.2024 19:31 Uhr

Frau Havron, der Iran hat Israel mit Raketen angegriffen. Wie gehen Sie und Ihre Patienten mit dieser akuten Gefahr um?
Der Stress war im vergangenen Jahr sowieso schon sehr hoch, aber diese Nachrichten vergrößern ihn natürlich noch. Viele Menschen haben jetzt noch mehr Angst als in den letzten Monaten schon, und manche ändern ihre Pläne. Die Menschen in Israel sind es gewohnt, sich ständig anzupassen. Aber es ist psychologisch gesehen eine Menge Arbeit. Man arbeitet immerzu daran, sich an die neue Situation anzupassen.

Das erfordert viel Energie.
Ja, es braucht Energie und es macht unsere geistige Gesundheit anfälliger.

Wie können Sie Ihre Patienten dabei unterstützen?
Ich denke, zuallererst durch Beständigkeit, also die Tatsache, dass ich nicht weggehe, keinen großen Urlaub mache. Die Patienten wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass ich da bin. Das ist das Wichtigste. Darüber hinaus gibt es viele Bewältigungsmechanismen: zum Beispiel Humor. Ja, wir lachen in meiner Praxis manchmal über diese unglaubliche Situation. Und ich versuche meinen Patienten das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Es hilft zu verstehen, dass es jetzt allen so geht. Wir sind Teil einer Gruppe. Das hat etwas Erleichterndes, glaube ich.

Wie wirkt sich die Gefahr jetzt so unmittelbar vor Rosh Haschana auf Ihre Patienten aus?
Die Ungewissheit ist für viele sehr belastend. Werde ich morgen Rosch Haschana feiern oder nicht? Es tut uns Menschen nicht gut, wenn wir aufhören zu planen und zu hoffen. Das ist sehr schlecht. Wir müssen auf etwas warten. Ja, wir müssen auf Rosch Haschana warten, wir müssen auf Weihnachten warten. Wir müssen auf irgendetwas warten. Auf einen Feiertag zum Beispiel. Das ist Teil des Wohlbefindens des Menschen. Man hat während der Covid-Pandemie sehen können, dass viele Menschen sich keine Hoffnungen mehr gemacht haben und deshalb niedergeschlagen, ja deprimiert waren. Viele spüren in solchen Situationen stärker Stimmungsschwankungen.

Und was macht das mit einem Therapeuten, einer Therapeutin?
Das sind sehr schwierige Zeiten für uns, denn wir sind ja auch Menschen. Ich behandle Personen, die in derselben Situation leben wie ich. Die Raketen fallen ja, wenn sie das denn tun, auf uns alle. Wir alle sind in Gefahr, wir alle sind gestresst. Doch wir Therapeuten müssen einen Weg finden, um dennoch für andere da zu sein, durchzuhalten. Das ist schwierig – aber es hilft auch sehr, wenn man eine Pflicht hat. Ja, dann ist es einfacher, denke ich.

Wie meinen Sie das?
Man erzählt, zum Dalai Lama sei einmal eine Frau gekommen und habe geklagt, dass sie sehr verletzt sei: Ihr Mann sei gestorben, und ihr Sohn sei gestorben, und sie sehe keinen Grund mehr zu leben. Der Dalai Lama sagte zu ihr, sie solle sich um sich selbst kümmern und jemanden suchen, dem sie helfen kann. Das war sein Satz: »Finde jemanden, dem du dienen kannst.« Ich glaube also, dass die Menschen, die sich in irgendeiner Weise um andere kümmern, jetzt in einer besseren Verfassung sind.

Das empfehlen Sie also Ihren Patienten in dieser besonderen Situation.
Ja, ich empfehle ihnen drei Dinge: Bleiben Sie so weit wie möglich in Ihrem normalen Alltag, in Ihren Routinen! Finden Sie jemanden, dem Sie helfen, um den Sie sich kümmern können. Das können ganz kleine Dinge sein: Schauen Sie nach Ihren alten Nachbarn. Klopfen Sie einfach an die Tür des Nachbarn und fragen Sie, wie es ihm geht. Sie werden sich besser fühlen! Und drittens: Behalten Sie so viel wie möglich von Ihrem Sinn für Humor! Trotz allem.

Mit der Jerusalemer Psychotherapeutin sprach Tobias Kühn.

Meinung

Einseitig, fehlerhaft, selbstgerecht

Die »International Association of Genocide Scholars« bezichtigt Israel des Völkermords. Die Hamas spricht sie von jeder Verantwortung für die Lage in Gaza frei. Eine Erwiderung

von Menachem Z. Rosensaft  05.09.2025

Nahost

Minister deutet Intensivierung des Einsatzes in Gaza an

Israel fordert die Freilassung aller Geiseln und eine Entwaffnung der Hamas, um den Gaza-Krieg zu beenden. Israel Katz droht den Terroristen, sollten sie sich darauf nicht einlassen

 05.09.2025

Gaza-Stadt

Armee: Hamas will Geiseln bei Evakuierung unter Zivilisten verstecken

Die Sorge wächst, dass die Hamas auch humanitäre Korridore missbrauchen könnte, um Geiseln in den Süden zu bringen

 05.09.2025

Gaza

Angeblich von der Armee getöteter Junge taucht wieder auf

Abdul Rahim Muhammad Hamdan, der laut einem Zeugen von israelischen Soldaten getötet wurde, lebt. Seine Familie wurde von der Hamas unter Druck gesetzt

 05.09.2025

Diplomatie

Israel: Kein Macron-Besuch ohne Kurswechsel Frankreichs

Warum Staatspräsident Macron in Israel derzeit offiziell unerwünscht ist

 04.09.2025

Ferdinand von Schirach

»Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören«

Der Jurist und Schriftsteller war zu Gast bei Markus Lanz - es war eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Sendung

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Treffen

Vatikan dringt auf Befreiung aller Geiseln und Zwei-Staaten-Lösung

Papst Leo XIV. hat den israelischen Präsidenten Isaac Herzog empfangen. Das Staatsoberhaupt lobte »die Inspiration und Führungsstärke des Papstes im Kampf gegen Hass und Gewalt«

von Almut Siefert  04.09.2025

Vatikan

Papst Leo XIV. empfängt Israels Präsidenten Herzog

Die Sommerpause des Papstes ist vorbei: Am Donnerstag empfing Leo XIV. Israels Präsidenten Herzog im Vatikan. Zuvor kam es zu Unklarheiten bezüglich der Vorgeschichte des Treffens

von Severina Bartonitschek  04.09.2025

Nahost

Geisel-Angehörige fordern Waffenruhe-Verhandlungen

Für die Geiseln läuft die Zeit ab. Angehörige fordern deshalb Marathonverhandlungen, bis ein Deal steht

 04.09.2025