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Exklusiv: »Die Zeit« begründet, warum sie Maxim Billers Text gelöscht hat

Der Autor Maxim Biller Foto: picture alliance/dpa

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Exklusiv: »Die Zeit« begründet, warum sie Maxim Billers Text gelöscht hat

Warum die Wochenzeitung einen Beitrag des Schriftstellers zum Verhältnis der Deutschen zu Israel depubliziert hat

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025 14:59 Uhr Aktualisiert

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In der aktuellen Printausgabe der »Zeit« findet sich auf Seite 44 ein Beitrag von Maxim Biller mit dem Titel »Morbus Israel«. Darin geht der Schriftsteller und Publizist mit seiner für ihn kennzeichnenden Schärfe mit den Deutschen und ihrer Haltung zu Israel und zum Nahostkonflikt hart ins Gericht.

»Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß«, schreibt Biller.

Die Deutschen seien »Täterenkel« und von einem schlechten Gewissen geplagt; in ihnen stecke »der ewige Opa und willige Wehrmachtsspieß«, so der Schriftsteller und Essayist weiter. Als ein Beispiel von mehreren nennt er den ZDF-Talkmaster Markus Lanz.

Dieser zeige beim Thema Israel »eine raubtierhafte Angriffshocke« und wolle »die Israelis als mittelalterliche Kindermörder und moderne Kriegsverbrecher überführen«. Einige seiner Talkshow-Gäste seien »leicht entflammbare Islamversteher«, die sich auf einem »pathologischen, psychisch bestimmt sehr belastenden Anti-Israel-Horrortrip« befänden.

»Strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza«

Den Verleger Jakob Augstein (»Freitag«) beschimpfte Biller als »selbsternannten Anti-Antisemiten«. Augstein sei eingeschnappt, weil »es seinen rachitischen, hochgebildeten Idealjuden nicht mehr gibt, der höflich vor der für ihn vorbereiteten Gaskammer ansteht. Oder sich von den iranischen Revolutionsgarden in Atomstaub verwandeln lässt.«

Seinen polemischen Rundumschlag beendet der Kolumnist mit einem Witz. Darin kommt ein israelischer Soldat zu einem Arzt und sagt, er habe keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Daraufhin erwidert der Arzt, der Soldat könne selbstverständlich mit dem Töten aufhören. Er fügt jedoch an: »Aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.«

Die Sprecherin der »Zeit«-Verlagsgruppe, Silvie Rundel, kritisierte auf Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen vor allem diesen Schlussabsatz. »Wir halten insbesondere den letzten Absatz sowie den Halbsatz ›die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza‹ für problematisch und nicht vertretbar.« Insgesamt hätte der Artikel deshalb so nicht erscheinen dürfen, sagte sie.

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Auf die Frage, warum der Text komplett von der Webseite der »Zeit« entfernt worden sei und nicht nur die von der Redaktion als problematisch erachteten Teile, sagte Rundel: »Wir hatten das Gefühl, dass die Streichung der Passagen alleine nicht ausreichend gewesen wäre und einen komplizierten Umbau des Textes nötig gemacht hätten, der so nur vor Veröffentlichung möglich gewesen wäre.«

»Schwere Panne«

Vorwürfe wollte die Verlagssprecherin Biller aber nicht machen; die Verantwortung für den Vorgang liege letzten Endes allein bei der Redaktion, sagte sie. »Es bleibt ganz allein unser Fehler, dass wir mit Maxim Biller vor Veröffentlichung nicht über mögliche Änderungen gesprochen haben. Dies war eine schwere Panne in unserem redaktionellen Prozess, die wir sehr bedauern.«

In den sozialen Netzwerken stieß Billers Polemik sowohl auf Zustimmung als auch auf scharfe Ablehnung. Die »Zeit«-Redaktion veröffentlichte daraufhin eine Erklärung, in der es heißt, mehrere Formulierungen hätten nicht den Standards der Zeitung entsprochen. »Unsere aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen. Wir haben den Text deshalb nachträglich depubliziert.«

Gefragt, warum die »Zeit«-Redaktion nicht auf die ihrer Ansicht nach problematischen Formulierungen eingegangen sei, antwortete Rundel, man kommuniziere die Gründe »auf Rückfrage sehr gern und offen«. Sie fügte an: »Da der Text durch die Depublikation nicht mehr digital zu lesen ist, erscheint uns dies das sinnvollste Vorgehen zu sein.«

Der Sprecher der Autorenvereinigung PEN Berlin, Deniz Yücel, sagte der »Berliner Zeitung«: Einen Text »zu depublizieren, also zu versuchen, ihn wieder aus der Welt zu schaffen, empfinde ich als hilflos«. Im digitalen Zeitalter lasse sich nichts aus der Welt schaffen. Dies sei auch »unsouverän«.

Man hätte eine oder mehrere Repliken organisieren oder darüber nachdenken können, ob eine weitere Zusammenarbeit sinnvoll erscheine, so Yüzel weiter. »Aber zu depublizieren! Das ist kein guter Stil.« Es sei auch nicht Aufgabe einer Chef­redaktion, sich öffentlich für Texte zu entschuldigen. »Sie muss das innerhalb der Redaktion klären, aber öffentlich zu ihren Autoren stehen.«

Der Schriftsteller Rafael Seligmann schrieb zu der Causa im »Cicero«: »Maxim Biller irrt, die Strategie des israelischen Gaza-Kriegs ist ärger als ein Verbrechen, sie ist ein Fehler. Unmenschlich ist Aushungern ohnehin. Doch das wollten die politisch Korrekten in ihrem rechtschaffenen Zorn nicht erkennen, obgleich Biller zumindest Letzteres schrieb. Sie haben den Autor beschimpft. Das ist ihr gutes Recht. Wir besitzen Meinungsfreiheit. Doch dass der Verlag davor sogleich einknickt und ›mehrerer Formulierungen‹ wegen den Beitrag Billers depubliziert, ist jämmerlich.«

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