Jerusalem

»Eine Schande für Israel«

Milorad Dodik ist Präsident der Srpska in Bosnien, eines von zwei politischen Teilgebieten des Landes Foto: picture alliance / PIXSELL

»Es ist nicht sehr bekannt, dass die Muslime Bosnien und Herzegowinas seit den Terroranschlägen vom 11. September eine große Verbindung… mit der arabischen Welt hatten.« Dies war der Anfang einer wirren Antwort, die Milorad Dodik auf die Frage des Reporters der »Jerusalem Post« am 27. März gab, warum er als Präsident der Republika Srpska (RS) auf einer Antisemitismus-Konferenz in Israel sprechen wollte.

Die Jerusalem Post unterstrich, dass Dodik selbst dieses Interview angefragt hatte. Die RS ist der serbisch dominierte Teil Bosniens, auf dessen Territorium während des Krieges über 99 Prozent aller Nichtserben entweder ermordet oder zur Flucht gezwungen wurden. 1992 hatten die serbischen Behörden in den von ihnen eroberten Gebieten sogar ein Netz von Konzentrationslager für Bosniaken und Kroaten eingerichtet, in denen Tausende starben, und weltweit Erinnerungen an die Shoa weckten. Nichtserben mussten auch – beispielsweise in der Gemeinde Prijedor – weiße Armbinden zur Erkennung tragen, analog zum »Judenstern« während der NS-Zeit.

Höhepunkt der serbischen Massenkriegsverbrechen war der Völkermord an 8372 Bosniaken, die in Srebrenica zwischen dem 11. und 22. Juli 1995 regelrecht abgeschlachtet wurden – übrigens mit der Teilnahme der Skorpione, einer Spezialeinheit aus Belgrad. Diesen ersten Genozid nach dem Holocaust auf europäischem Boden leugnet Dodik gebetsmühlenartig, obwohl er ihn im Fernsehen bereits 2008 zugegeben hatte.

Dodik will den Anschluss an Serbien

Dodik vergiftet somit das politische Klima, um ein Zusammenleben zwischen Serben und (muslimischen) Bosniaken unmöglich zu machen. Vergangenes Jahr behauptete er in einem Interview mit der Jerusalem Post, es hätte »nie ein friedliches Zusammenleben zwischen Palästinensern und Juden gegeben, so wie es hier, in Bosnien, zwischen Muslimen und Serbien nicht möglich ist.« Dodik versucht auf billige Weise Verbindungen zwischen Serben und Juden und deren Schicksal zu konstruieren, um deren Leiden für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Ziel ist es, die ca. 150.000 Bosniaken, die maximal 20 Prozent der RS-Bevölkerung ausmachen, zur Flucht zu bewegen, um eine Sezession der RS und deren Anschluss an Serbien einfacher zu gestalten.

Dies verfolgt er gemeinsam mit seinem Hauptverbündeten auf dem Balkan, dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić, dessen Volk seit Monaten gegen ihn protestiert. Die Vereinigung der RS mit Serbien ist das Fundament des Projektes der »Serbischen Welt«, in der alle Serben Ex-Jugoslawiens unter Belgrads Dach zusammenleben sollen.

Clique des Nationalisten wurde bereits 2017 sanktioniert

Zurück nach Israel: der Grund für Dodiks Teilnahme an der vom israelischen Diaspora-Minister Amichai Chikli organisierten Antisemitismus-Konferenz sind seine rechtlichen Probleme zu Hause. Er war Ende Februar vom bosnischen Staatsgericht verurteilt worden, wobei das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Da er dann weitere strafrechtlich relevante Sezessionsgesetze auf den Weg brachte, wurde er von der Staatsanwaltschaft vorgeladen, was er missachtete. Deshalb wird er nun per Haftbefehl in Bosnien gesucht, ein internationaler Haftbefehlt ist bei Interpol beantragt. Wenn sein Verhalten keine rechtlichen Konsequenzen hat, ist der Ausbruch eines neuen Krieges quasi vorprogrammiert.

Die USA hatten bereits während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps im Juli 2017 finanzielle Sanktionen gegen Dodik und seine Clique wegen Korruption und Separatismus erlassen. Diese Maßnahmen des Finanzministeriums wurden mehrmals verschärft und haben seinen Spielraum erheblich eingeschränkt. Deshalb versucht er immer wieder, sich bei Trump anzubiedern, was nicht funktionierte: Außenminister Marco Rubio und eine Reihe hochrangiger Republikaner und Demokraten, geführt vom einflussreichen Senator Chuck Gressley, schrieben kürzlich einen Brief an die US-Regierung, in dem sie schärfere Sanktionen und Maßnahmen gegen Dodik fordern. Grassley verglich erstmals Dodik mit seinem Vorgänger, dem wegen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteiltem Serbenführer Radovan Karadžić.

Dodik instrumentalisiert Judenverfolgung

Ganz so einfach, wie Dodik dachte, lassen sich Juden und Israelis nicht instrumentalisieren: die älteste jüdische Publikation, The »Jewish Chronicle«, titelte: »Einen Genozid-Leugner zu einer Antisemitismus-Konferenz einzuladen, bringt Schande über Israel«. Im Interview mit der Jerusalem Post beschwerte sich Dodik: »Ich bin nach Israel gekommen, um mich gegen Antisemitismus auszusprechen. Stattdessen fühlte ich mich unwillkommen – als Gast, der sich wie ein Eindringling fühlt.« Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte Dodik anscheinend nicht die erwartete Aufmerksamkeit geschenkt.

Dodik versuchte krampfhaft, eine historische Analogie zwischen der Judenverfolgung und der Situation der Serben während des Zweiten Weltkriegs zu konstruieren und zog sogar Parallelen in die Gegenwart: »Serben und Juden haben gemeinsam gelitten. Wir verstehen, was es bedeutet, ins Visier genommen zu werden, dass die Geschichte neu geschrieben wird, dass man für alles verantwortlich ist. Das ist es, was uns in Bosnien passiert, so wie es Israel in der Welt passiert.«

Dodiks ebenso verzweifelter Versuch, den Popanz eines »bosnischen Islamismus« aufzubauen, wird ebenso im Sande verlaufen. Die Muslime Jugoslawiens waren und sind für ihre Säkularität bekannt. 1492 flohen über 100.000 sephardische Juden vor der Verfolgung aus Spanien in Richtung Balkan, viele fanden in Bosnien Schutz. Die jüdische Gemeinde Sarajevos half während der serbischen Belagerung mit der Hilfsorganisation La Benevolencija allen Einwohnern, auch den orthodoxen Serben, den Muslimen und katholischen Kroaten.

Die EU muss bei der Verhaftung Dodiks helfen

Dodiks Rückflug nach Belgrad verlief problemlos, da Vučić ihn deckt. Und so konnte er auch diesmal wieder problemlos von Belgrad weiter nach Moskau fliegen, wo ihn der russische Präsident mal wieder empfängt, denn Serbien missachtet ungestraft die EU-Sanktionen gegen Russland, was dem Straftäter Dodik zu Gute kommt. Vučić verkündete, seine Regierung habe einen Brief an Interpol verfasst, um eine »Kompromisslösung« zu erreichen und drohte dann: »Wenn dies nicht geschieht, stehen wir kurz vor einer kompletten Katastrophe.« Vučić warnt regelmäßig vor »Katastrophen« im Falle einer Verhaftung Dodiks.

Die EU muss endlich handeln, und sollte den bosnischen Behörden Amtshilfe bei der Verhaftung Dodiks bei seiner Rückkehr gewähren, um den Frieden zu retten und auch seinen Hauptunterstützer Vučić sanktionieren. Immerhin hat Brüssel gerade wegen Dodiks initiierter Staatskrise die EUFOR-Friedenstruppe auf knapp 2.000 Soldaten aufgestockt. Die Zeitfenster zum Handeln schließt sich.

Der Autor forscht als Politikwissenschaftler zum ehemaligen Jugoslawien und zur US-Außenpolitik seit 1991. Als Kabinettschef und Sonderberater des Stellvertretenden Hohen Repräsentanten war er direkt an der Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton beteiligt. Außerdem war er als Oberstleutnant Einsatzberater der Bundeswehr für Auslandseinsätze.

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