Redezeit

»Ein wohlwollender Beobachter«

Foto: Stephan Pramme

Herr Sonne, Israel feierte am 19. April seinen 70. Geburtstag. Diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel bestehen seit 1965. Wie ist es um das deutsch-israelische Verhältnis bestellt?
Seit 1965 hat sich das Verhältnis stärker und intensiver entwickelt, als man es damals für möglich gehalten hätte. Es könnte allerdings noch viel besser sein. Natürlich gibt es deutliche Probleme, und die haben mit dem Kernproblem des Nahostkonflikts zu tun, nämlich: Wie geht es weiter mit der Zweistaatenlösung? Deutschland – wie auch der überwiegende Teil der Welt – beharrt darauf, dass es eine Zweistaatenlösung geben muss. Und beide Seiten, die Palästinenser und auch Israel, tun derzeit alles, damit es nicht dazu kommt.

Nach abgesagten Regierungskonsultationen im vergangenen Jahr und einem sehr kritisch betrachteten Besuch des damaligen deutschen Außenministers Sigmar Gabriel hat der neue Außenminister Heiko Maas bei seinem Antrittsbesuch in Israel deutlich andere Töne angeschlagen. Wie bewerten Sie Maas’ Besuch Ende März?

Heiko Maas hat das Positive und die geschichtliche Dimension der deutsch-israelischen Beziehungen vor dem Hintergrund unserer tragischen Geschichte betont. Und das war auch richtig so. Ich glaube, dass ihm gute Beziehungen zu Israel eine Herzensangelegenheit sind.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Besuch im März 2008 in der Knesset gesagt, die »historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar«. Wie sieht es mit der Staatsräson heute aus?
Es ist eine sehr weitreichende Verpflichtung, die auch kürzlich im Rahmen einer Bundestagsdebatte von mehreren Rednern wiederholt wurde. Die Frage, was genau die Staatsräson bedeutet, habe ich versucht, in meinem Buch »Staatsräson? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet« zu beleuchten. Was passieren würde, wenn Israels eigene militärische Kraft in einem Konfliktfall nicht ausreichen würde, das haben alle, die ich für mein Buch interviewt habe, im Diffusen gelassen. Im politischen Mainstream wird diese Staatsräson auch nicht infrage gestellt.

Und in der Bevölkerung?
Man darf sich keine Illusionen machen: Es gab in den 60er-Jahren eine Israel-Euphorie, die lange anhielt. Aber seit mindestens zehn Jahren gibt es eine große Israel-Skepsis. Das wird sich in absehbarer Zeit wohl auch nicht ändern. Eine Besserung ist für mich leider nicht in Sicht.

Wie vermittelt man der jungen Generation in Zeiten, in denen viele Menschen nach einem Schlussstrich rufen, dass das deutsch-israelische Verhältnis ein besonderes ist?

Für die junge Generation ist das, was ihre Großeltern getan haben, unendlich weit entfernt. Sie wächst unter ganz anderen Bedingungen auf als meine Generation, die sich immer die Frage nach dem Warum gestellt hat. Das kann man nicht mehr auf die Enkel- und Urenkelgeneration übertragen, und das muss nichts mit der Forderung eines Schlussstrichs zu tun haben. Es ist für mich eher ein Zeichen der Normalisierung. Kein Land auf der Welt hat sich so sehr mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt wie Deutschland. Damit soll aber nichts relativiert werden. Für die junge Generation, die wahrscheinlich keinen Zeitzeugen mehr begegnen wird, müssen der Geschichtsunterricht und auch die Eltern das Thema proaktiv angehen. Nur so kann es funktionieren. Israel und wir hängen historisch gesehen immer zusammen. Und so sollte es auch bleiben.

Einer Ihrer Romane »Jerusalem, Jerusalem« fällt in die Zeit der Gründungsjahre Israels. Ist es befreiender, einen Roman über den Nahen Osten zu schreiben als ein politisches Sachbuch?
Eigentlich ist es genau umgekehrt. Ich schreibe seit 20 Jahren Romane und nun zwei Sachbücher. Letzteres erwartet man auch vielleicht ein wenig von mir als politischem Journalisten. Aber gerade deswegen habe ich mich vor die Herausforderung gestellt, Romane zu schreiben. Ich bin ja auch durch die amerikanische Erzähltradition beeinflusst und möchte unterhalten, was in Deutschland immer etwas verpönt ist. Mir ist es wichtig, mit den Mitteln der Unterhaltung Themen anzupacken, die auch eine Relevanz haben. Wie beispielsweise ein Geschichtsroman über die Gründung des Staates Israel.

Sind Sie oft in Israel?
Sagen wir es so: Nach dem 45. Mal habe ich aufgehört zu zählen. Das erste Mal war ich 1973 im Land. Vor dem Hintergrund meiner Generation hat mich Israel immer begeistert. Ich war in vielen guten und schlechten Zeiten im Land. Es war mir ein großes Anliegen, auch am 19. April dabei zu sein. Mein bester Freund, der bekannte Militärkorrespondent Ron Ben-Yishai, den ich seit 45 Jahren kenne, wurde bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag mit dem Israel Award ausgezeichnet, der ja in Israel deutlich vor dem Nobelpreis liegt.

Wie haben Sie Israel in den verschiedenen Jahrzehnten erlebt?

Das Land ist atemberaubend. Ich erinnere mich noch gut, wie die vielen Kibbuzniks in den 70er-Jahren am Wochenende in das im Vergleich zu heute noch verhältnismäßig verschlafene Tel Aviv kamen. Sie hielten den Dizengoff-Boulevard für den Nabel der Welt. Israel hat eine enorme Dynamik. Das spürt man. Natürlich gibt es auch soziale Fragen, wie man bei den Sozialprotesten vor fünf Jahren gesehen hat. Aber so wirklich politische Konsequenzen gab es ja danach nicht: Die Linke in Israel ist im Tiefschlaf, die Arbeitspartei kümmert etwas vor sich hin. Das Land bleibt für einen wohlwollenden Beobachter, und als solchen sehe ich mich, spannend.

Wie hat sich das Deutschlandbild in Israel gewandelt?
In Israel und Palästina ist Deutschland sehr beliebt. Hier ist es genau umgekehrt. Schon bei meinem ersten Besuch mit 26 Jahren habe ich gemerkt, dass man mir die Geschichte Deutschlands nicht vorgeworfen hat. Ich wollte zunächst kein Deutsch sprechen. Aber irgendwann ließ es sich nicht mehr vermeiden. Ich traf eine Frau, die mir ihre eintätowierte Nummer aus dem Konzentrationslager auf ihrem Arm zeigte. Sie sagte, sie käme aus Leipzig, und sie freute sich, mich zu sehen, weil ich offenbar ein Stück Heimat für sie war. Das hat mich sehr berührt. Ich habe mein Buch, über das wir gesprochen haben, in Jerusalem und in Ramallah vorstellen dürfen. Der damalige deutsche Botschafter lud viele Jeckes zu der Lesung ein. Und ich hatte großen Bammel davor.

Warum?
Ich dachte, ich habe ein Buch über eine Zeit geschrieben, in der ich gerade geboren war. Und trotzdem hatte ich den Anspruch, es so authentisch wie möglich zu machen. Vor der Lesung dachte ich: Es kann natürlich sein, dass das Publikum sagt, so einen Quatsch habe es selten gehört. Aber meine Skepsis war unbegründet, denn ich erhielt eine sehr positive Resonanz. Der Einzige, der eine kleine Kritik übte, war der damalige Herausgeber der »Jerusalem Post«, Ari Rath, der mich darauf hinwies, dass ich eine Uhr am Turm des YMCA beschrieb, die gar nicht existierte. Er hatte leider recht. Aber in der neuen Version ist die Uhr nicht mehr da.

Wie war die Vorstellung des Buches in Ramallah?

Schwierig. Denn auch, wenn diese beiden Situationen nicht miteinander vergleichbar sind, sagte ich, dass wir in Deutschland Erfahrung damit hatten, nach dem Krieg zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertrieben zu integrieren. Ich habe das selbst als Journalist in den 70er-Jahren mitverfolgt, wie man diesen Menschen klarmachte, dass sie nicht nach Königsberg oder Breslau zurückziehen werden. Und genau so müsste die politische Führung das den Palästinensern erklären. Aber die redet nur von »Nakba« und verspricht den Leuten, sie seien spätestens übermorgen wieder zurück in Haifa. Das kam in Ramallah nicht so gut an.

Mit dem Journalisten sprach Katrin Richter.

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