Interview

»Ein wichtiges Gebot«

Gilad Schalit in Begleitung von Zahal-Offizieren: Bild des ägyptisches Fernsehens Foto: Channel 2

Herr Rabbiner, Gilad Schalit ist frei. Bei aller Freude gibt es auch Kritik an der hohen Zahl freigelassener Terroristen. Wie ist das zu bewerten?
Die Befreiung oder Auslösung von Gefangenen ist ein wichtiges Gebot im Judentum. In der Tora befreit Abraham seinen Neffen Lot in einer Militäraktion aus der Kriegsgefangenschaft. Wenn keine militärische Option existiert, müssen Gefangene freigekauft werden. Im Mittelalter mussten jüdische Gemeinden immer wieder ihre in Haft gesetzten Mitglieder – oft für viel Geld – freikaufen. Im heutigen Israel besteht die Gegenleistung in der Freilassung von Terroristen.

Wie steht es um die Verhältnismäßigkeit?
In der Mischna wird eine Auslösung von Gefangenen bei überhöhter Gegenleistung untersagt, und zwar »aus Gründen der Verbesserung der Welt«. Damit wurde dem Wunsch, unseren gefangenen Brüdern zu helfen, die Ratio übergeordnet. Eine zu hohe Gegenleistung droht nämlich, dem Unterdrücker oder Feind einen Anreiz für weitere Verhaftungen oder Entführungen zu bieten. Damit aber wird die Allgemeinheit in hohem Maße gefährdet, und es findet kein »Tikkun Olam« – Verbesserung der Welt – statt. Als der berühmte, in Worms lebende Talmudgelehrte Rabbiner Meir von Rothenburg 1286 eingekerkert wurde, wies er die jüdische Gemeinde an, ihn nicht gegen das hohe, vom König geforderte Lösegeld freizukaufen. Damit wollte er verhindern, dass weitere prominente Juden als Geiseln verhaftet wurden. Rabbi Meir starb 1293 in Gefangenschaft.

Liegt bei der Freilassung so vieler Terroristen nicht automatisch eine Gefährdung der Öffentlichkeit vor?
Allerdings ist auch das Leben des oder der entführten Israelis in Gefahr. Bei einem Soldaten besteht zudem eine besondere Verantwortung der Gesellschaft, zu deren Schutz er in die Armee einberufen wurde. Hier könnte man sogar argumentieren, dass Israel für die Freiheit seiner Soldaten einen besonders hohen Preis entrichten muss, ähnlich wie unsere Weisen dem Ehemann den Freikauf seiner gefangenen Ehefrau zu einem Preis erlaubten, der in anderen Fällen als überhöht gelten würde – und zwar wegen der unter Eheleuten geschuldeten, besonderen Loyalität. Das halachisch-ethische Problem besteht darin, im Einzelfall alle Faktoren abzuwägen und über die Verhältnismäßigkeit des Gefangenenaustauschs zu entscheiden.

Was ist mit der Meinung der Sicherheitsexperten?
Wenn die Chefs der Armee und der Nachrichtendienste das durch die Freilassung von Terroristen für die Allgemeinheit entstehende Risiko für vertretbar halten, kann das den Ausschlag geben. Israel hat ja auch versucht, diese Gefährdung zu vermindern, indem ein Teil der Entlassenen des Landes verwiesen wurde.

Dennoch ist Schalits Freikauf auch unter Rabbinern umstritten.
Natürlich können Rabbiner in halachischen wie in anderen Fragen unterschiedliche Meinungen haben. Das ist legitim.

Stellt die Freilassung von Mördern und anderen Terrortätern nicht einen Verstoß gegen Grundprinzipien der Gerechtigkeit dar?
Es ist gewiss ungerecht, dass solche Täter nicht einmal das ihnen vom Gericht auferlegte Strafmaß zur Gänze verbüßen. Auch der Schmerz der Hinterbliebenen von Menschen, deren Mörder jetzt freikommen, ist mehr als verständlich. Das aber sollte bei der Rettung eines in Lebensgefahr schwebenden Gefangenen kein entscheidendes halachisches Kriterium sein. Das Problem ist, dass die betreffenden Terroristen in den Autonomiegebieten bleiben und ein schwerwiegendes Sicherheitsrisiko darstellen.

Mit dem Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland sprach Wladimir Struminski.

Wirtschaft

Netanjahus unglücklicher »Sparta«-Vergleich

Israels Premierminister spricht in einer Rede von wirtschaftlicher Isolation und sieht sein Land in einer ähnlichen Situation wie einst der griechische Stadtstaat. Politik und Märkte reagieren unerwartet heftig

von Sabine Brandes  18.09.2025

Israel

Zwei Tote bei Anschlag an Grenze zu Jordanien

Der Angreifer ist offenbar in einem Lastwagen angekommen, der humanitäre Hilfsgüter für den Gazastreifen transportierte. Der Anschlag könnte laut Medien auch Auswirkungen auf Gaza-Hilfen haben

 18.09.2025 Aktualisiert

Nachruf

Sie trug ein strassbesetztes Krönchen

Tovia Ringer überlebte die Konzentrationslager Groß-Rosen und Schömberg, bevor sie 1948 nach Israel emigrierte. Nun ist die »Miss Holocaust Survivor 2018« im Alter von 102 Jahren gestorben

von Sara Klatt  18.09.2025

Kurznachrichten

Hotel, Datteln, Pilger

Meldungen aus Israel

von Sabine Brandes  18.09.2025

Tel Aviv

Israel: Entwicklung von Laser-Abwehrwaffe abgeschlossen

Das Hochleistungs-Lasersystem »Iron Beam« markiert einen Wendepunkt: Präzise, schnell und überraschend günstig. Wie verändert dies Israels Schutz vor Bedrohungen aus feindlichen Ländern der Region?

 18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Gaza

»Gebt mir mein Mädchen zurück!«

Ifat Hayman fleht, dass ihre Tochter Inbar, die letzte weibliche Geisel der Hamas, zur Bestattung zurückgebracht wird

von Ifat Hayman  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Israel

»The Sea« erhält wichtigsten israelischen Filmpreis

In Reaktion auf die Prämierung des Spielfilms über einen palästinensischen Jungen strich das Kulturministerium das Budget für künftige »Ophir«-Verleihungen

von Ayala Goldmann  17.09.2025