Es ist ein Thema, das die Welt bewegt: die humanitäre Hilfe für Gaza. In den vergangenen Tagen wuchs die Kritik an Israel, zuletzt drohten einige Länder mit Sanktionen. Am Montag dann die Nachricht aus Jerusalem: Die Hilfslieferungen werden wiederaufgenommen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies die zuständigen Stellen an, für die Umsetzung zu sorgen.
Eine Hungersnot würde den Erfolg der neuen Bodenoffensive in Gaza gefährden, sagte der Premier in einer Videobotschaft. Zunächst erlaubte die Regierung ein Dutzend Lkw-Ladungen, erhöhte die Zahl jedoch nach internationaler Empörung und kündigte an, Dienstag und Mittwoch weitere 100 Lastwagen in die vom Krieg geschüttelte Enklave zu lassen.
Jerusalem hatte die Hilfslieferungen in den Küstenstreifen am 2. März gestoppt. Die Regierung argumentierte, dass damit die Terrororganisation Hamas gedrängt werden solle, die 58 Geiseln freizulassen, die seit fast 600 Tagen in deren Gewalt sind.
Sofortige Bereitstellung großer Mengen humanitärer Hilfsgüter für Gaza
Am Dienstag hatte Israels Oberster Gerichtshof die Koalition aufgefordert, auf eine Petition zu reagieren, die die sofortige Bereitstellung großer Mengen humanitärer Hilfsgüter für Gaza fordert. Unter anderem die israelische Menschenrechtsorganisation »Gisha« führt darin aus, dass die Blockade einen Verstoß gegen die Verpflichtungen der Regierung nach israelischem und internationalem Recht darstelle, die Versorgung der Zivilbevölkerung in Gaza zu ermöglichen.
Der Druck auf die Regierung wuchs zusehends. Besonders angesichts der kürzlich gestarteten neuen Bodenoffensive des Militärs sind entsprechende Appelle vehementer geworden. Seit Tagen greift die israelische Luftwaffe massiv Ziele in Gaza an.
Der Druck auf die Regierung wuchs zusehends.
Unter anderem die USA forderten mit deutlichen Worten humanitäre Hilfe. Die Außenminister von Kanada, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien und auch Deutschland sowie die EU-Außenbeauftragte erklärten, Israel müsse »sofort eine vollständige Wiederaufnahme der Hilfen für den Gazastreifen« erlauben.
Israelische Medien berichteten, dass vor allem der internationale Druck, insbesondere aus Washington, Netanjahu zum Umdenken gebracht habe. Der Premier informierte das Sicherheitskabinett lediglich über seine Entscheidung, wieder Hilfe in den Gazastreifen fließen zu lassen, ließ dessen Mitglieder jedoch nicht abstimmen, wahrscheinlich, um Gegenstimmen seiner rechtsradikalen Koalitionspartner zu vermeiden.
Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir nannte die Entscheidung anschließend einen »massiven Fehler«. Der Generalsekretär im Außenministerium, Eden Bar Tal, führte aus: »Israel ermöglichte während des gesamten Krieges die Einfuhr humanitärer Hilfe. In den 42 Tagen des Waffenstillstands gelangten 25.000 Lastwagen nach Gaza. Dies führte zu einem enormen Überschuss, doch die Hamas kaperte die Hilfsgüter und machte sie zu Geld, um ihre Macht zu stärken.«
Hamas zweigt Hilfsgüter fast komplett für sich ab
Auch palästinensische Quellen bestätigen immer wieder, dass die Hamas die Hilfsgüter fast komplett für sich abzweigt, um sie dann zu horrenden Preisen zu verkaufen. Doch mittlerweile waren die Lagerhäuser der internationalen Hilfsorganisationen, die Bäckereien und Küchen betrieben, leer, und die Not der Menschen in der nach mehr als anderthalb Jahren Krieg großflächig zerstörten Enklave verschärfte sich zusehends, was auch das israelische Militär berichtete.
Um die Hamas nun von den Hilfslieferungen fernzuhalten, soll in den kommenden Tagen ein neues Modell für deren Verteilung umgesetzt werden: die internationale Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF). Die arbeite nach dem Prinzip, dass direkt an die Bevölkerung geliefert wird, erklärte Bar Tal. Israel unterstütze diesen Plan »voll und ganz«. Die von den USA geleitete GHF werde die Hilfsgüter »in mehreren Zentren in sicheren Gebieten Gazas verteilen. Die IDF wird währenddessen die Umgebung sichern«.
Laut einem Bericht von »Yedioth Ahronoth« seien amerikanische GHF-Mitarbeiter, die als »Elite-Kampfveteranen« bezeichnet werden, in Israel eingetroffen, wo sie für ihren Einsatz in Gaza geschult werden. Hilfsorganisationen, die in Gaza tätig sind, argumentieren, dass der GHF-Plan gegen humanitäre Grundsätze verstoße, weil er unter anderem Massenvertreibungen von Palästinensern erzwinge, die nicht in der Nähe der Verteilungszentren leben.
»Die Hamas wird andere Wege finden, um an die Hilfsgüter zu kommen.«
Ex-IDF-Kommandeur Israel Ziv
Wer hinter der GHF steht, ist nicht bekannt. Der US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee, sagte, er wisse nicht, welche Länder genau dazu beitragen. »Sie wollen den Hunger lindern, aber aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt frühzeitig identifiziert werden.«
Der einstige Kommandeur der Gaza-Division und des IDF-Operationsdirektorats, Israel Ziv, ist sicher, dass Israel Hunger nicht als Kriegsmittel einsetzen wolle. Allerdings sei es ein großes Problem, die Hamas aus der Bevölkerung herauszuhalten. »Leider hat Israel bisher keinen Plan vorangebracht, das zu erreichen.« Den US-Plan hält er ebenfalls nicht für erfolgversprechend. »Die Hamas wird einen anderen Weg finden, an die Hilfsgüter zu kommen, sie zum Beispiel stehlen, wenn die Familien nach Hause gehen.« Er macht deutlich: »Ohne 100-prozentige Kontrolle hat man überhaupt keine Kontrolle.«
Großteil der humanitären Hilfe fließt derzeit über Ägypten nach Gaza
Eine panarabische Initiative, meint er, sei sinnvoller. Ein Großteil der humanitären Hilfe fließe derzeit über Ägypten nach Gaza, dessen Grenzübergang aber von Israel kontrolliert werde, so Ziv. »Zwar sind die Ägypter nicht in Gaza aktiv, doch sie könnten eine Schlüsselrolle spielen. Ägyptische Sicherheitskräfte wären effektiver, weil sie von der Bevölkerung in Gaza eher respektiert werden als Entwicklungshelfer.« Dass Kairo bereit sei, »hat es mit der Initiative für ›den Tag danach‹ gezeigt. Ich habe den Plan gelesen. Er ist gut«.
Der Krieg in Gaza hat mit dem Hamas-Überfall auf südliche Gemeinden Israels am 7. Oktober 2023 begonnen, als Terroristen mehr als 1200 Menschen massakrierten, Tausende verletzten und 251 als Geiseln verschleppten. Seitdem wurden nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza etwa 53.000 Menschen getötet. Diese Zahl schließt Hunderte Einwohner Gazas ein, die seit Beginn der neuen IDF-Operation ums Leben kamen. Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen und unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Hamas-Terroristen.
Israels Präsident Isaac Herzog hat die Entscheidung für die Wiederaufnahme der Hilfslieferungen begrüßt. Die Maßnahme sei entscheidend. »Dieser Schritt ist unerlässlich, damit Israel seine militärischen Fähigkeiten aufrechterhalten kann, um im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht zu handeln – und vor allem, damit wir in dieser Tragödie unsere Menschlichkeit bewahren.«