Vor ein paar Tagen erhielt Anat Angrest einen Anruf der israelischen Armee. Was sie zusammenbrechen ließ. »Sie sagten mir, mein Sohn könnte sehr bald sterben«, berichtete sie. »Das war nicht mehr nur ein Gefühl. Es war real. Offiziell. Dringend.«
Ihr Sohn, Matan Angrest, ein 21-jähriger IDF-Soldat, wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas aus seinem Panzer in Nahal Oz entführt. Er wurde schwer verwundet, erlitt Verbrennungen, war bewusstlos und allein. Seitdem wird er unter höllischen Bedingungen in Gaza von der Terrororganisation gefangen gehalten bei extremem Hunger, regelmäßiger Folter und ohne medizinische Versorgung.
In einem Beitrag auf X wandte sich Anat Angrest nun an Premierminister Benjamin Netanjahu: »Herr Ministerpräsident, haben Sie letzte Nacht geschlafen? Ich habe die 700. Nacht ohne Schlaf verbracht. Mein Matan ist in unmittelbarer Todesgefahr, das wurde mir gestern telefonisch mitgeteilt. Deshalb werde ich zusammen mit Zehntausenden israelischen Bürgern vor Ihrer Tür stehen.«
Die Mutter will vor Netanjahus Residenz demonstrieren
Angrest bezog sich dabei auf eine Demonstration, die am Samstag in der Nähe von Netanjahus Residenz in Jerusalem stattfinden soll. Sie fügte hinzu: »Es wird laut sein, genau wie bei Matan, es wird laut sein, mit Explosionsgeräuschen. Sie werden keine Ruhe mehr von mir haben. Das ist vorbei.«
Seit fast zwei Jahre lang kämpft die Mutter darum, ihren Sohn aus der Ferne am Leben zu halten. Nicht mit Waffen, sondern mit Worten, Protesten und unermüdlichem Flehen. Jetzt hat sie Angst, dass sie keine Zeit mehr hat.
Vor einigen Wochen bekam sie eine Tasche. Israelische Soldaten hatten sie in Gaza gefunden. Darin befanden sich Gegenstände aus Matans Kindheit, seine Fußballuniform, einige persönliche Notizen. Dinge, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. »Ein Stück seines Lebens war da«, sagte sie. »Aber er ist nicht da.«
Anat Angrest: »Er ist ein verwundeter, gefolterter Junge in einem Loch irgendwo«
Zu diesem Zeitpunkt habe sie auch sein Zimmer betreten – zum ersten Mal seit seiner Verschleppung, wie sie in einem Interview mit Kanal 12 erzählte. Sie berührte seine Bücher, seine Regale, setzte sich sogar auf den Boden. Doch sein Bett blieb unberührt. »Ich werde es erst anfassen, wenn ich weiß, dass er nach Hause kommt.« Es ist das Ritual einer Mutter, das Liebe und Protest zugleich ist. Der Raum ihres Sohnes ist heilig, in der Zeit gefangen, und wartet auf seine Rückkehr.
Vor einigen Monaten freigelassene Geiseln haben bestätigt, was sie am meisten befürchtete: Matan ist in einem kritischen gesundheitlichen Zustand. Seine Hände seien schwer verbrannt, einige Finger könne er nicht mehr bewegen. Er habe Knochenbrüche im Gesicht, leide unter gefährlichen Asthmaanfällen. Die Terroristen hätten ihm mit Autobatterien Elektroschock gegeben, woraufhin Angrest vor Schmerzen das Bewusstsein verloren habe. Dann hätten sie ihn zurückgeholt, um weiter zu machen.
»Matan ist kein Soldat mehr. Er ist ein verwundeter, gefolterter Junge in einem Loch irgendwo«, so die Mutter des 21-Jährigen. »Und er liegt im Sterben.«
Bei jedem Protest steht sie an vorderster Front
Sein Bruder Ofir Angrest berichtete im öffentlich-rechtlichen Radio Kan, ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter habe seine Familie darüber informiert, »dass die IDF in dem Gebiet operieren wird, in dem Matan vermutlich festgehalten wird, und dass seine Sicherheit nicht garantiert werden kann«. Der Mitarbeiter habe erklärt, er könne nicht versprechen, dass Matan oder andere Geiseln nicht versehentlich verletzt würden.
Angrest sagte, der Mitarbeiter habe der Familie mitgeteilt, man habe aus den Ereignissen rund um die Ermordung der sechs Geiseln Hersh Goldberg-Polin, Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Almog Sarusi, Or Danino und Alex Lubanov durch ihre Entführer vor einem Jahr gelernt, als die IDF in einem Versteck-nahen Gebiet operierte. Aber »eine solche Situation könnte sich wiederholen«.
Anat Angrest steht bei fast jedem Protest an vorderster Front und spricht nicht nur für Matan, sondern für alle Geiseln, die noch in der Gewalt der Hamas sind und Schlimmstes erleben. »Zögern ist keine Würde«, sagte sie kürzlich vor einer Menschenmenge in Tel Aviv. »Schweigen ist keine Logik. Wenn wir ihn nach Hause bringen können, warum haben wir es nicht längst getan?«
Gleichfalls macht sie klar, dass sie nicht will, dass Soldaten ihr Leben riskieren, um Matan zu retten. Sie will einen Deal zur Geiselfreilassung und damit eine Überlebenschance für ihren Sohn. »Lasst ihn nicht im Dunkeln sterben.«