Es ist ein absurdes Schauspiel: Nachdem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) vergangene Woche Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen inzwischen entlassenen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen hatte, gab es im politischen Berlin fast nur noch diese eine Frage: Wird die Bundesregierung Netanjahu verhaften lassen, wenn dieser deutschen Boden betritt?
Dabei ist die Frage falsch gestellt. Die Fragen hätten lauten müssen: Ist der Strafgerichtshof überhaupt zuständig? Waren die Ermittlungen von Chefankläger Karim Khan rechtens? Und nicht zuletzt: Hätte die Bundesregierung nicht erkennen müssen, dass es sich um ein politisch motiviertes Verfahren handelte und eben nicht um ein möglichst objektives, unbeeinflusstes Vorgehen?
Die Antworten liegen auf der Hand. Die Haftbefehle sind höchst zweifelhaft. Der Strafgerichtshof ist aus mehreren Gründen gar nicht berechtigt, gegen Netanjahu und Gallant zu ermitteln. Weder gibt es einen Staat Palästina, noch hat Israel das Römische Statut jemals anerkannt.
Zudem gibt es im jüdischen Staat, der einzigen Demokratie in Nahost, eine hoch funktionale und unabhängige Justiz, was nicht zuletzt die aktuellen Ermittlungen gegen Netanjahu wegen möglicher Korruption beweisen (von den Gefängnisstrafen gegen Ex-Präsident Moshe Katzav und Ex-Premier Ehud Olmert ganz zu schweigen).
Das sind die formal-juristischen Argumente. Hinzu kommen die inhaltlichen Argumente gegen die Haftbefehle. Das Gericht wirft Netanjahu und Gallant Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor. Zur Erinnerung: Israel führt einen Krieg gegen die Terrororganisation Hamas. Nicht gegen die Zivilbevölkerung.
Während die israelische Regierung und die Armee möglichst viel dafür unternehmen, die Zivilbevölkerung zu schützen - etwa durch das Einrichten von Fluchtrouten, Warnungen vor drohendem Beschuss, das massenhafte Bereitstellen von Hilfsgütern, das Ermöglichen des Impfens von Kindern gegen Polio –, tut die Hamas das genaue Gegenteil, um den Krieg der Bilder gegen Israel zu gewinnen.
Obendrein entlarvend: Das Gericht stellt den terroristischen Hamas-Führer Mohamed Deif und den Ministerpräsidenten eines demokratischen Rechtsstaates auf dieselbe Stufe.
Angesichts dessen irritiert einmal mehr die Reaktion von Außenministerin Annalena Baerbock. »Die Bundesregierung hält sich an Recht und Gesetz, weil niemand über dem Gesetz steht«, betonte die Grünen-Politikerin, die schon seit Monaten von Israel abgerückt ist und für die die Losung »Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson« nur noch eine bloße Worthülse zu sein scheint. Es gelte die Unabhängigkeit der Justiz, »die in diesem Fall zu dem Schluss gekommen ist, dass es hinreichend Indizien für sie gibt, diesen Schritt jetzt zu unternehmen«, so Baerbock. Mit anderen Worten: Auch ein erkennbar politisch motiviertes Verfahren gegen Israel ist sakrosankt.
Dass es auch anders geht, zeigen nicht nur die Reaktionen der USA und Frankreichs, die die Haftbefehle massiv kritisieren. Auch in Deutschland zeigt sich eindrücklich, wie die Bundesregierung hätte reagieren können: und zwar mit Klarheit, Rückgrat und moralischem Kompass.
»Es ist für mich völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt«, unterstrich etwa Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU).
»Wir stehen zu Israel und zu dem Recht auf Selbstverteidigung«, bekräftige Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in München im Rahmen seiner Rede als Ehrengast der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden am Sonntag in München. »Ich finde es befremdlich, wenn der Internationale Strafgerichtshof Israel und die Hamas gleichsetzt. Der Strafgerichtshof hat sich massiv selbst beschädigt.«
Und Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, betonte vergangene Woche bei seinem Besuch in Jerusalem am Rande eines Treffens mit Israels Regierungschef Netanjahu: »Die Haftbefehle des Gerichts sind eine Schande und absolut inakzeptabel.«
Wer wie Außenministerin Baerbock nicht erkennt, dass es sich bei den ersten Haftbefehlen des IStGH gegen demokratisch gewählte Politiker um Politik und nicht um Recht handelt, der möchte es vielleicht auch nicht sehen. Oder schlimmer: der ist von der Notwendigkeit eines solchen Verfahrens überzeugt.
Es bleibt zu hoffen, dass nach den Neuwahlen am 23. Februar 2025 die Nachfolger der krachend gescheiterten Ampel-Regierung es besser machen werden - ganz allgemein, aber insbesondere auch beim Thema Israel und Nahost.