Würdigung

Der Stoßdämpfer

Überraschte Freunde wie Gegner: Reuven Rivlin Foto: Flash 90

»Der Präsident muss in schwierigen Zeiten als Wegweiser und sozialer Stoßdämpfer dienen«, sagte Reuven Rivlin einmal über das Amt des israelischen Präsidenten, das er sieben Jahre lang hielt. Heute gab der inzwischen 81-Jährige es an seinen Nachfolger Isaac Herzog ab.

Ein guter Moment, um zurückzublicken: Wie viel Wegweiser, wie viel Stoßdämpfer steckte in dem Präsidenten Reuven Rivlin?

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Das Amt des israelischen Präsidenten ist, ähnlich dem des deutschen, von großteils zeremonieller Natur. Dennoch kann ein Präsident Einfluss nehmen auf Stimmung und Diskurs, er kann Themen und Zeichen setzen, als Vorbild, Mahner und Warner dienen. Rivlin hat all das getan, mit Verve und oft im Widerspruch zu der Partei, in der er seine politische Karriere begann: dem rechtskonservativen Likud. Zu dessen Vorsitzendem Benjamin Netanjahu hat Rivlin ein unbequemes Verhältnis; Netanjahu soll einst alles versucht haben, um den willensstarken Rivlin, bis dahin Parlamentssprecher, als Präsident zu verhindern.

Gleiche Rechte für alle Bürger zählten zu Rivlins wichtigsten Anliegen.

Doch ohnehin ist es nicht Netanjahus Likud, dem Rivlin sich verbunden fühlt, sondern der Likud des Parteigründers Menachem Begin, der leidenschaftlicher Nationalist und zugleich unbeirrbarer Verteidiger demokratischer Rechte war und den Rivlin gern zitiert.

DILEMMA »Israels unwahrscheinlichsten Moralisten« nannte das US-Magazin »New Yorker« den Präsidenten einmal. Für jene, die in politischen Lagern denken, präsentierte der unabhängige Geist Rivlin ein Dilemma. Für viele Linke, in Israel wie im westlichen Ausland, ist seine Haltung zum Konflikt mit den Palästinensern schwer erträglich: Eine Zweistaatenlösung, wie sie großen Teilen der Weltgemeinschaft vorschwebt, lehnt er ab, stattdessen träumt er von einem ausgedehnten Israel, das auch jene Teile des Westjordanlandes einschließt, die heute unter ziviler Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen.

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Anders als viele Anhänger eines »Groß-Israel« würde Rivlin jedoch den Palästinensern die Staatsbürgerschaft anbieten. Die demografische Herausforderung, die knapp drei Millionen palästinensische Neubürger für den jüdischen Charakter des Staates bedeuten würden, scheint ihm dabei keine Furcht einzujagen.

Überhaupt, gleiche Rechte: Auch im israelischen Kernland zählten sie zu seinen wichtigsten Anliegen. Israels arabischen Bürgern, die ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, begegnete er mit einem Respekt und einer Herzlichkeit, die in seinem politischen Lager keine Selbstverständlichkeit ist. In seinen auf Hebräisch gehaltenen Reden flocht er gelegentlich arabische Sprichwörter ein.

premiere Als erster israelischer Präsident besuchte er die jährliche Zeremonie in dem arabischen Dorf Kfar Quasem zum Gedenken an ein Massaker, das sich 1956 dort abspielte: Israelische Polizisten erschossen 48 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die von der Arbeit heimkehrten und damit eine Ausgangssperre verletzt hatten.

Zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana vor sieben Jahren veröffentlichte er ein Video mit einem damals elfjährigen arabischen Jungen namens George Amire, der in der Schule gemobbt worden war. In dem Video sitzen die beiden mit ernstem Gesicht auf einem Sofa in der Präsidentenresidenz, der schmale George, der rundliche Präsident, und halten im Wechsel Schilder in die Kamera.

»Sieh mich an, dann sieh dich an«, steht etwa darauf, »wir sind genau gleich«. Die linke britische Tageszeitung »The Guardian«, die über Israel für gewöhnlich mit höchst kritischem Blick berichtet, kürte den konservativen Rivlin daraufhin zu einem ihrer »Helden« des Jahres 2014.

DEBATTEN Für die gleichen Handlungen, die ihm Lob von links einbrachten, erntete er Schelte von rechts, oft vulgärer Art. Seine Kritiker beschimpften ihn als »Verräter« und »arabischen Agenten«. Nachdem er 2015 den tödlichen Brandanschlag israelischer Radikaler auf das Haus einer palästinensischen Familie als »jüdischen Terror« verurteilte, erhielt er Todesdrohungen.

Der zunehmend harsche Ton, der in Israel politische Debatten bestimmt, bereitete ihm sichtlich Sorgen. Immer wieder warnte er vor der Verteufelung Andersdenkender und Versuchen, diese zum Schweigen zu bringen – eine Haltung, die er selbst mit großer Glaubwürdigkeit vertrat: Schon als Sprecher der Knesset hatte er das Rederecht arabischer, propalästinensischer Abgeordneter verteidigt, »auch wenn das, was sie sagen, mich schmerzt«.

Nicht immer hatte Rivlin seine Worte so vorsichtig abgewogen wie in seiner Rolle als Präsident. Nachdem er 1989 in den USA eine Reformsynagoge besucht hatte, beschrieb er den Gottesdienst dort als »Götzendienst«. Als Präsident jedoch erwies er nichtorthodoxen Strömungen des Judentums öffentlich Respekt. Dem Wert des Zusammenhalts, sei es in der israelischen Bevölkerung oder unter Juden weltweit, schrieb er mehr Gewicht zu als Differenzen in Meinung und Glauben.

Der zunehmend harsche Ton in Auseinandersetzungen bereitete ihm Sorgen.

Mit seiner Theorie von den »vier Stämmen«, die die israelische Gesellschaft bilden, gelang es ihm, im schnelllebigen politischen Diskurs einen bleibenden Akzent zu setzen. Zwischen säkularen Juden, Nationalreligiösen, Ultraorthodoxen und Arabern gebe es zu wenig Berührungspunkte, klagte er oft, zu wenig Verständnis, zu wenig gemeinsame Werte, zu wenig Solidarität. Viele Politiker, Akademiker und Journalisten haben die Rede von den vier Stämmen seitdem aufgegriffen.

DIALOG Nach sieben turbulenten Jahren im Amt hat Rivlin viel getan, um sich der wachsenden Polarisierung und der Verrohung des Diskurses entgegenzustellen. Dass diese Entwicklung während seiner Amtszeit dennoch fortgeschritten ist, dürfte ihn grämen. »Jeder hat seine eigene Meinung, und alle anderen sind Feinde. Es ist ein Dialog zwischen Tauben, und die Lage wird immer ernster«, sagte er einmal. »Ich frage nicht, ob wir vergessen haben, jüdisch zu sein, sondern ob wir vergessen haben, menschlich zu sein.«

Er selbst war, mit seiner großväterlichen Herzlichkeit, seinem Respekt vor dem Anderen, seinem unermüdlichen Erinnern an die gemeinsame Humanität, vor allem das: ein unbeirrbar menschlicher Präsident.

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