Identität

Der Rabbi aus dem Libanon

Abraham, der strenggläubige Jude aus dem israelischen Norden, kennt Ibrahim, Muslim und Mitglied der Hisbollah, gut. So gut wie kein anderer sogar. Die beiden Männer sind keine Freunde und keine Nachbarn. Sie sind ein und dieselbe Person. Lange Jahre war Ibrahim aus dem Südlibanon Spion für die Israelis. Heute ist Abraham Sinay orthodoxer Rabbiner in der Stadt Safed.

Sein Sohn Amos, Soldat in der Golani-Kampfeinheit der israelischen Armee, ist im Mai mit der Medaille des Staatspräsidenten für besondere Verdienste ausgezeichnet worden. »Das glauben mir die Leute oft nicht«, erzählt Abraham und lacht schallend. Wie auch? Die Lebensgeschichte des 53-Jährigen ist so verrückt, dass man sie – wäre sie von Hollywood verfilmt – wahrscheinlich als arg konstruiert abtun würde.

Sinay, der vor rund 15 Jahren vom Islam zum Judentum übertrat, trägt die Kluft der Orthodoxen: schwarze Hose, weißes Hemd und einen grau melierten Rauschebart. Amos indes ist nicht sonderlich religiös. »Eher traditionell«, wie er sagt. »Ich halte den Schabbat und die Kaschrut, viel mehr aber nicht.« Sein Vater nahm die Entscheidung locker: »Es ist in Ordnung, schließlich ist es dein Leben.« Amos schmunzelt. Denn das hätte völlig anders aussehen können. »Manchmal wache ich auf und denke: ›Wow, ich hätte als Muslim im Libanon leben können.‹ Oft wird mir das selbst kaum klar.«

Traditionen Doch für die Familie ist es nicht so, dass beim Nachbarn alles schlecht war. Zu Hause spricht man Arabisch untereinander, und Amos springt gern ein, wenn in der Armee Hilfe beim Übersetzen gebraucht wird. »Die guten Traditionen haben wir mitgebracht, zum Beispiel stellen wir Olivenöl her, machen Labane (nahöstlichen Joghurt) und haben Ziegen.

Im Winter sitzen wir um den warmen Ofen und erzählen Geschichten.« Und die, ist der junge Soldat überzeugt, werden niemals versiegen. Die seines Vaters sei »eine ganz große«, findet er. »Die Menschen haben ja Bilder im Kopf. Von hier, von dort, von allem Möglichen. Wenn sie meinen Vater in der Kleidung der orthodoxen Juden sehen, dann sind seine Vergangenheit und sein jetziges Leben für viele nur sehr schwer zusammenzufügen.«

Amos war zwei Jahre alt, als er aus dem Libanon nach Israel kam. Der 21-Jährige ist Jude, geboren wurde er als Muslim. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen im Land berührten ihn dennoch wenig, erzählt er etwas ausweichend. »Ich bin als Jude in einem israelischen Haus aufgewachsen. Das ist, was zählt.« Auch wenn er jetzt im Libanon wäre, würde er keine Sekunde zögern. »Aschkara«, ruft er, was so viel heißt wie »Echt, Mann!«. »Ich weiß, wohin ich gehöre.«

Krieg Das wusste offenbar auch sein Vater Abraham schon lange. Doch zunächst wuchs er in einem Dorf an der Grenze zum Südlibanon als Schiit in einem gläubigen Elternhaus auf. »Seit ich acht Jahre alt war, kannte ich nur Krieg. Alle Gruppen in meinem Land brachten sich gegenseitig um. Zusammenhalt habe ich nie erlebt.« Schon früh, erinnert er sich, habe er gemerkt, dass es unter diesen Umständen nahezu unmöglich ist, etwas aus seinem Leben zu machen.

»Trotzdem hatte ich nicht vor, Spion zu werden«, scherzt er heute. Es sei einfach eines zum anderen gekommen. Er erinnert sich an die Begebenheit, die ihn aufweckte. »Es war 1982. Krieg. Ein alter Mann kam in unser Dorf und küsste die Füße der Israelis, die dort stationiert waren. ›Was machst du, warum verehrst du die Eindringlinge?‹, fragte ich ihn. Er erzählte mir, dass die Palästinenser im Libanon die Männer aus dem Dorf an die Wand gestellt hätten, um sie zu erschießen. Die Israelis aber hätten sie gerettet. Da begann ich, mir meine Gedanken zu machen.«

Hisbollah In seiner Familie seien viele Mitglieder der Hisbollah gewesen. Auch er. Aber nur zum Schein. Denn schon früh habe er begonnen, für die Israelis zu spionieren. »Anfangs tat ich es allerdings aus Eigennutz.« Später jedoch dachte er weiter. »Wir hatten auf einmal Straßen, Wasser, Krankenhäuser, alles von den Israelis gebaut. ›Warum tun sie das für uns Araber?‹, fragte ich mich. Heute weiß ich, was Humanität ist.«

Doch noch gab es für Ibrahim kein Happy End. Die Hisbollah enttarnte ihn und folterte ihn monatelang. Sie brachten sein nur wenige Monate altes Baby vor seinen Augen um. Da war für ihn klar: »Jetzt arbeite ich erst recht für die Israelis – und zwar zu ihrem Nutzen, nicht mehr nur für meinen eigenen.«

»Zwölf lange Jahre gab ich ihnen meine ganze Kraft.« Immer auf der Hut, mit der Angst im Nacken, entdeckt zu werden. »Ich konnte keine Nacht mehr schlafen, war mir zu 95 Prozent sicher, dass ich das nicht lebend überstehen werde. Es gibt Dinge, die kommen mir heute unmöglich vor. Ich habe zu viel Schreckliches gesehen. Aber leider ist es wahr.« Seine Frau Ziva wusste alles, versicherte ihm, dass er das Richtige tue, dass der Libanon nicht ihr Land sei. Eines Tages im Jahr 1997 hatte Ibrahim genug. Er bat seine israelischen Vermittler, ihn und seine Familie über die Grenze zu schaffen.

Stolz So geschah es. »Und schon im selben Moment wusste ich, dass alle meine Kinder ihren Dienst für Israel ableisten werden.« Das taten sie. Die drei Söhne dienten in Kampfeinheiten, seine vier Töchter, wie für religiöse Mädchen üblich, leisteten Zivildienst. Was Abraham noch heute überrascht, ist die totale Akzeptanz der Israelis, die er nach eigenem Bekunden ständig erlebt. »Die Menschen und der Staat haben mir immer den Rücken gestärkt, meiner Familie in allen Belangen geholfen. Von der Wohnung über das Einkaufen bis zur Bildung meiner Kinder. Dass uns so viel Gutes entgegengebracht wird, hätte ich mir niemals träumen lassen.«

»Jetzt durfte ich sogar beim Präsidenten sein – das beste Gefühl überhaupt«, berichtet er mit Stolz in der Stimme. Amos ist mindestens genauso stolz auf seinen Vater. Darauf, wie er all die Schwierigkeiten überstand. »Und dass ich ihn, den ehemaligen Muslim aus dem Libanon, zum Präsidenten des israelischen Staates mitnehmen durfte, war, wie im Himmel zu sein«, schwärmt er. »Das Leben unserer Familie ist vielleicht kein besonders ebenmäßiger, runder Kreis. Aber dort, in der Residenz des Präsidenten, zusammen mit meinem Vater, da hat sich unser Kreis geschlossen.«

Ko Pha Ngan

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