Terror

Der Preis wird hoch sein

Israelische Soldaten warten an einer großen Straße in Jerusalem auf einen Bus (8. Oktober). Foto: Flash90

Sie nannten ihn Mr. Security. Benjamin Netanjahu galt jahrelang als »Premierminister der Sicherheit«. Doch in seiner sechsten Amtszeit brach eine der größten Tragödien in Israels Geschichte über ihn herein. Seit Monaten wurde gewarnt, dass die Sicherheit Israels gefährdet ist.

Immer wieder brachten die Führungsspitzen von Armee und Geheimdiensten, Opposition und Gruppen von Reservisten in der Protestbewegung gegen die Justizreform zur Sprache, dass der kleine Nahoststaat nicht mehr gegen seine Feinde gewappnet sei. Die düsteren Prognosen bewahrheiteten sich. Wie das geschehen konnte in einem Land, das sich fast permanent in Alarmbereitschaft befindet? Das fragen sich die Israelis alle. Regierung, Militär und Geheimdienste haben versagt, das ist unbestritten. Doch die Koalition in Jerusalem bleibt Antworten schuldig.

Pakt mit den Ultrarechten

Es war 2006, als ihm ein Slogan den Spitznamen »Bibi Bitachon« (Bibi Sicherheit) einbrachte. »Wir müssen stark gegen die Hamas sein«, tönte Netanjahu. Die Realität ist seit Jahren eine andere. Er stärkte die im Gazastreifen regierende Terrorgruppe und vermied es, entschieden gegen sie vorzugehen. Denn er hatte einen Pakt mit den Ultrarechten in Israel geschlossen. Die sicherten ihm sein politisches Überleben zu, auch nachdem er in drei Fällen wegen Korruption angeklagt worden war und sich alle Zentrumsparteien geweigert hatten, eine Koalition mit ihm zu bilden.

Doch die Allianz hat ihren Preis. Die rechtsextremen Parteien wie Religiöser Zionismus und Otzma Yehudit verlangen den Bau von jüdischen Siedlungen im palästinensischen Westjordanland und Schutz für ihre Bewohner. So wurden ganze Armeeeinheiten aus dem israelischen Süden an der Grenze zum Gazastreifen abgezogen, um dortige Terrorzellen zu bekämpfen und die Siedlungen zu bewachen.

Der einflussreiche Leiter des ägyptischen Sicherheitsdienstes, Abbas Kamal, soll Netanjahu zehn Tage zuvor gewarnt haben.

Netanjahus Befangenheit sei mittlerweile so ausgeprägt, dass er nicht einmal direkte Hinweise angenommen habe, berichten israelische Medien. Der einflussreiche Leiter des ägyptischen Sicherheitsdienstes, Abbas Kamal, habe ihn zehn Tage zuvor gewarnt. »Etwas Ungewöhnliches, eine schreckliche Operation« sei in Gaza geplant. Kamal sei schockiert gewesen, wie leichtfertig der Premier die Warnungen abgetan habe. Netanjahus Büro bezeichnete die Zeitungsberichte als »Fake News«.

»Es ist ein sehr trauriger Tag für Israel und ein sehr problematischer für unseren Staat und unser Volk«, fasst der ehemalige Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrats, Generalmajor Yaakov Amidror, zusammen, der für das Jerusalemer Institut für Strategie und Sicherheit (JISS) tätig ist. »Und es ist auch ein immenses Versagen des Geheimdienstsystems und des Militärs im Süden.«

Erschwerend bei der Einschätzung der Lage sei hinzugekommen, dass viele Sicherheitsexperten die Lage falsch eingeschätzt hätten. »Denn die Hamas ist nicht nur eine Terrororganisation, sondern auch die zivile Regierung von Gaza. Besonders in den vergangenen zwei Jahren sandte sie Signale gen Israel, dass sie eine effektive Regierung sein will. Viele dachten, dass sie sogar Attacken gegen uns von noch extremeren Gruppierungen, etwa dem Islamischen Dschihad, blockiert.«

Israel im Krieg

Besonders deutlich sei die »gewisse Normalisierung« durch die wachsende Zahl der Arbeitsgenehmigungen für Arbeiter aus dem Gazastreifen geworden, die täglich auf Baustellen in Israel beschäftigt sind. »Doch wir haben uns getäuscht«, gibt Amidror zu. »Eine Terrororganisation bleibt eine Terrororganisation.« Alle Untersuchungen des Geschehenen müssten jedoch warten bis nach dem Krieg. »Jetzt suchen wir nicht nach den Gründen oder denjenigen, die Schuld an dem Versagen haben. Jetzt ist Israel im Krieg.«

»Und nicht, weil Israel in einen Krieg wollte. Die Hamas hat den Krieg erklärt.« Amidror ist überzeugt, es gebe kein Land auf der Welt, das nach so einem Angriff nicht zurückschlagen würde, um die Machtverhältnisse zu ändern. Dabei gebe es vier Phasen: Zum einen sollen alle Terroristen, die nach Israel eindrangen, getötet werden. Dies sei mittlerweile bereits abgeschlossen, die Grenze wieder völlig dicht.

Anschließend würden alle »Ziele ins Visier genommen, die wir identifiziert haben und die Operationen gegen uns planen«. Auch hier gehe es darum, Hamas-Operateure zu töten und zu verhindern, dass sie weitere Raketen und Granaten auf Israel abfeuern. Dies werde mindestens einige Tage brauchen. Die Dauer hänge davon ab, wie sehr die israelische Armee auf Phase drei vorbereitet sei.

»Auf keinen Fall darf mit der Hamas verhandelt werden, bevor die Geiseln befreit sind.«

Amidrors Annahme ist, dass anschließend »der Gazastreifen zurückerobert wird«. Denn die »Zerstörung der kompletten Infrastruktur, der Anlagen und Fähigkeiten der Hamas zu funktionieren, bedeutet, dass wir in Gaza einmarschieren und die Verantwortlichen töten müssen. Das kann nicht aus der Luft oder durch die Artillerie geschehen, sondern muss von Truppen durchgeführt werden, die in den Streifen gehen.« Die Vorbereitung einer derart großen Operation brauche Zeit. »Doch die Entscheidung für eine Bodenoffensive«, betont Amidror, »ist noch nicht gefallen«

Auf keinen Fall dürfe mit der Hamas verhandelt werden, bevor die Geiseln befreit seien. »Wir dürfen nicht aufhören, Gaza zu bombardieren, bis alle gekidnappten Israelis zu Hause sind. Dies ist eine Vorbedingung für jeglichen Waffenstillstand.«

Hamas und internationales Recht

Im Anschluss an den Krieg müsse stehen, dass die Hamas niemals wieder ihre Kapazitäten aufbauen dürfe. »Die Bedeutung eines langen Krieges muss sein, dass wir nicht wieder zurückkehren zu dem, was war. Was auch immer gebraucht wird, um die militärischen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören, muss unternommen werden.« Natürlich würden zivile Einrichtungen der Hamas nicht ins Visier genommen, hebt er hervor. Leider halte sich die Terrororganisation nicht an internationales Recht. »Sie kämpfen aus bevölkerten Gegenden und nehmen ihre zivile Bevölkerung als Schutzschilde. So wie ich die Hamas kenne, werden sie diese Möglichkeit nicht aufgeben.«

Der Preis des Krieges werde sehr hoch sein, gibt Amidror zu bedenken. »Es wird viele Opfer auf beiden Seiten geben.« Derzeit sei die Unterstützung in der israelischen Gesellschaft und auch in der ganzen Welt für Israel zwar sehr hoch, »der Test aber wird sein, was geschieht, wenn die Opferzahlen in die Höhe gehen. Denn das werden sie. Es ist keine Frage, dass die Bevölkerungen leiden werden«. Amidror nimmt an, dass es lange dauern wird, bis die Kriegsziele erreicht sind. »Ich hoffe, es dauert nicht Jahre, sondern nur einige Monate. Aber es muss das letzte Mal gewesen sein, dass wir der Hamas erlaubt haben, Israel anzugreifen.«

Jerusalem/Fremont

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