Porträt

Der Moderator

Scheut sich nicht, die Wunderwaffe – seinen Charme – einzusetzen: Yair Lapid Foto: Flash90

Porträt

Der Moderator

Vom TV-Star zum Premierminister – Yair Lapid hat Naftali Bennett abgelöst und ist seit heute Nacht neuer Premier Israels

von Sabine Brandes  01.07.2022 13:58 Uhr

Man munkelt in Jerusalem, dass die Lederjacke nun endgültig eingemottet ist. Während er sich 2008 bei Übernahme der Top-Nachrichtensendung Ulpan Schischi noch selbstironisch mit den Worten vorstellte: »Schalom, ich bin Yair Lapid und trage einen Schlips«, so ist er mittlerweile in Anzug und Krawatte hineingewachsen. Sogar darin verströmt er noch jede Menge Sex-Appeal. Der einstige TV-Star Lapid wird nach Auflösung der Knesset zum 14. Ministerpräsidenten Israels.

Im Koalitionsvertrag zwischen Lapids Zentrumspartei Jesch Atid und Naftali Bennett von der rechtsgerichteten Jamina war vereinbart worden, dass Bennett als Erster auf dem Chefsessel sitzen wird, Lapid jedoch das Ruder übernimmt, sollte sich das Parlament auflösen. Das ist nun besiegelt. Am 1. November wird es zu Neuwahlen kommen.

Bis zu Neuwahlen wird Lapid als Premier fungieren. Es könnte auch sehr viel länger sein.

Bis dahin wird Lapid als Premier fungieren. Es könnte allerdings auch sehr viel länger sein. Und zwar nicht nur, wenn er es schaffen sollte, nach dem Ende der Wahlen eine neue Regierung auf die Beine zu stellen. Der ehemalige Regierungschef Benjamin Netanjahu vom rechtskonservativen Likud, heute Oppositionsführer, hatte auf diese Weise die Macht nahezu zwei Jahre lang durch mehrfache Wahlen ohne eindeutiges Ergebnis festhalten können.

Fast genau zehn Jahre dauerte es nach Lapids Einstieg in die Politik mit der Gründung seiner Partei Jesch Atid (»Es gibt eine Zukunft«), um ganz oben anzukommen. Dass er es einst so geplant hatte, ist bei den unvorhersehbaren Geschicken auf dem politischen Parkett in Jerusalem allerdings eher unwahrscheinlich.

durchbruch Dabei kam der Durchbruch – für viele völlig überraschend – schon bei den ersten Wahlen 2013, als Jesch Atid unter dem Vorsitz von Lapid 19 Sitze in der Knesset holte und zur zweitstärksten Fraktion avancierte. Im Parteiprogramm wird die Partei als zionistisch, patriotisch, liberal und zentristisch beschrieben.

Im Mittelpunkt stehen die Sicherheit Israels, das Streben nach einer regionalen Einigung und Trennung von den Palästinensern, der Kampf gegen Korruption, Integration der Werte des Judentums und der Demokratie, die Stärkung der Wirtschaft, der Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen, LGBTQ und Minderheiten sowie die Förderung von Bildung und Wissenschaft.

Damals galt Lapid bei vielen jungen Leuten, die wegen der überzogenen Lebenshaltungskosten enttäuscht waren, als Hoffnungsträger. Zwar wurde das Ergebnis von 2013 bislang nicht mehr übertroffen, jüngste Umfragen sagen ihm allerdings für die vorgezogene Wahl 21 Mandate voraus.

intellektueller Dennoch beschreiben ihn seine Gegner oft als zu glatt, zu oberflächlich und hinter vorgehaltener Hand auch als »zu aschkenasisch«. Ein echter Tel Avivi eben. Tatsächlich wurde Lapid 1963 in der Stadt am Mittelmeer geboren, als Sohn aschkenasischer Intellektueller. Sein Vater Yosef, besser bekannt als Tommy, war Schriftsteller, Journalist und Justizminister.

Shulamit Lapid, seine Mutter, gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen des Landes.

Shulamit Lapid, seine Mutter, gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen des Landes. Verheiratet ist er seit vielen Jahren mit der Buchautorin und Aktivistin für Menschen mit Behinderungen, Lihi Lapid, und er hat drei Kinder.

Doch Lapid straft seine Rivalen Lügen. Dass er talentiert ist, stellte er sowohl als Journalist, Buchautor, Schauspieler und Songwriter für Top-Ten-Hits in den israelischen Charts unter Beweis. Nicht wegen, sondern trotz des Titels »Mr. Sexy«. Auch mit seinen politischen Positionen ging es bergauf. In der Regierung unter Netanjahu wurde er Finanzminister, führte danach die Opposition an und ist seit Juni 2021 Außenminister sowie stellvertretender Ministerpräsident.

einfluss 2013 wurde er vom »Time Magazine« zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gezählt, im selben Jahr führte er die von der »Jerusalem Post« erstellte Liste der »einflussreichsten Juden« an.

Dabei weiß er, wenn er etwas nicht weiß. Doch statt sich auf das Wissen anderer zu verlassen, büffelt er die Materie mithilfe von Experten. Obwohl erst ein Jahr in der Politik, nahm er 2013 in Netanjahus Kabinett das Amt des Finanzministers an. Unkenrufe eilten ihm voraus, dass dies sein politisches Ende bringen würde. Welcher Geldverwalter ist schon populär? Stattdessen verringerte Lapid das Defizit im Haushalt um ein Viertel, das Land erhielt während seiner Amtszeit das höchste Credit Rating in seiner Geschichte.

Lapid weiß, wenn er etwas nicht weiß. Doch statt sich auf das Wissen anderer zu verlassen, büffelt er die Materie mithilfe von Experten.

Auch scheut er sich nicht, die Wunderwaffe einzusetzen: seinen Charme. Wie beim Antrittsbesuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock etwa, die er nach der Pressekonferenz mit seinem Megawatt-Lächeln anstrahlte und zum Abschied fest umarmte. Wer ihm dies allerdings als Flatterhaftigkeit auslegt, der unterschätzt den 58-Jährigen gewaltig.

Contenance Denn wie groß die Krise in Jerusalem auch sein mochte, nicht ein einziges Mal verlor er seine Contenance. Ob ihn der Bündnispartner Benny Gantz vor aller Augen sitzen ließ und mit Netanjahu gemeinsame Sache machte, oder das Ende der mit Mühen von ihm geschaffenen breitesten Koalition da war. Und doch gibt es sie, Momente, in denen er seine Fassung verliert.

So geschehen vor einigen Wochen, als das Kabinett einen Gesetzentwurf diskutierte, der eine halbe Milliarde Euro für Menschen mit Behinderungen genehmigen soll. Unter Tränen erzählte Lapid von seiner persönlichen Verbindung als Vater eines Kindes mit Autismus. »Ein echter Mentsch«, flüsterte man auf den Bänken.

All diese Eigenschaften werden dem designierten Premierminister Yair Lapid zugutekommen, wenn er das bedeutendste Amt im Staat übernimmt. Denn die Mehrheit der Israelis ist nicht davon überzeugt, dass er tatsächlich das Zeug zum Anführer ihres Landes hat – trotz gut sitzendem Anzug. Grund genug, sie jetzt davon zu überzeugen.

Berlin

Der falsche Konsens

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellt im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

Gazastreifen

Kein freies Geleit für Terroristen in Tunneln

Israel will feststeckende Hamas-Kämpfer angeblich nur unter strikten Bedingungen verschonen

von Sabine Brandes  27.11.2025

Geiseln

»Habe Angst, dass mein Sohn für immer verschwindet«

Ran Gvili und Sudthisak Rinthalak sind die letzten beiden verschleppten Männer in der Gewalt der Hamas in Gaza

von Sabine Brandes  27.11.2025

Jerusalem

Koalition stoppt Zusatzhilfen für freigelassene Geiseln

In der Knesset lehnt die Regierungsmehrheit hat einen Gesetzentwurf der Opposition ab, der Betroffenen eine sofortige finanzielle Unterstützung zusichern sollte

 27.11.2025

Westjordanland

»Nicht tolerieren«

Israels Politiker und Militärs verurteilen die Angriffe extremistischer Siedler und kündigen harte Konsequenzen an

von Sabine Brandes  26.11.2025

Jerusalem

Darum geht es im Machtkampf zwischen Eyal Zamir und Israel Katz

Premierminister Benjamin Netanjahu versucht den Streit zu schlichten und erwägt angeblich Neubesetzung

von Sabine Brandes  26.11.2025

7. Oktober

IDF-Bericht: Freiwillige im Moschav Yated verhinderten Massaker

Auch Einwohner, die nicht zum Sicherheitsteam gehören, tragen am 7. Oktober dazu bei, den Angriff palästinensischer Terroristen zu stoppen. Ihr Vorgehen sei vorbildlich, so die IDF

 26.11.2025

Terror

»Dror hätte es verdient, alt zu werden«

Die Leiche der Geisel Dror Or – Käsemacher aus dem Kibbuz Be’eri – kehrt nach 780 Tagen in Gaza nach Hause zurück

von Sabine Brandes  26.11.2025

Israel

Antisemitismus-Beauftragter wirft Sophie von der Tann Verharmlosung der Hamas-Massaker vor

Die ARD-Journalistin soll in einem Hintergrundgespräch gesagt haben, dass die Massaker vom 7. Oktober eine »Vorgeschichte« habe, die bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches zurückreiche

 25.11.2025