Gaza

Der Krieg geht weiter

Israels Regierung will, dass das Militär die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernimmt. Foto: copyright (c) Flash90 2024

Der Krieg im Gazastreifen soll in die nächste Runde gehen. Das Sicherheitskabinett in Jerusalem genehmigte am späten Sonntagabend einen Plan zur deutlichen Ausweitung der Militäroffensive gegen die Terrororganisation Hamas. Dafür, so gab die Armee (IDF) bekannt, habe sie bereits Zehntausende von Einberufungsbefehlen an Reservisten verschickt.

Regierungsvertreter hatten wiederholt gewarnt, dass das Militär eine Großoffensive starten werde, sollte nicht bald ein neues Geiselabkommen zustande kommen. Da dies nicht geschehen ist, wurde der Plan zur Ausweitung der Operation in Gaza einstimmig angenommen. Er sieht die »Eroberung Gazas und die Sicherung von Gebieten« vor, so die IDF. Umgesetzt werden soll er voraussichtlich erst nach dem Besuch von US-Präsident Donald Trump in der Region in der kommenden Woche.

Weiterhin 59 Geiseln in Gaza

Die Hamas hält weiterhin 59 Geiseln in Gaza gefangen, darunter mindestens 35, deren Tod bestätigt wurde. Sie gehören zu den 251 Menschen, die am 7. Oktober 2023 von Terroristen verschleppt wurden, als die Hamas mit mehr als 5000 Kämpfern in den südlichen Gemeinden Israels einfiel, mehr als 1200 Menschen massakrierte, Tausende verletzte und damit den Krieg auslöste.

Die IDF werde die Kontrolle über Gebiete in Gaza übernehmen, heißt es weiter. Die Zivilbevölkerung soll nach Süden evakuiert werden, die Hamas bekämpft und daran gehindert werden, die Kontrolle über die humanitäre Hilfe zu übernehmen, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender Kan. Der Plan sei schrittweise angelegt und konzentriere sich zunächst auf ein bestimmtes, nicht näher bezeichnetes Gebiet innerhalb des Gazastreifens, bevor er ausgeweitet werde.

Das Militär geht davon aus, dass die Hamas in einigen Gegenden, insbesondere im Zentrum, noch über viele organisierte Kräfte verfügt. Dort arbeite die Terrorgruppe daran, ihre »qualitativ hochwertigen« Kämpfer zu trainieren und gleichzeitig Jugendliche zu rekrutieren.

Vorschlag zur Wiederaufnahme der Hilfslieferungen nach Gaza

Darüber hinaus, so der Bericht, habe das Sicherheitskabinett einem Vorschlag zur Wiederaufnahme der Hilfslieferungen nach Gaza zugestimmt und gleichzeitig den Modus überarbeitet, um die Abzweigung der Güter durch die Hamas zu minimieren. Der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, stimmte als Einziger gegen diesen Vorschlag. Nach Angaben von Beamten, die mit der Angelegenheit vertraut sind, werden israelische Soldaten nicht direkt an der Verteilung der humanitären Hilfe beteiligt. Stattdessen würden private Dienstleister und internationale Organisationen beauftragt, die Güter auszugeben.

Als Generalstabschef Eyal Zamir das Vorhaben zur Ausweitung der Militäraktionen vorstellte, warnte er zugleich: »Bei einem Plan für eine groß angelegte Operation werden wir die Geiseln nicht unbedingt erreichen«, meldete der TV-Kanal 13. »Denken Sie daran, dass dies auf Kosten der Geiseln gehen könnte.« Zamir habe auch behauptet, »die beiden Kriegsziele, die Niederlage der Hamas und die Rettung der Geiseln«, seien nicht miteinander zu vereinbaren.

Premierminister Benjamin Netanjahu indes beharrt darauf, dass militärischer Druck die Geiseln zurückbringen werde. In einer Videobotschaft verkündete er, worauf die Militärkampagne in Gaza ausgerichtet sei. Das Kabinett konzentriere sich auf zwei Missionen, so der Premier: »Erstens, unsere Geiseln zu befreien. Zweitens, die Hamas zu besiegen. Die Hamas wird es nicht mehr geben. In Kriegen trifft man eine Entscheidung – für den Sieg«, fügte er hinzu und schlug auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Dabei wies er die Behauptung zurück, dass er den Krieg aus politischen Gründen führe. Es gehe darum, Hamas und Hisbollah nicht an Israels Grenzen zu belassen.

»Dieser Plan bringt die Geiseln in höchste Lebensgefahr.«

Ex-Brigadegeneral Ephraim Sneh

Er betonte auch, dass die Forderungen von Regierungskritikern, Einberufungsbefehle zu verweigern, aufhören müssten, da sie die Hamas ermutigten. »Wir werden in Gaza einen vollständigen Sieg erringen«, resümierte Netanjahu, »und der wird die Geiseln nach Hause bringen«.

Dieser Argumentation widerspricht Ephraim Sneh. Er ist israelischer Politiker und pensionierter Brigadegeneral der IDF. Von 1992 bis 2008 war er Knessetabgeordneter für die Arbeitspartei und hatte mehrere Ministerposten inne. »Die Ausweitung der Bodenoffensive stimmt nicht mit dem Kriegsziel überein, das die große Mehrheit der Israelis will: unsere Geiseln nach Hause zu holen. Im Gegenteil: Dieser Plan bringt sie in höchste Lebensgefahr.«

Eine reguläre Armee mit Einheiten und Anführern

Seiner Meinung nach tauge der Plan auch nicht dazu, die Terroristen in Gaza zu besiegen. »Als die Hamas am 7. Oktober den Krieg gegen uns begann, funktionierte sie wie eine reguläre Armee mit Einheiten und Anführern. Heute besteht sie hauptsächlich noch aus Guerillakämpfern, die sich unter den 2,2 Millionen Einwohnern verstecken. Diese Reste der Hamas zu zerstören, würde einen Zermürbungskrieg nach sich ziehen und extrem lange dauern«, so Sneh.

Dass die Hamas aber besiegt werden müsse, darin stimme er mit der Regierung vollends überein. »Eine schwache Hamas an unserer Grenze hat zum 7. Oktober geführt. Diese Terrororganisation hat die Zerstörung des jüdischen Staates auf ihrer Agenda, und deshalb muss sie verschwinden«, sagt Sneh. Allerdings sieht er einen anderen Weg, um dies zu erreichen. »Sie muss entmachtet und durch eine andere arabische oder nicht-terroristische palästinensische Führung ersetzt werden.«

Sneh ist Mitglied einer Bewegung von ehemaligen Befehlshabern im Militär- und Geheim- sowie im diplomatischen Dienst: Commanders for Israel’s Security. »Wir alle klagen die Regierung an, dass sie Innenpolitiker die Kriegsführung bestimmen lässt.« Die aktuelle Entscheidung für eine Großoffensive in Gaza habe nur einen einzigen Grund: »Sie soll die Koalition von Premierminister Benjamin Netanjahu sichern«, ist Sneh überzeugt.

»Ausweitung des Krieges zur Bedingung gemacht«

»Seine rechtsextremen Partner haben die Ausweitung des Krieges zur Bedingung gemacht, dass sie in der Regierung bleiben, und deshalb geschieht es.« Die israelische Bevölkerung werde einen hohen Preis zahlen, sagt Sneh, »und dabei wird keines der Kriegsziele erreicht werden, weder die Zerstörung der Hamas noch die Befreiung der Geiseln«.

Auch das Familienforum der Geiselangehörigen reagierte am Montag auf die Entscheidung des Sicherheitskabinetts und die Worte von IDF-Chef Zamir: »Diese Warnungen sollten jedem Israeli schlaflose Nächte bereiten. Eine überwältigende Mehrheit der Nation ist sich einig, dass ein Sieg Israels ohne die Rückkehr der Geiseln nicht möglich ist. Der Verlust der entführten Menschen bedeutet eine Niederlage. Die nationale Sicherheit und die soziale Stabilität hängen von der Rückkehr aller Geiseln ab – jeder einzelnen.«

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