Kandidat

Der bodenständige Prinz

Benny Gantz Foto: Flash 90

In militärischen Kreisen nannte man ihn den Prinzen. Nicht wegen seines abgehobenen Auftretens, sondern ganz im Gegenteil: Benny Gantz ist bekannt für seine Bescheidenheit und Bodenständigkeit. Den royalen Titel verliehen ihm die Kameraden wegen seines offenbar mühelosen Aufstiegs in den Rängen der Armee. Er schaffte es bis ganz nach oben. Von 2011 bis 2015 war er der 20. Generalstabschef der IDF.

Wohlklang Ähnlich geschmeidig geht es in seiner politischen Karriere weiter. Es ist nicht einmal ein Jahr her, dass Gantz im Januar seine Partei vorstellte. Zwar mit einem Namen, der weder in Israel noch im Ausland für seinen Wohlklang gelobt wurde – Chosen L’Israel (Widerstandsfähigkeit für Israel) –, dem Erfolg tat das aber keinen Abbruch. Auch hier ganz im Gegenteil.

Innerhalb von drei Monaten gründete seine Partei im Bündnis mit Yair Lapids Jesch Atid und Telem von Ex-Verteidigungsminister Mosche Yaalon das Zentrumsbündnis Kachol-Lawan, übersetzt Blau-Weiß.

Zu den Farben der Landesflagge haben die meisten Israelis eine positive Verbindung. Es war nicht der einzige Grund für die 35 Knessetsitze, die dem Bündnis bei den ersten Wahlen im April 2019 praktisch zuflogen. Der alteingesessene Likud mit Premierminister Benjamin Netanjahu an der Spitze holte nicht einen einzigen mehr.

MOSCHAW Doch was ist es, das dem politischen Newcomer einen derartigen Auftrieb gibt? Gantz, geboren 1959 als Sohn von Holocaust-Überlebenden aus Ungarn und Rumänien, wuchs im Moschaw Kfar Achim im Zentrum des Landes auf. Er ist kein Mann der lauten Worte, eher bekannt für sein Schweigen und seine Zurückhaltung. Ehemalige Soldaten sagen über ihn, dass er in der Armee kaum je seine Stimme erhob. »Er hat ganz ruhig etwas gesagt, und dann wollten alle es tun.« Auch in extrem gefährlichen Situationen habe Gantz die Ruhe behalten. Etwas, das ihm großen Respekt einbrachte.

Ehemalige IDF-Soldaten schwärmen von seiner natürlichen Autorität.

Alon Tal, die Nummer 37 auf der Liste von Blau-Weiß und einst Soldat unter Gantz, gibt sich schwärmerisch: »Er ist ein Naturtalent als Anführer. Er versucht es nicht – er ist einfach.« Anführer würden nicht gemacht, »sie werden geboren. Und Benny ist genau so einer«. In der Armee-Einheit sei vielen klar gewesen, dass es der Kommandant einst zum obersten Chef des Militärs bringen würde. »Weil er einfach der beste Offizier war, den irgendjemand von uns jemals hatte«, so Tal. In der Armee könne man nichts verbergen. »Entweder hat man einen moralischen Kompass – oder nicht. Er hat ihn.«

Bevor ihn die Armee als Fallschirmspringer einzog, lebte der junge Gantz im Internat Kfar Hajarok. In der landwirtschaftlichen Schule im Norden von Tel Aviv kennt man ihn noch heute. Denn selbst als Stabschef hat er keine einzige traditionelle Schawuot-Feier verpasst.

Dann sitzt der hochgewachsene Mann neben Schülern und Eltern auf den Holzbänken und lässt sich Falafel und Käsekuchen schmecken, die auf Buffets auf dem Rasen aufgebaut sind. Auf der Bühne spricht er über die Bedeutung der kommenden Generationen und lobt den Einsatz der jungen Israelis für ihr Land. Gantz hat mit seiner Frau Revital vier Kinder und lebt in der Kleinstadt Hod Hascharon im Zentrum.

ISRAELISCHKEIT Während Netanjahu durch Eloquenz und Erfahrung besticht, ist es Gantz’ Bodenständigkeit, die bei den Menschen gut ankommt. Es sei genau diese »Israelischkeit«, die ihn der Bevölkerung näherbringt. »Gantz ist wie das menschgewordene Salz der Erde«, schreibt Chemi Shalev in der linksliberalen Tageszeitung Haaretz. »Seine Biografie liest sich wie ein Lexikon der israelischen Klischees: Sohn von Schoa-Überlebenden, geboren und aufgewachsen im landwirtschaftlichen Moschaw, Fallschirmspringer, Eliteeinheiten, General und Stabschef.«

Es scheint, als hätte der alteingesessene Likud diesen Newcomer bei seinem Auftakt auf dem politischen Parkett unterschätzt. Nach einigen zugegeben holprigen Interviews im Fernsehen charakterisierte die rivalisierende Partei ihn als »durchgedreht, einen Verrückten, der völlig ungeeignet ist, das Land zu führen«. Stimmen hat ihn das kaum gekostet. Denn generell haben viele Israelis kein Problem damit, politische Unerfahrenheit zu verzeihen. In Sachen Sicherheit aber verlangen sie Wissen und Können. Und mit seinen drei erfahrenen Ex-Stabschefs, darunter ein Verteidigungsminister, kann niemand Blau-Weiß einen Mangel daran ankreiden.

Manchen stört sein Unwille, sich in zentralen Fragen festzulegen.

Was Gantz allerdings verstärkt vorgeworfen wird, ist sein Unwille, sich in verschiedenen Kernfragen Israels festzulegen. Wie sieht er die Siedlungspolitik? Was hat er mit Gaza vor? Antworten auf diese und andere bedeutende Fragen gibt es nur wenige. Zwar hat er mehrfach betont, dass er sich für einen israelisch-palästinensischen Frieden starkmachen will, doch der Ex-Stabschef ist sicher kein Linker, wie ihn seine Gegner oft abfällig bezeichnen. Er ist im politischen Zentrum angesiedelt, mit Mosche Yaalon, einem Ex-Likudnik, als Nummer drei der Union.

ROTATION Nach den Neuwahlen im September signalisierte Benny Gantz mehrfach, dass er bereit ist, eine Einheitsregierung mit dem Likud zu bilden. Damals hatte die Union 33 Mandate geholt und der Likud 32. Allerdings schloss er aus, mit einem »Premier unter Anklage an der Spitze« zu koalieren. Seitdem herrscht in Israel eine tiefe Regierungskrise. Am 3. März müssen die Israelis zum dritten Mal an die Urnen – innerhalb eines einzigen Jahres.

Seinen Mitstreiter Yair Lapid hat Gantz längst in den Schatten gestellt.

Netanjahu muss sich wegen Korruption in drei Fällen vor Gericht verantworten. Er beteuert seine Unschuld und will weder das Amt des Ministerpräsidenten noch das des Parteivorsitzenden abgeben. Mittlerweile jedoch scheint seine Macht in der Partei immer mehr zu bröckeln.

Nachdem ihn anfangs lediglich der einstige Bildungsminister Gideon Saar herausforderte und bei den parteiinternen Vorwahlen am 26. Dezember gegen ihn als Vorsitzender antreten will, äußerte jetzt auch Likud-Urgestein Benny Begin, Netanjahu solle zurücktreten.

Chefsessel Blau-Weiß stellte seine Liste zwar von Anfang an mit Gantz an der Spitze vor, doch Yair Lapid, als Nummer zwei, hätte im Falle einer Beteiligung an einer Regierung ebenfalls durch ein Rotationsprinzip auf dem Chefsessel Platz nehmen sollen. Nach der Hälfte der Zeit hätte der einstige Journalist Lapid Gantz abgelöst. Vielen Wählern schien das nicht zu gefallen – nach dem Motto »Können die sich denn nicht auf einen einigen?«.

Das haben sie nun getan. Vor einigen Tagen verkündete Lapid: »Ein großes und vereintes Blau-Weiß wird hinter Benny Gantz als Kandidat für das Amt des Premierministers stehen.« Es sei keine Aufgabe, sondern »ein Privileg, ein Teil des Wandels zu sein, den das Land dringend braucht«. In den neuesten Umfrageergebnissen des öffentlich-rechtlichen Senders Kan bringt es der Likud auf 31 Mandate und Blau-Weiß auf 35. Gantz tut das, wofür er bekannt ist: Er schweigt und wartet ab.

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