Bildung

Blauer Brief von der OECD

Wie viele Schüler passen in ein Klassenzimmer? Gymnasium in Jerusalem Foto: Flash 90

Seit Montag ist es wieder laut auf den Straßen. Die Sommerferien sind da. Und mit ihnen kommen Scharen gelangweilter Kinder, die Eisdielen, Kioske, Parks und Häuserecken bevölkern. Doch nicht alle sind in Urlaubsstimmung: Kurz vor der Zeugnisausgabe erhielt das israelische Bildungssystem noch einen dicken blauen Brief nach Hause: Der jährliche Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) war da.

Die OECD verwendete hauptsächlich Zahlen aus dem Jahr 2011 für ihre Studie. Diese zeigt, dass Bildung im Volk des Buches nicht das ist, was sie sein sollte. In vielen Bereichen hinkt das Schulsystem den meisten westlichen Staaten hinterher. Und das, obwohl das Budget des Bildungsministeriums mit mehr als acht Milliarden Euro das zweithöchste im gesamten Kabinett ist.

Pro Kopf jedoch sind die Ausgaben in jeder Altersgruppe vergleichsweise gering, gingen in den vergangenen zehn Jahren sogar zurück. Für jedes Kindergartenkind werden 2991 Euro veranschlagt, der Durchschnitt liegt bei 5173 Euro. Für Oberschüler ab Klasse sieben gibt Israel rund 2700 Euro weniger aus als die Mehrheit der OECD-Länder. Lediglich Mexiko, Chile, Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik und Polen investieren noch geringere Summen. Eine Top-Versorgung gibt es in der Schweiz mit 11.400 Euro, gefolgt von den USA, die jährlich 9500 Euro für die Ausbildung ihrer Schüler hinblättern.

dritte welt Dabei sind die Ausgaben für Bildung in Relation zu den allgemeinen öffentlichen Ausgaben im Westen generell gestiegen, gibt die OECD an – nur in Japan, Neuseeland, Frankreich, Portugal und Israel nicht. Damit in Zusammenhang steht nach Angaben des Berichts auch die Größe der Klassen. Viele Mitgliedstaaten hätten die Zahl der Kinder pro Schulklasse in den Jahren 2010 und 2011 verringert. Die israelischen Lehrstuben jedoch sind mit einem Durchschnitt von 28,4 Kindern überfüllt wie eh und je. Zum Vergleich: In Finnland drücken 21,3 Mädchen und Jungs die Schulbank, in Griechenland 16,9. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 21,3 Kindern.

»Beschämend« findet das Gymnasiallehrer Juval Adar. »Man merkt an allen Ecken, dass viel zu wenig in unsere Jugend investiert wird. Oft lässt die Ausstattung in den Schulen zu wünschen übrig, sind die Materialien veraltet oder fehlen ganz.« Zwar habe sich nach der Reform des Bildungssystems unter dem Motto »Neuer Horizont« vor einigen Jahren für die Lehrer einiges gebessert, besonders im Hinblick auf die Bezahlung, für die Schüler aber seien die Aussichten noch düsterer geworden. »Wir unterrichten hier oft nicht so, wie es in einem westlichen Land sein sollte, sondern wie in der Dritten Welt.«

Dabei ist Schule in Israel sogar teurer als in vielen anderen Ländern. Gerade entschied das hiesige Bildungsministerium, dass die Gebühren im kommenden Jahr um 15 bis 20 Prozent erhöht werden dürfen. Damit müssen Eltern für ihre Sprösslinge in der Grundschule pro Jahr mehr als 400 Euro und in der Oberschule bis zu 600 Euro bezahlen. Die Beträge sollen außerplanmäßige Kosten wie Ausflüge, Partys, Sicherheitspersonal am Eingang sowie zusätzliche Kurse im Stundenplan abdecken.

Keytanot Und auch damit haben Israelis noch lange nicht alles berappt. Dabei ist es nicht so, dass sich niemand darüber beklagt. Ab März oder April haben israelische Eltern praktisch nur noch ein Thema: die Keytanot. Diese Sommercamps gibt es bereits für Drei- bis Fünfjährige, da die staatlichen Kindergärten im Land den gesamten August über ihre Pforten schließen, die meisten Eltern aber arbeiten müssen.

Für diese Zeit stellen dann private Anbieter Kurse für die Kleinen zusammen, die sie sich teuer bezahlen lassen. Zwei Wochen »Schnupperkurs in der Natur« kosten in Tel Aviv rund 300 Euro für ein Kind. Staatliche Zuschüsse gibt es für die Sommercamps nicht.

Ruin Dabei haben viele Israelis mehr als ein Kind. Nicht selten bringen die Keytanot Familien an den Rand des finanziellen Ruins. Die Sahawis aus Benjamina haben drei Sprösslinge im Alter von zwei bis acht. Mutter Schiri arbeitet als Kindergärtnerin, Vater Schlomo ist Sachbearbeiter bei einer Versicherung. »Wir fürchten uns jedes Jahr regelrecht vor den Sommerferien«, sagt Schiri und zwinkert. »Dann erhöht sich unser Minus bei der Bank immer dramatisch.« Trotz des Humors schwingt Ernst in ihrer Stimme mit.

Sie und ihr Mann haben drei Wochen Urlaub pro Jahr, mit Überstunden kommen sie auf vier. »Doch im Laufe des Jahres nehmen wir einen Großteil davon, mal ist ein Kind krank, mal müssen wir etwas Dringendes erledigen. Im Sommer sind nie mehr als ein, maximal zwei Wochen übrig.« Also müssen Keytanot her, um die Kleinen in den sieben Wochen dauernden Ferien zu beschäftigen. Da der Jüngste der Sahawis eine private Krippe besucht, die das ganze Jahr über geöffnet ist, brauchen sie für ihn keinen Kurs zu buchen. Die Gebühren von 500 Euro monatlich für die Krippe aber werden weiter vom Konto abgebucht.

Wasser-Spaß-Kurs Die größeren Kinder, Ben mit sechs Jahren und Schachar mit acht, wollen nach Ferienbeginn beschäftigt werden. Also geht es in die Keytanot. Ben will in diesem Jahr in zwei Wochen lernen, wie man ein Wissenschaftler wird, Kosten: 280 Euro. Die Tochter möchte tanzen und zum bei ihren Freundinnen beliebten »Wasser-Spaß-Kurs« gehen. Kosten jeweils um die 200 Euro. Doch damit sind die Kinder gerade einmal für zwei Wochen bis zum frühen Nachmittag untergebracht. Abzüglich der etwa 14 Tage, die die Eltern zu Hause bleiben können, sind weitere drei Wochen übrig, die überbrückt werden müssen.

Wie? »Das wissen wir ehrlich gesagt auch noch nicht«, sagt Schiri. »Eigentlich brauchen wir Keytanot für die gesamten Ferien. Doch natürlich können wir das nicht bezahlen. Also werden wir es wohl so machen wie jedes Jahr: bei Eltern und Freunden betteln, dass sie einspringen, ganz viel improvisieren und hoffen, dass die Ferien schnell vorbei sind.«

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