Omikron

Außer Kontrolle?

Warteschlange vor dem Corona-Testzentrum auf dem Habima-Platz in Tel Aviv am 4. Januar Foto: Flash 90

Zuerst die gute Nachricht: Israel öffnet seine Grenzen wieder für geimpfte Reisende aus (fast) allen Ländern der Welt. Nun der Grund – und damit die schlechte Nachricht: Die Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus sei ohnehin nicht mehr aufzuhalten, eine Abriegelung des Landes also absurd, heißt es vonseiten der Regierung in Jerusalem.

Stundenlang stehen die Israelis derzeit Schlange und warten auf einen Test. Egal, ob PCR oder Antigen, der Massenandrang reißt nicht ab. Während die Infektionsraten durch die Omikron-Variante des Coronavirus auch in dem Nahoststaat binnen Tagen Rekordhöhen erreichten, sind die Teststationen von Nord bis Süd völlig überlastet. Es fehlt an Personal und Ausrüstung. Immer mehr Menschen treffen mit einer positiv getesteten Person zusammen. Sind sie vollständig geimpft, können sie sich aus der Quarantäne testen. Und dafür nehmen sie das Warten in Kauf.

An der Drojanow-Grundschule in Tel Aviv sitzen am Dienstag von knapp 100 Kindern im dritten Jahrgang weniger als 30 in den Klassenräumen. Alle anderen sind in Quarantäne, weil einer der Lehrer an Corona erkrankt ist. Die meisten Mädchen und Jungen waren nicht zweimal geimpft und müssen somit sieben Tage zu Hause bleiben. Die Schulleitung versucht, die Routine mit Zoom-Unterricht zumindest einigermaßen aufrechtzuerhalten.

SCHWERKRANKE Am selben Tag hatten die neuen Coronavirus-Fälle zum ersten Mal seit September die fünfstellige Marke überschritten. Am Mittwoch lag sie mit fast 12.000 Infizierten bei der höchsten jemals verzeichneten Zahl. Auch wurden mehr Schwerkranke in den Krankenhäusern verzeichnet, die Anzahl hält sich jedoch immer noch in Grenzen. Derzeit werden 125 Menschen mit einem schweren Verlauf von Covid-19 behandelt.

Führende Gesundheitsexperten gehen mittlerweile davon aus, dass innerhalb der kommenden Wochen jeder vierte oder dritte Israeli mit der Omikron-Variante infiziert sein wird.

Führende Gesundheitsexperten gehen mittlerweile davon aus, dass innerhalb der kommenden Wochen jeder vierte oder dritte Israeli mit der Omikron-Variante infiziert sein wird. Premierminister Naftali Bennett bestätigte dies am Wochenbeginn. Man müsse jetzt »effektiv in die Zukunft blicken«. Ziel sei es nach wie vor, »die Wirtschaft so gut wie möglich funktionieren zu lassen und gleichzeitig die Schwächsten unter uns zu schützen«.

Viele Experten meinen, neue Restriktionen seien bei dieser extrem ansteckenden Variante und den explodierenden Infektionen ohnehin wenig effektiv. Daher werde die Möglichkeit einer Herdenimmunität wieder in Betracht gezogen. Der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Nachman Ash, bestätigte in einem Interview, dass Israel diese erreichen könne – auf Kosten sehr vieler Infektionen. »Die Zahlen müssen hoch sein, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Wir wollen es nicht durch Infektionen erreichen, sondern besser durch viele Impfungen«, sagte Ash.

krankenhäuser Ronni Gamzu ist überzeugt, dass die aktuelle Welle dem Land sicher Herdenimmunität verleihen und Krankenhäuser nicht überfordern werde. »Denn die hohe Übertragbarkeit von Omikron bedeutet, dass sich so viele Menschen unweigerlich anstecken werden, dass das Land in einem Zustand der Herdenimmunität die Welle verlassen wird.«

Der einstige Corona-Berater der Regierung und Geschäftsführer des Sourasky-Krankenhauses in Tel Aviv lobte die Entscheidung der Regierung, eine vierte Impfung anzubieten: »Das ist so logisch wie eins plus eins zwei sind.«

Laut Gamzus Analyse wird eine Herdenimmunität eintreten, wenn sich eine große Anzahl der Einwohner nach einer Omikron-Infektion erholt, ergänzt um die Immunität, die durch Impfstoffe gewonnen wurde. »Alles in allem werden uns die genesenen Menschen sowie die Geimpften und Geboosterten eine Herdenimmunität verleihen.«

TOURISMUS Israels anhaltende (wenn auch gelockerte) Einreisebeschränkungen aus dem Ausland wies er indes als »nutzlos« zurück, da Omikron sich innerhalb des Landes verbreite. Ab 9. Januar dürfen gegen das Coronavirus geimpfte Touristen wieder nach Israel einreisen. Die Erlaubnis gilt aber nur für Einreisende aus Ländern, die nicht als Hochrisikogebiet eingestuft sind.

Nach der Ankunft in Israel müssen Touristen für 24 Stunden oder bis zum Erhalt eines negativen PCR-Tests in Quarantäne. Einige Länder, darunter die USA und Großbritannien, befinden sich nach wie vor auf der sogenannten roten Liste.

Ab dem 9. Januar dürfen wieder geimpfte Touristen aus bestimmten Ländern nach Israel einreisen.

Die Leiterin des öffentlichen Gesundheitswesens im Gesundheitsministerium, Sharon Alroy-Preis, gab in einem Interview in Kanal 13 zu, dass der von Omikron ausgelöste Ausbruch »außer Kontrolle« sei. »Wir versuchen so gut wie möglich, Infektionen zu reduzieren und die Wucht dieser Welle zu verringern, aber es ist klar, es wird eine hohe Welle sein.«

Alroy-Preis erklärte, dass sich das Ministerium in erster Linie darauf konzentriere, schwere Covid-19-Fälle zu verhindern, und nicht nur auf die Eindämmung der Infektionsrate achte. Gleichsam wies sie Berichte zurück, denen zufolge Gesundheitsbeamte bereits offiziell eine Politik verfolgten, die es dem Virus erlaubte, sich zu verbreiten, in der Hoffnung, dass der ansteckendere, aber weniger bedrohliche Stamm des Coronavirus schnell die Bevölkerung durchseuchen würde. »Wir wissen nicht, ob es eine Welle ist, die uns alle überschwemmt, es eine Art Herdenimmunität geben und danach alles gut wird.«

VIERTE DOSIS Nachdem Israel in der vergangenen Woche als eines der ersten Länder der Welt damit begonnen hatte, die vierte Dosis für Gesundheitspersonal und Immungeschwächte zu verabreichen, hat Jerusalem die Kampagne des zweiten Boosters nun ausgeweitet. Die Regierung hofft, dass sie die Omikron-Welle zumindest in gewisser Weise zurückschlagen kann, indem die Situation den gefährdetsten Bevölkerungsgruppen einen zusätzlichen Schub des Impfschutzes verabreicht.

»Eine Woche nach dem Beginn der Verabreichung wissen wir mit höherer Sicherheit, dass die vierte Dosis sicher ist«, sagte der Premierminister im Sheba Medical Center, als er vorläufige Ergebnisse einer Studie präsentierte. Das israelische Krankenhaus verabreicht seinen Mitarbeitern eine zweite Auffrischungsimpfung und wertet die Ergebnisse in einer Untersuchung aus, der ersten weltweit.

»Die zweite Neuigkeit: Wir wissen, dass eine Woche nach Verabreichung einer vierten Dosis eine fünffache Anzahl der Antikörper bei der geimpften Person festgestellt wird«, erklärte Bennett. »Dies bedeutet höchstwahrscheinlich eine bedeutende Verbesserung des Schutzes gegen Infektionen und schwere Symptome sowie weniger Krankenhausaufenthalte.«

Nahost

Israel greift Huthi-Anlagen im Jemen an

Die Huthi-Miliz im Jemen feuert immer wieder Raketen in Richtung Israel. Der jüdische Staat reagiert mit eigenen Schlägen - auch jetzt wieder

 16.09.2025

Meinung

Für das Leben entscheiden

Die Fortführung der Kampfhandlungen in Gaza gefährdet das Leben der Geiseln und den moralischen Fortbestand Israels. Es ist Zeit, diesen Krieg zu beenden

von Sabine Brandes  16.09.2025

Genf

UN-Kommission wirft Israel Genozid vor

In einem Bericht ist von vier erfüllten Tatbeständen des Völkermords die Rede. Die Weltorganisation verweist auf »das Verhalten politischer und militärischer Behörden«

 16.09.2025

Sarah Cohn-Fantl auf einem Gelände, auf dem Hilfslieferungen für Gaza lagern

Gaza

Hilfspakete so weit das Auge reicht

Nur selten lässt Israel Journalisten in das Kriegsgebiet. Unsere Autorin war vergangenen Mittwoch bei einer von der Armee begleiteten Fahrt am Rande des Küstenstreifens dabei und berichtet von ihren Eindrücken

von Sarah Cohen-Fantl  16.09.2025

Nahost

Bericht: Netanjahu informierte Trump vor Angriff in Doha

Der israelische Ministerpräsident soll den US-Präsidenten fast eine Stunde vor der Attacke auf Hamas-Führer unterrichtet haben. Trumps Version der Ereignisse klang dagegen ganz anders

 16.09.2025

Jerusalem

Rubio äußert Zweifel an diplomatischer Lösung für Gaza-Krieg

Der US-Außenminister trifft in Israel Vertreter des Landes. In einem Interview äußert er sich dort zu den Chancen für ein Ende des von der Hamas begonnenen Krieges

 16.09.2025

Nahost

Gaza-Stadt: Bodenoffensive der IDF beginnt

Während die israelische Armee vorrückt, protestieren dagegen Angehörige von Geiseln vor der Residenz Netanjahus in Jerusalem

 16.09.2025

Nahost

Bericht: Mossad verweigerte Doha-Angriff

Dem Luftangriff gegen die Hamas-Anführer in Katar gingen offenbar schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierung und Geheimdienst voran

von Sabine Brandes  15.09.2025

Gazakrieg

Wie sich Emily Damari den Terroristen widersetzte

Die ehemalige Geisel hat in London über ihre Gefangenschaft in Gaza gesprochen und darüber, wie sie trotz schrecklicher Bedingungen eine »aktive Rolle« einnehmen konnte

 15.09.2025