»WannaCry«

Aufrüsten im Cyberkrieg

Der nächste Angriff kommt bestimmt. Foto: Thinkstock

Sie treffen sich in sogenannten War Rooms. Aber diese Zimmer haben keine Wände, sie existieren rein virtuell. Nach dem Cyberangriff vom Freitag, bei dem mehr als 150 Länder angegriffen wurden, rüstet sich Israel. Mit Teams von »guten Hackern« und einer nationalen Behörde für Cybersicherheit, die im Notfall sofort ihre Gemeinde um sich schart und auf zwei Prinzipien setzt: Kommunikation und Kooperation.

Auch Premierminister Benjamin Netanjahu macht mobil. »Wir befinden uns mitten in einem weltweiten Cyberangriff, von dem viele Länder betroffen sind. Bislang ist noch keine bedeutende israelische Infrastruktur betroffen«, erklärte er bei der Kabinettseröffnung am Wochenbeginn, aber warnte zugleich: »Das kann sich schnell ändern.« Der Regierungschef rief alle Bürger auf, sich an die Weisungen der nationalen Cyberbehörde zu halten.

Die Attacke war reinste Erpressung. Mit der Malware »WannaCry«, die eine Schwachstelle in Windows ausnutzt, wurden sämtliche Daten auf Rechnern blockiert. Darunter die von britischen Krankenhäusern, die daraufhin Behandlungen absa- gen mussten. Anschließend erhielten die Betroffenen eine Lösegeldforderung. Nach der Zahlung wurden die Daten wieder freigeschaltet. Es war die umfangreichste Cyber-Angriffswelle, die je vermeldet wurde. Sie legte Systeme in der ganzen Welt lahm. Vor allem in Russland, den USA, Großbritannien, doch auch in Europa und Indien. Es soll mehr als 200.000 Geschädigte geben.

Erpressung Die Start-up-Nation Israel gilt als führend in Sachen Cybersicherheit, vor allem bei der Forschung. Israelische Security- und Internetfirmen genießen weltweit einen hervorragenden Ruf. Nach Meinung von Yoni Schohet, Geschäftsführer des Cybersecurity-Unternehmens SCADAfence, passt dieser Angriff genau ins Bild. Er weiß, dass die meisten Hacker im Internet kaum politisch motiviert sind, sondern schlicht Geld wollen.

Doch dadurch kann immenser Schaden angerichtet werden. Die Hacker hätten generell sensible Anlagen im Visier: Energie- und Wasserversorger, Krankenhäuser, Transportunternehmen und -anlagen, industrielle Produktion, Flug- und Seehäfen. »Und die Folgen können desaströs sein. Denn der angerichtete Schaden ist real. Eine Produktion kann gestoppt, Anlagen geschädigt oder ganze Bereiche für das öffentliche Leben ausgeschaltet werden – ein Albtraum für jede Regierung und jedes Unternehmen.«

Dabei waren in dem kleinen Nahoststaat selbst nach ersten Angaben der nationalen Behörde für Cybersicherheit nur wenige Unternehmen betroffen. Zwar seien Systeme angegriffen, doch die Attacken zumeist blockiert worden. Ein Grund dafür war das Timing. Am Freitag, nach Beginn des Schabbats, waren die meisten Computer von Regierungseinrichtungen, Organisationen und Firmen heruntergefahren. »Aber wir sind noch dabei, die einzelnen Fälle zu untersuchen«, sagte Behördenleiter Baruch Carmeli am Montag.

Das schnelle Eingreifen von Cyberspezialisten habe definitiv Schlimmeres verhindert. Mittlerweile ist der Virus weltweit gestoppt. Doch bis zum nächsten sei es nur eine Frage der Zeit. Daher arbeiten die israelischen Experten seit dem Angriff rund um die Uhr, um zu erfahren, was geschehen ist, und vor allem, um sicherzustellen, dass man zukünftig gewappnet ist.

Netanjahu Die Cyberbehörde wird schon heute von den besten Computer- und Internetspezialisten des Landes beraten. »Doch das ist nicht genug«, ist Netanjahu angesichts der neuen Bedrohung überzeugt. »Es gibt Entwicklungen, und wir müssen dementsprechend mehr investieren, damit Israels zivile und militärische Einrichtungen geschützt werden.« Carmeli erklärte, man sei mit vielen Spezialisten im In- und Ausland in Kontakt, um besser vorbereitet zu sein.

Als sich der Angriff weltweit ausbreitete, waren die Israelis rund um die Uhr aktiv. Die nationale Cyberbehörde kontaktierte die landesweite Cybergemeinschaft und trommelte im Eilverfahren die Mitglieder des israelischen Cyberforums zusammen, dem 250 Mitglieder aus dem öffentlichen und privaten Sektor angehören.

Der Geschäftsführer der privaten Firma White Hat, Scharon Nimirowski, war dabei: »Es war eine riesengroße Gruppendiskussion, bei der jeder Mitspracherecht hatte und sein Wissen beisteuerte. Wir analysierten gemeinsam, was geschehen war.« Alle zusammen hätten auf diese Weise den Angriff blockiert. Es sei die Kooperation gewesen, die funktioniert habe. Anschließend sandte die Behörde an alle großen Unternehmen und Einrichtungen Hilfsanweisungen aus und postete Instruktionen auf ihrer Website.

Glück »Es war ein bisschen wie in einem Krieg«, so Nimirowski. »Jeder hat seine Uniform übergeworfen und trat an.« Allerdings habe auch das Glück mitgespielt. »Es war Schabbat, als angegriffen wurde. Was wäre an einem Montag oder Dienstag geschehen? Das weiß niemand.«

Dass der nächste Angriff, wahrscheinlich ausgeklügelter und noch umfangreicher, schon in Vorbereitung ist, davon ist »Acute« überzeugt. Der Mittzwanziger ist Hacker. Viele Firmen im Cyberbereich beschäftigen heute ehemalige Hacker. Einige von ihnen waren zuvor auf nicht ganz legalen Pfaden im Web unterwegs. »Acute« erzählt im Skype-Interview mit der Jüdischen Allgemeinen, er habe zwar auch früher niemanden geschädigt, »aber meine Tätigkeiten im Netz waren vielleicht nicht immer komplett koscher«. Jetzt ist er als freier Berater bei einer privaten Internet-Finanzfirma angestellt, um sie vor Hackerangriffen zu schützen. »Sie schätzen meine Kontakte zur Szene, mein Wissen und meinen Einblick ins Darknet, und dafür stelle ich Rechnungen.«

Warum er den Weg aus dem Dunkel ins Legale gewählt hat, begründet »Acute« so: »Ich wollte nicht mit der Angst leben, immer mit einem Fuß im Knast zu stehen. Eigentlich bin ich ein normaler Typ und will ein normales Leben, Frau, Kinder, ein kleines Haus. Bevor ich in die Illegalität abgedriftet bin, habe ich glücklicherweise begriffen, dass ich meine Fähigkeiten auch für das Gute einsetzen kann. Ich helfe jetzt dabei, unschuldige Leute vor Hackerangriffen zu schützen. Das fühlt sich besser an. Und außerdem wird es hervorragend bezahlt.«

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