Kaum ein Auge blieb trocken, als am Mittwochnachmittag die Melodie von »Shir Lelo Shem« über den Platz der Geiseln in Tel Aviv klang. Denn an dem ikonischen gelben Klavier saß der, für den es vor fast zwei Jahren aufgestellt worden war: Alon Ohel. Der junge Mann, ein talentierter Musiker, der nach 737 Tagen aus der Gewalt der Hamas in Gaza freikam, spielte – und das Lied ohne Namen von Yehudit Ravitz erklang.
Es sei dieses eine Stück gewesen, das ihm durch die schlimmsten Tage in der Hölle von Gaza geholfen habe, sagte er. Das Lied, komponiert von Shalom Hanoch und uraufgeführt von der Sängerin Yehudit Ravitz, war zudem das letzte Lied, das er vor seiner Entführung beim Nova-Festival auf dem Klavier in seinem Schlafzimmer gespielt hatte.
Am Tag seiner Freilassung am 13. Oktober auf dem Flug ins Krankenhaus im Helikopter schrieb der 24-Jährige eine Strophe daraus auf eine Tafel: »Ein Lied ist ein Windhauch, mein Fenster ist geöffnet, die Quelle meiner Stärke, Lachen und Weinen, das Ende meiner Tortur. Ich bin zu Hause.«
Auf jedem Klavier stand die hoffnungsvolle Botschaft: »Alon – you are not alone«
Seine Mutter, Idit Ohel, hatte die Initiative der »gelben Klaviere« für ihren Sohn in der ganzen Welt ins Leben gerufen. Dabei beschrieb sie die Musikinstrumente als »Leuchtfeuer«. Auf jedem Klavier stand die hoffnungsvolle Botschaft: »Alon – you are not alone« (Alon – du bist nicht allein).
»All diese Liebe erreichte mich auch 50 Meter unter der Erde in Gaza«, sagte der junge Mann nach seiner Rückkehr. »Ich habe sie in jedem Augenblick gespürt.« An diesem Tag war für die Anwesenden auf dem Platz der Geiseln – Familienangehörige anderer Geiseln, Unterstützer, Passanten – das Konzert mehr als nur Musik. Es war ein Symbol des Überlebens, der Widerstandskraft und des nationalen Zusammenhalts.
Idit Ohel: »Jeden Tag wird Alon stärker. Jeden Tag geht er einen weiteren Schritt in sein neues Leben.«
Zwei Tage zuvor war Alon Ohel im Rabin Medical Center untersucht worden. Während seiner Entführung durch die Hamas am 7. Oktober 2023 war er durch Schrapnelle an den Augen verwundet worden. In der Geiselhaft in Gaza blieben die Verletzungen unbehandelt.
Seine Mutter schrieb dazu auf Facebook: »Wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe. Und wie lange Alon auf diesen Moment gewartet hat. Über zwei Jahre lang haben die Familie, Freunde, ganz Israel und sogar die ganze Welt gewarnt: Wenn Alon nicht sofort medizinisch versorgt wird, könnte er erblinden.«
»Und heute sitzt er vor der Leiterin der Augenklinik im Rabin Medical Center, Irit Bahar, die Ärztin, die ihn operiert hat und für sein Augenlicht kämpft.« Alon habe die Hölle durchgemacht, so seine Mutter weiter. »Aber er ist nicht zusammengebrochen. Vor ein paar Tagen sagte er zu mir: ‚Mama, ich konnte nicht zusammenbrechen, weil ich wusste, dass du hinter mir stehst.‘«
Menschen warten darauf, seine Geschichte zu hören
»Jeden Tag wird Alon stärker. Jeden Tag geht er einen weiteren Schritt in sein neues Leben«, fügte sie hinzu. Er fange wieder an zu essen, zu lächeln, und werde behandelt, um das Sehvermögen in seinem verletzten Auge wiederzuerlangen.
Es sei ihr klar, dass die Menschen darauf warten würden, Alons Geschichte zu hören. Und sie wisse, dass es dabei nicht um Neugierde gehe, sondern um den gemeinsamen Kampf und um echte Sorge. »Und ich verspreche: Irgendwann wird es so weit sein. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, wird Alon sie erzählen.«