Neta und Yuval haben es sich richtig gemütlich gemacht. Mitten auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv sitzen sie auf zwei lila Plastikstühlen, Decken über ihren Knien, und prosten sich gegenseitig mit ihren Gläsern zu. »Auf das Leben und auf unsere Stadt, die heute besonders schön ist«, sagt Neta Baron, während sie sich verzückt umschaut. Denn über ihren Köpfen funkeln Bögen aus warmen Lichtern, die den Boulevard wie ein festliches Dach überspannen. Chanukka steht vor der Tür, und die Stadt Tel Aviv hat sich herausgeputzt.
Die beiden Frauen haben Wein von zu Hause mitgebracht, Pizza bei Tony Vespa gegenüber bestellt, und aus einem der Handys rieseln die neuesten Isra-Hits in die Nacht. Sie singen leise mit, lachen, lassen erneut die Gläser klingen. Yuval Ben-Ami holt tief Luft, atmet langsam aus, und ein kleiner Seufzer des Glücks ist zu hören. »Gut geht es uns.« Dabei waren die vergangenen Jahre extrem hart, doch jetzt, findet sie, müsse Schluss mit der Trübsal sein. »Wir haben nur dieses eine Leben, und jetzt ist es Zeit, das wieder zu genießen.«
Seit Jahren hat der Vize-Bürgermeister davon geträumt, »den Schalter umzulegen«
Ganz nach diesem Motto hat der erste stellvertretende Bürgermeister Assaf Zamir Tel Aviv-Jaffa in ein glitzerndes Lichtermeer verwandelt. »Die Beleuchtung ist Teil einer Initiative, damit Chanukka für die ganze Stadt zu einem großen Fest gemacht werden kann«, erklärt er. Seit Jahren habe er davon geträumt, endlich »den Schalter umzulegen«.
Für Zamir gibt es dafür gute Gründe: »Nach einer für uns alle so schwierigen Zeit hat uns die relative Ruhepause im Krieg die Möglichkeit zum Durchatmen gegeben. Und so haben wir beschlossen, endlich loszulegen und den Traum wahr werden zu lassen.«
Genau deshalb sind in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt gleich mehrere Hauptstraßen, prominente Plätze sowie Brücken und Parks mit neunarmigen Leuchtern, Leuchtgirlanden und Chanukka-Ornamenten in Szene gesetzt worden. Doch es geht nicht nur ums Licht. »Das Jahresende ist auch eine wunderbare Gelegenheit, den Tourismus im Land anzukurbeln. Und da es im Dezember in Israel noch schön warm ist, hoffen wir, dass auch internationale Gäste wiederkommen.« Neben der Beleuchtung gehören auch Konzerte, Märkte und das öffentliche Anzünden großer Leuchter zum Tel Aviver Chanukka-Spektakel. Das wirkt wie ein Magnet.
Die Stadt betont, man habe sich vom Winterspektakel in Europa inspirieren lassen.
So kam beispielsweise Vladimir Layzerov eigens mit seiner kleinen Tochter zu dem Platz vor dem Habima-Theater, um durch den Lichterglanz zu spazieren. Begeistert dreht sich die Fünfjährige unter den neun Lichtbögen – jeder steht für eine Chanukkakerze – und ruft voller Freude: »Es ist sooo schön, Papa!« Ihr Vater nickt. »Wir kommen aus der Ukraine. Dort waren die Städte im Winter immer geschmückt. Auch wenn wir kein Weihnachten feierten, die Lichter habe ich geliebt. Genau diese festliche Stimmung habe ich in Israel immer ein wenig vermisst. Aber Tel Aviv so strahlend zu sehen, wärmt mein Herz.«
Zamir hat sich von den winterlichen Lichterstädten Europas und Nordamerikas inspirieren lassen und alles persönlich mitgestaltet. Darauf ist er stolz: »Jede Installation, jedes Ornament ist durch meine Hände gegangen. Ich kenne jedes einzelne Element.« Der Rothschild-Boulevard, die Ausgehmeile der Stadt, glitzert jetzt auf eineinhalb Kilometern Länge. Dicke Girlanden spannen sich quer über die Straße, daran hängen Chanukkaleuchter und farbenfrohe Dreidel – Kreisel in Grün, Gelb, Pink, Lila und Blau. Kinder bleiben stehen, staunen, und manche versuchen gleich, um imaginäres Chanukkagelt zu spielen.
Die Tradition der Weihnachtsmärkte findet auf jüdische Weise ihren Weg nach Tel Aviv
Auch die Tradition der Weihnachtsmärkte findet auf jüdische Weise ihren Weg nach Tel Aviv – ohne Tannenbaum und Christkind, dafür mit Levivot, Sufganiot und natürlich mit »europäischem Glühwein«, wie Zamir schmunzelnd zugibt. Der Platz vor dem Habima-Theater verwandelt sich so in einen winterlichen Chanukka-Markt, in warmes Licht getaucht. Stände mit Handwerk, Kunst und kulinarischen Köstlichkeiten säumen die Wege, auf der Bühne wechseln sich Shows und DJs ab.
Einige Installationen sind interaktiv. In Jaffa steht ein riesiger, beleuchteter Kreisel: Ein Sensor erkennt Besucher, startet eine Licht-Show, und man darf raten, auf welcher Seite der Kreisel stehen bleibt. Eine gute Gelegenheit, um die Schokoladenmünzen aus den Manteltaschen zu holen. Naschen ausdrücklich erlaubt! Wenn ab dem 14. Dezember die Menschen in Israel über acht Tage hinweg in ihren Wohnungen die Chanukkakerzen anzünden und die kleinen Leuchter in die Fenster stellen, werden private und öffentliche Räume miteinander verschmelzen – zu einem einzigen, großen Leuchten. Auf diesen Moment freut sich Zamir besonders. »Nach all den schwierigen Ereignissen, dem Krieg und dem Kampf um die Geiseln brauchen die Menschen etwas, das ihnen Halt gibt und Freude schenkt.«
Die diesjährige Lichter-Show sei ein Pilotversuch, betont er. Doch schon kurz nach dem Einschalten der ersten Installationen hätten ihn zahlreiche Nachrichten erreicht, voller Begeisterung darüber, wie schön alles sei und wie warm den Menschen dabei ums Herz werde. Ob er das als Ansporn sieht, das Ganze im kommenden Jahr vielleicht noch opulenter zu gestalten? Er lacht. »Auf jeden Fall. Wenn große Straßen wie die Allenby und Ibn Gvirol nach dem U-Bahnbau wieder freigegeben sind, werden auch sie leuchtend erstrahlen.« Klotzen statt kleckern gilt wohl nun nicht mehr nur für die traditionellen, fettigen Chanukka-Speisen. »Ich möchte, dass die ganze Stadt leuchtet«, erklärt Zamir begeistert – und man glaubt es ihm sofort.