Protest

400 endlose Tage in der Hölle

»Lama hem adein be’Aza?«, skandieren die Tausenden in den Nachthimmel von Tel Aviv. Trommler und Trillerpfeifen stimmen rhythmisch in den dramatischen Sprechgesang ein. »Warum sind sie noch immer in Gaza?« Eine Antwort bekommen sie nicht. An diesem Samstagabend ist die Zahl 400 überall zu sehen. 400 endlose Tage werden die 101 Geiseln bereits in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen festgehalten.

»Und es darf nicht eine weitere runde Zahl werden«, schreit Einav Zangauker ins Mikrofon direkt neben dem Hauptquartier der israelischen Armee an der Beginstraße. »Ich bin eine Mutter, die seit 400 Tagen nicht schläft, nicht isst, nicht atmen kann.« Schmal sieht sie aus und müde, die alleinerziehende Mutter aus Ofakim, die seit 400 Tagen um ihren Sohn Matan kämpft. Doch sie ist entschlossen, alles zu tun, was ihren Sohn zurückbringen kann.

Der 25-jährige Israeli wurde am 7. Oktober zusammen mit seiner Freundin Ilana Gritzewsky aus seinem Kibbutz Nir Oz von Hamas-Terroristen entführt. Die junge Frau kam durch ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas Ende November 2023 frei. Matan blieb in Gaza zurück.

Schlachtruf für die Geiseln: »Kulam ach’schaw - alle jetzt!«

Auch die ehemalige Geisel spricht an diesem Abend zu den Unterstützern, die klatschen, als sie ans Mikrofon tritt. »Es bricht mir das Herz. Jeden einzelnen Tag. Manchmal, wenn ich an diese schreckliche Zeit in Gaza zurückdenke, weiß ich nicht, wie ich es überstanden habe. Doch dann denke ich, dass ich es überlebt habe, um für Matan und alle anderen Geiseln zu kämpfen, sagt sie und ruft dann den Schlachtruf der Proteste für einen Geiseldeal: »Kulam ach’schwav – alle jetzt!«

Es war der größte Protest seit der Einführung einer Begrenzung der Menschenmengen seitens der Regierung im September. Vor der Kundgebung gaben Angehörige von Geiseln vor dem Hauptquartier des Verteidigungsministeriums eine Erklärung ab, in der sie sagten, die kürzliche Entlassung des ehemaligen Verteidigungsministers Yoav Gallant sei »eine weitere Torpedierung eines Geiselnahme- und Waffenstillstands-Abkommens durch Premierminister Benjamin Netanjahu«.

»Für einige israelische Politiker ist das Schicksal der Geiseln nur eines der Ziele und sicherlich nicht das wichtigste«.

Die Erklärung der Angehörigen (darunter Zangauker, Danny Elgarat, Yehuda Cohen und Merav Svirsky) bezieht sich auch auf das jüngste Durchsickern vertraulicher Geheimdienstinformationen aus dem Büro des Premierministers. Nach Ansicht eines israelischen Gerichts hätten dadurch die Bemühungen um die Freilassung der Geiseln in Gaza untergraben werden können. Die Affäre, so sagten sie, sei »eine Einfluss- und Betrugskampagne, um einen Deal zu torpedieren und den Familien der Geiseln zu schaden.«

Einen Häuserblock weiter sind einige Hundert Menschen aus Solidarität mit den Angehörigen der Verschleppten auf den Platz der Geiseln vor dem Museum gekommen. Das Forum der Familien von Geiseln und Vermissten wies darauf hin, dass die Kundgebung auf den 86. Jahrestag der Pogromnacht in Deutschland fiel und so eine direkte Verbindung zwischen dem Nazi-Pogrom und den Aktionen der Hamas am 7. Oktober 2023 herstellte.

Zusammen mit einer Gruppe weiß gekleideter Mütter eröffnet Niva Wenkert, die Mutter der Geisel Omer Wenkert, die Kundgebung mit einem Aufruf, sich der »Shift 101«, einer stillen Protestgruppe, anzuschließen.

Auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, spricht zu den Demonstranten »als Vertreter Deutschlands und aus Verantwortung« mit Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft. »Ich muss zugeben, dass es uns bisher nicht gelungen ist, alle nach Hause zu bringen. Alle Gespräche mit denen, die Einfluss auf die Hamas haben, sind gescheitert«.

Journalist fragt Premier, wo sein »jüdisches Gewissen« sei

Seibert nennt Geiseln mit deutscher Staatsbürgerschaft oder in Verwandtschaft mit deutschen Staatsbürgern und sagt: »Das sind Deutsche oder Familienangehörige von Deutschen, und wir wollen sie zurück.« Auf Hebräisch fügt er hinzu, dass für einige israelische Politiker »das Schicksal der Geiseln nur eines der Ziele sei und sicherlich nicht das wichtigste«.

Später äußert sich auch der Journalist Shai Golden, der früher bei dem rechtsgerichteten Fernsehkanal Channel 14 arbeitete, doch ihn vor einer Weile verließ und sich jetzt für einen Geiseldeal einsetzt. »Was ist mit Ihrem jüdischen Gewissen passiert, Herr Premierminister?«, fragt er. »Senden Sie Ihr Verhandlungsteam dorthin, wo es nötig ist, und sagen Sie ihnen einen einzigen Satz: Wagen Sie es nicht, ohne einen Geiseldeal zurückzukommen.«

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

Nahost

Heftige Gefechte in Syrien: Erneut mehrere Tote. Jetzt schaltet sich Israel ein

Eine Tonaufnahme löst in Syrien erneut eine Welle der Gewalt aus. Mehrere Menschen werden getötet

von Amira Rajab, Nehal ElSherif  30.04.2025

Essay

Warum ich stolz auf Israel bin

Das Land ist trotz der Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht zusammengebrochen, sondern widerstandsfähig und hoffnungsvoll geblieben. Eine Liebeserklärung

von Alon David  30.04.2025 Aktualisiert

Israel

Massive Brände breiten sich weiter aus

Starke Winde fachen die Feuer rund um Jerusalem an. Es wird an rund 20 verschiedenen Stellen Brandstiftung vermutet

von Sabine Brandes  30.04.2025

Jom Haatzmaut

»Ich habe keine Unabhängigkeit, weil sie immer noch dort sind«

Der aus dem Gazastreifen befreite Yarden Bibas bittet die Israelis, sich einer Solidaritätsaktion für die noch verbleibenden Geiseln anzuschließen

von Sabine Brandes  30.04.2025

Bern

Schweizer Juden reagieren auf Verbot der Terrororganisation Hamas

Deutschland hat die Terrororganisation schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verboten. Die Schweiz zieht jetzt erst nach

 30.04.2025

Nationaler Notstand

Jom-Haazmaut-Feiern wegen Feuer abgesagt

Im Umkreis von Jerusalem sind die schweren Waldbrände nicht unter Kontrolle zu bekommen. Straßen werden gesperrt und Wohnorte geräumt

 30.04.2025

Arbel Yehoud

Ex-Hamas Geisel berichtet erstmals ausführlich von ihrem Schicksal

Die 29-Jährige aus dem Kibbuz Nir Oz war fast 500 Tage in den Fängen der palästinensischen Terroristen

 30.04.2025

Raanana

Randale bei israelisch-palästinensischem Gedenken an Opfer

Bei Tel Aviv greifen ultrarechte Aktivisten Zuschauer einer Gedenkfeier sowie Polizisten an. Auch in Tel Aviv kommt es zu einem Vorfall

 30.04.2025