Kreszentia Hummel

»Ich verneige mich vor ihr«

Die höchste Auszeichnung, die der Staat Israel an nichtjüdische Menschen zu vergeben hat, bekommen keine hochrangigen Politiker, wissenschaftlichen Koryphäen, Spitzensportler oder Filmstars. Den Titel »Gerechter unter den Völkern« erhalten Menschen, die während des Nationalsozialismus Juden vor den Vernichtungslagern der Nazis retteten – und dabei ihr eigenes Leben riskierten.

Urkunde und Medaille werden auch postum verliehen, so wie in der vergangenen Woche im Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern an Kreszentia Hummel. Sie war es, die Charlotte Knobloch, die heutige IKG-Präsidentin, als Kind vor dem Tod im Vernichtungslager bewahrte.

Um seine Tochter Charlotte vor der drohenden Deportation zu retten, hatte der jüdische Münchner Rechtsanwalt Siegfried Neuland im Jahr 1942 ein sicheres Versteck für sie auf dem Land gesucht. Kreszentia Hummel, das ehemalige Dienstmädchen der Familie, willigte ein, die zehnjährige Charlotte auf dem Bauernhof ihrer Familie in der Nähe von Ansbach aufzunehmen. Dort gab sie das Mädchen als uneheliche Tochter aus und versorgte sie drei Jahre lang bis zum Ende des Krieges.

vorbilder Welche Gratwanderung Kreszentia Hummel mit dieser lebensgefährlichen Entscheidung unternahm, ist Charlotte Knobloch, die die Ehrung der »Gerechten unter den Völkern« als »Verneigung vor dem Menschsein« bezeichnete, seit Langem bewusst. Bei der Feierstunde sagte sie mit Blick auf ihren ebenfalls anwesenden Sohn Bernd und ihre Enkeltochter Jessica in diesem Zusammenhang tief bewegt: »Kreszentia Hummel hat mich gerettet, meine Kinder, meine Kindeskinder. Ich verneige mich vor ihr nicht nur heute, sondern an jedem Tag meines Lebens.«

Wie wichtig die Ehrung der »Gerechten unter den Völkern« von Bayerns Staatsregierung genommen wird, zeigte sich auch an der Anwesenheit von Innenminister Joachim Herrmann, der für diesen Termin sogar die Koalitionsverhandlungen in Berlin unterbrochen hatte. Er bezeichnete die »Gerechten unter den Völkern« als »strahlende Vorbilder«, für die Menschlichkeit das Maß ihres Handelns gewesen ist. Kreszentia Hummel sei eine dieser Persönlichkeiten gewesen und habe Charlotte Knobloch das Weiterleben ermöglicht. Direkt an die IKG-Präsidentin gewandt, sagte er: »Sie sind der großartigste jüdische Mensch, den man sich vorstellen kann.«

Wie zuvor schon die IKG-Präsidentin, die sich besorgt über die rechtspopulistischen, antisemitischen und israelfeindlichen Tendenzen zeigte, warf auch Bayerns Innenminister einen Blick auf die gerade in den Bundestag eingezogene rechtsradikale und zum Teil völkische AfD. »Wer die Sinnhaftigkeit des Holocaust-Mahnmals in Berlin infrage stellt und ein Ende der Erinnerungskultur fordert, der hat nicht nur aus der Geschichte nichts gelernt, sondern der ist auch auf einem völlig falschen Pfad in die Zukunft«, erklärte er.

verbundenheit Den hohen Wert der Auszeichnung, der nicht nur darin begründet ist, die Erinnerung zu bewahren, sondern auch eine Vorbildfunktion für individuelles Handeln hat, beschrieben Sandra Witte von der israelischen Botschaft, Harry Habermann vom Vorstand des Freundeskreises von Yad Vashem Deutschland und Arik Rav-On, Yad-Vashem-Direktor für die deutschsprachigen Länder.

Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, wies in seiner Rede auf die besondere politische Situation Israels in Nahost hin, der einzigen Demokratie in der Region, und auf die tiefe Verbundenheit zwischen dem jüdischen Staat und der Bundesrepublik. Die Ehrung als »Gerechter unter den Völkern« sei dafür ein ganz besonderer Ausdruck.

Neben Kreszentia Hummel zeichnete die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem auch Alois und Maria Elsner postum als »Gerechte unter den Völkern« aus. Der Landsberger Alois Elsner wurde im Mai 1943 unter anderem wegen »mangelnder Disziplin« aus der NSDAP ausgeschlossen. Als Kaminkehrermeister war er auch zuständig für die Reinigung der Kamine in den Fabriken in den Kauferinger Arbeitslagern, die die Nazis ab 1944 als Nebenlager des Konzentrationslagers Dachau eingerichtet hatten.

familie So wurde Alois Elsner Zeuge der unmenschlichen Behandlung der meist jüdischen Gefangenen und begann mithilfe seiner Frau Maria, die Insassen heimlich mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kleidung zu versorgen. Nach Kriegsende erhielt das Ehepaar Elsner zahlreiche Briefe, in denen sich ehemalige Zwangsarbeiter für die lebensrettende Hilfe bedankten.

Die postum verliehenen Ehrungen nahmen Nachfahren der Familien entgegen; bei Kreszentia Hummel war es der Neffe Johann Graf, bei den Elsners der Sohn, der als Kaminkehrermeister beruflich in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist. In einer kurzen Rede sagte er über seine Eltern: »Etwas anderes wäre für sie gar nicht infrage gekommen.«

Yad Vashem, die nationale Holocaust-Gedenkstätte des Staates Israel in Jerusalem, erinnert seit rund 60 Jahren mit der Verleihung des Titels »Gerechter unter den Völkern« an diejenigen Nichtjuden, die ihr Leben für das Leben von Juden riskierten. Sandra Witte von der israelischen Botschaft nannte beim Festabend im Gemeindezentrum auch die genauen Zahlen. 26.513 Menschen aus mehr als 50 Ländern wurden demnach bisher ausgezeichnet, darunter auch 601 Deutsche.

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024