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Hassliebe München

Lion Feuchtwanger ist einer der weltweit meistgelesenen deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Der Historiker Andreas Heusler, Leiter der Sachgebiete »Zeitgeschichte« und »Jüdische Geschichte« des Stadtarchivs, hat nun nach umfangreichen Recherchen eine Biografie über den berühmten Sohn Münchens, der vor den Nazis in die USA fliehen konnte, verfasst. Lion Feuchtwanger. Münchner. Emigrant. Weltbürger lautet die Studie des Feuchtwanger-Experten nicht von ungefähr.

Die Vorstellung seines Buchs im voll besetzten Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums stieß auf große Zustimmung. Unter den Gästen, die sich das Gespräch mit dem Autor nicht entgehen lassen wollten, befand sich auch Altoberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Über dessen Besuch freute sich insbesondere Präsidentin Charlotte Knobloch, die ihn als »echten Freund der jüdischen Gemeinde« ganz besonders herzlich willkommen hieß.

uneitel Die besondere Leistung von Andreas Heusler, die Biografie überhaupt schreiben zu können, ist darin begründet, dass Lion Feuchtwanger nur sehr wenig über sich selbst preisgab. Zudem habe er nie autobiografisch geschrieben, ließ Heusler die Besucher im Burda-Saal wissen. »Feuchtwanger war bescheiden. Als Schriftsteller wollte er zwar wahrgenommen werden, aber er war ein beeindruckend uneitler, zurückhaltender Mensch, der nicht im Rampenlicht stehen wollte.«

Feuchtwanger war nach Überzeugung Heuslers ein politisch denkender Mensch: »Er warnte als einer der ersten vor der nationalsozialistischen Gefahr.« Das war noch in einer Zeit, wie Charlotte Knobloch in ihrer Begrüßungsrede erwähnte, als die jüdische Gemeinde das kulturelle Leben besonders stark prägte. »Vom Judentum als Träger kultureller Erfahrungen hat er sich nie getrennt. Es war ihm ein identitätsstiftendes Merkmal, Jude zu sein, und er bekannte sich vorbehaltlos zu seiner Jüdischkeit«, beschreibt Heusler den Autor von Jud Süß und Erfolg.

Mehr Probleme, wie Biograf Heusler den Zuhörern erklärte, hatte Lion Feuchtwanger mit seiner Beziehung zu München, einer Art Hassliebe: »Sie war geprägt von permanenten Enttäuschungen. Als junger ambitionierter Schriftsteller wollte er sich in der literarischen Szene etablieren. Doch von den Arrivierten wurde er immer wieder zurückgestoßen. Und ihn störte das selbstgerechte und selbstgefällig in sich ruhende München, dieses Bierkelleridyll, das die Keimzelle des Nationalsozialismus in sich trug.« In seinem Roman Erfolg brachte Lion Feuchtwanger diese Stimmungslage prägnant auf den Punkt.

flucht 1933, als die Nazis die Macht an sich rissen, verließ Lion Feuchtwanger seine Heimatstadt, genauer: Er kehrte nicht nach München zurück. Andreas Heusler beschreibt diese Flucht in seinem Buch, aus dem bei der Präsentation »BR-Stimme« Gabi Hinterstoisser immer wieder Passagen vorlas, sehr genau.

In ihrer Eingangsrede hatte Charlotte Knobloch die Vorahnung Feuchtwangers der kommenden Entwicklung und Bedrohung bereits mit einer Passage aus seinem 1920 veröffentlichten satirischen Text Gespräche mit dem Ewigen Juden gezeigt. Sie zitierte: »Türme von hebräischen Büchern verbrannten, und Scheiterhaufen waren aufgerichtet, hoch bis in die Wolken, und Menschen verkohlten, zahllose, und Priesterstimmen sangen dazu: Gloria in excelsis Deo. Züge von Männern, Frauen, Kindern schleppten sich über den Platz, von allen Seiten; sie waren nackt oder in Lumpen, und sie hatten nichts mit sich als Leichen und die Fetzen von Bücherrollen, von zerrissenen, geschändeten, mit Kot besudelten Bücherrollen.«

Lion Feuchtwanger befand sich bei der Machtergreifung der Nazis in New York, wo ihn die ersten noch nicht ganz greifbaren Nachrichten erreichten. Auf der Rückreise, so Heusler in seinem Buch, wurde Feuchtwanger die Dimension des politischen Desasters klar: »Da spürte er, dass etwas im Entstehen war, das alle Grenzen überschreitet und die Kulturnation Deutschland in den Abgrund führt. Und da fiel auch seine Entscheidung, nicht mehr nach München zurückzukehren, sondern ins Exil nach Österreich, anschließend in die Schweiz und nach Südfrankreich zu gehen, um sich am Ende in Amerika niederzulassen.«

sehnsucht Lion Feuchtwanger blieb bis zu seinem Tod 1958 in den USA, auch wenn er sich mitunter, vielleicht sogar oft, nach Europa zurücksehnte. Auch die Antwort auf die Frage, warum er blieb, beschreibt Andreas Heusler in seiner bemerkenswerten Biografie. »Er war ganz stark im Hier und Jetzt verhaftet und hat die Gegenwart gelebt. Und die Gegenwart in seinem Wohnort Pacific Palisades, mit seiner Bibliothek und einer Reihe von intellektuell inspirierenden Gesprächspartnern wie Thomas Mann war für ihn eine so behagliche, ihm gemäße, dass er sie nur um einer besseren willen hätte aufgeben wollen. Und die war weder in West- noch in Ostdeutschland zu finden.«

Wie er dort lebte, macht der Dokumentarfilm von Thomas Manns Privatsekretär Albrecht Joseph aus dem Jahr 1956 deutlich, der Lion Feuchtwanger und seine Frau und Muse Marta in ihrem Haus in Pacific Palisades zeigt – seltene Einblicke in die »Schreibwerkstatt« des berühmten jüdischen Schriftstellers aus München.

Andreas Heusler: »Lion Feuchtwanger«, Residenz Verlag, St. Pölten, 2014, 352 S., 14,99 €

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