Meinung

Kollegah in Auschwitz

Warum der Besuch des Skandal-Rappers in der KZ-Gedenkstätte eine Farce ist. Ein Kommentar

von David Harnasch  08.06.2018 10:18 Uhr

David Harnasch Foto: MPixel/Achim Meissner

Warum der Besuch des Skandal-Rappers in der KZ-Gedenkstätte eine Farce ist. Ein Kommentar

von David Harnasch  08.06.2018 10:18 Uhr

Farid Bang, den man aufgrund seines albernen Künstlernamens stets exakt so, und Kollegah, den man alleine wegen seines putzig klingenden Geburtsnamens Felix Blume unbedingt auch stets so benennen und ansprechen sollte, haben am Donnerstag die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besucht. Der Erkenntnisgewinn der beiden Skandal-Rapper dürfte sich jedoch in engen Grenzen gehalten haben.

Vor ihrem Besuch rappten Bang und Blume Zeilen wie »Mache Asche wie’n KZ-Ofen«, »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« oder »Ich leih dir Geld, doch nie ohne ‹nen jüdischen Zinssatz«. In seinem Stück »Apokalypse« sehnte Blume, der mit 15 zum Islam konvertierte, eine postapokalyptische Welt ohne Juden herbei. Über Kritik an diesen Zeilen, auch von Schoa-Überlebenden, machte er sich bis vor Kurzem noch lustig.

Marketing Ja, auch ein Felix Blume hat das Recht dazuzulernen. Aber das setzt die Bereitschaft zur Reflexion voraus. Und die ist bei dem Battle-Rapper aus Düsseldorf und seinem Sidekick Farid Bang erkennbar nicht vorhanden. Die Musik läuft weiter, von Erkenntnisgewinn oder einer glaubwürdigen Entschuldigung war bislang nichts zu hören. Für sie scheint der Besuch nur ein weiterer perfekter Marketing-Trick zu sein, um sich medial im Gespräch zu halten – und zwar einmal mehr auf Kosten von ermordeten Juden.

Gewagt ist auch die Behauptung des Exekutiv-Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Dieser hatte die Rapper im nach der heftigen öffentlichen Debatte um ihre Songtexte und die Ehrung mit dem Musikpreis Echo Ende April zu einem Besuch der Gedenkstätte eingeladen. »Für die Auschwitz-Überlebenden«, sagte Heubner gestern, »ist der Besuch der Rapper eine Genugtuung und auch eine Geste an ihre jungen Fans, dass Hass, Menschenverachtung und Antisemitismus in keiner Kunst einen Platz haben sollten.«

Selbst wenn das stimmen sollte, wäre es doch sehr viel wichtiger, zu erfahren, ob der Besuch der Rapper von ihren jungen Fans als ebenjene Geste wahrgenommen wird. Nichts spricht dafür, alles dagegen. Deren Empathie für vor 70 Jahren ermordete Juden dürfte in etwa genauso groß sein wie ihr Interesse für klassische Musik.

Nahostkonflikt Die Konzertgänger der beiden Rapper teilen sich in zwei Gruppen: erstens die, die vom Holocaust als historische Tatsache überhaupt Kenntnis erlangt haben und sich mit der damaligen Minderheit identifizieren, weil sie sich von der heutigen deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt fühlen. Und die deshalb wiederum nichts daran hindert, heute Juden zu hassen, die ja entweder jener deutschen Mehrheitsgesellschaft affirmativ angehören oder, schlimmer noch, als Israelis vermeintlich Muslime unterdrücken – was Blume mit seiner »Dokumentation« aus den Palästinensischen Autonomiegebieten auch den Biodeutschen unter seinen Fans beibringen wollte, die sich für Juden und den Nahostkonflikt eher nicht interessierten.

Die zweite Gruppe ist die, die den Holocaust entweder für von der zionistischen Weltverschwörung erfunden oder für richtig halten. Blume und Bang haben kein Problem mit toten Juden, sondern mit lebenden. Felix Blume hatte schon im März in einem ähnlich durchschaubaren PR-Stunt per Social Media erklärt: »An alle jüdischstämmigen Hörer meiner Musik! Die Medien wollen aufhetzen, aber nicht mit uns. Wir drehen den Spieß einfach um und ab jetzt werdet ihr mal bevorzugt! Ab jetzt auf Lebenszeit freier Eintritt auf jedes Konzert für alle unsere jüdischen Freunde! ALS ZEICHEN DES ZUSAMMENHALTS UNSERER RASSISMUSFREIEN HIPHOPKULTUR. Mal sehen ob ihr darüber auch so fleißig berichtet, liebe Bild«.

Kippa Die Jüdische Allgemeine versuchte genau das – zu berichten. Direkt vom Konzert, der Berichterstatter mit Kippa als Jude erkennbar. Doch die Jüdische Allgemeine erhielt – trotz zahlreicher wiederholter Anfragen – exakt eine Antwort, und zwar vom Medienkonzern Bertelsmann, der Felix Blumes aktuelle CD veröffentlichte: »Vielen Dank für Ihre Anfrage. Bitte wenden Sie sich direkt an das Management.« Und dieses antwortete so wenig wie die Konzertveranstalter.

Jeder, der mit Felix Blume kooperiert und Geld verdient, muss wissen, dass dessen Fans eine physische Gefahr für jeden Juden darstellen können. Das ideologische Rüstzeug liefern Blume und Bang gleich frei Haus mit – auch nach ihrem Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz.

 

München

Filmemacher Michael Verhoeven ist tot

Mit kritischen Filmen über den Vietnamkrieg oder den Nationalsozialismus setzte der Filmemacher Akzente

 26.04.2024

Glosse

Ständig wird gestört

In Berlin stürmten erneut propalästinensische Kräfte in Anwesenheit der Kulturstaatsministerin die Bühne

von Michael Thaidigsmann  26.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  26.04.2024

Karl Kraus

»Als ob man zum ersten und zum letzten Mal schriebe«

Zum 150. Geburtstag des großen Literaten und Satirikers

von Vladimir Vertlib  26.04.2024

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024