Sportgeschichte

»Als Aktiver kaltgestellt«

Wie jüdische Athleten im Nationalsozialismus eigene Vereine gründeten

von René Martens  07.03.2016 20:13 Uhr

Diskuswerferin Martha Jacob im Jahr 1931 Foto: Ullstein

Wie jüdische Athleten im Nationalsozialismus eigene Vereine gründeten

von René Martens  07.03.2016 20:13 Uhr

Jüdischer Sportler, jüdische Sportlerin! Wo treibst Du jetzt Deinen Sport? Der Verein, der Dir bisher lieb und wert war, hat den Arierparagraphen eingeführt und stellt Dich nicht mehr zu Sportkämpfen auf. Damit bist Du als Aktiver kaltgestellt. Solltest Du deshalb Deinen Dir lieb gewordenen Sport aufgeben? Nein!» Mit diesen Worten warb im Juni 1933 der gerade gegründete Sportverein Schild Hamburg.

Der Sporthistoriker Lorenz Peiffer präsentierte diesen Auszug aus einem Werbeblatt im Februar bei der Tagung «Fußball in der nationalsozialistischen Gesellschaft. Zwischen Anpassung, Ausgrenzung und Verfolgung» in Hamburg. Der Aufruf von Schild richtete sich seinerzeit an langjährige Angehörige eines Milieus, in dem die «Arisierung» sehr früh vollzogen wurde: Die Sportvereine und -verbände schlossen Juden nicht auf Befehl von oben aus, sie gehörten vielmehr zu jenen gesellschaftlichen Kräften, die auf dem Weg zu einer «rassisch homogenen Volksgemeinschaft Eigeninitiative entwickelten», wie Peiffer mit Bezug auf den Holocaustforscher Peter Longerich betonte.

Recherchen Bei der zweitägigen Tagung, veranstaltet von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, griff Peiffer auf die Recherchen für ein mehr als 570 Seiten starkes Kompendium zurück, das er Ende 2015 gemeinsam mit Henry Wahlig veröffentlicht hatte (Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland). Die Geschichte von Schild Hamburg und 200 weiteren Fußballvereinen – deren Ligenbetrieb nach der Pogromnacht 1938 endete – hatte bis dato niemand erforscht. Oft sei nicht einmal Stadtarchiven bekannt gewesen, dass in ihrem Ort jüdische Vereine existierten, so Peiffer.

Der langjährige Leiter des sportwissenschaftlichen Instituts an der Uni Hannover sagte, Sport sei in dieser Zeit zum «sozialen Kitt» für die jüdischen Gemeinden geworden. Die Nazis duldeten diese Parallelwelt, um potenzielle Boykotteure der Olympischen Spiele zu täuschen, taten aber alles, damit die Öffentlichkeit möglichst wenig Notiz von körperlich gestählten Juden nahm. Als Beispiel erwähnte Peiffer, dass der Verein Bar Kochba Leipzig 1935 angewiesen worden sei, eine «blickdichte Mauer» um seinen Sportplatz zu errichten.

Mehrere der 17 Referenten und Podiumsdiskutanten widmeten sich dem Thema Sport in Konzentrations- und Gefangenenlagern. Dabei wurde deutlich, dass es auf diesem Forschungsgebiet noch Interpretationsbedarf gibt: Der Sport war einerseits eine willkommene Ablenkung für die Gefangenen, erfüllte aber auch unterschiedliche Funktionen für das NS-System. Katarzyna Woniak, Mitarbeiterin am Zentrum für historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, gab ihrem Vortrag über «Ausländer-Sportfeste» für Zwangsarbeiter den Titel «Kraft durch Fußball».

Zwangsarbeit Die Unternehmen hätten ein Interesse daran gehabt, mittels Sport das «Fremdheitsgefühl» der Zwangsarbeiter abzumildern, sagte Woniak. «Wer sich im Lager zu Hause fühlt, wird im Betrieb erfolgreich arbeiten», lautete eine von ihr zitierte Devise der Firma Siemens. Jenseits dieser verordneten Freizeitgestaltung habe es aber auch Zwangsarbeiter gegeben, die selbst Fußballspiele organisierten.

Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte des Kriegsgefangenenlagers Sandbostel, präsentierte im selben Panel neue Recherchen zum Sport vor allem in französischen Gefangenengruppen. Die für die Bewachung zuständige Wehrmacht habe den Gefangenen Teilgrundstücke zur Verfügung gestellt, aber für die Anlage der Plätze und die Spielgeräte seien die Gefangenen zuständig gewesen.

Auf die Versorgungsprobleme, die dies mit sich brachte, verwies der Titel des Vortrags: «Es bestehen vier Fußballmannschaften, aber es fehlt der Fußball.» Der Öffentlichkeit sei immer noch «extrem schwer zu vermitteln», was Gefangene trotz 72 Stunden Arbeit pro Woche und schlechter Ernährung dazu motiviert habe, Energie in Sport zu investieren, sagte Ehresmann. In einigen Detailbereichen mangele es noch an Basisinformationen, über Sport unter sowjetischen Kriegsgefangenen sei praktisch nichts bekannt, ergänzte er.

Forschungsbedarf sollten vor allem die deutschen Sportverbände sehen. Lorenz Peiffer, gerade mit den letzten Vorbereitungen für eine am 1. Mai beginnende Ausstellung in Tel Aviv beschäftigt («Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Fußballstars im Schatten des Hakenkreuzes»), erwähnte, dass der DFB sehr spät begonnen hat, seine Geschichte aufzuarbeiten. Die anderen Verbände hätten nicht nachgezogen. Peiffer sagte, er habe deren Vertreter darauf angesprochen, ob das nicht langsam fällig sei. Die Antwort: «Können Sie machen. Aber bringen Sie Geld mit.»

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