Vorurteile

Anders als die anderen

Argwöhnischer Blick: Neid und Eifersucht sind Grundübel des menschlichen Zusammenlebens. Foto: Thinkstock

Im Wochenabschnitt Toldot lesen wir von der Geburt der Söhne Jitzchaks, Esaw und Jakov. Wir erfahren von ihrer Verschiedenartigkeit und von dem sich daraus ergebenden Konflikt innerhalb der Familie. Auch nehmen wir wahr, dass Jitzchak aufgrund einer Hungersnot ursprünglich vorhatte, nach Ägypten zu ziehen, wie es bereits sein Vater Avraham getan hatte. G’tt aber empfahl ihm, nach Gerar zum Philisterkönig Avimelech zu ziehen.

Von dem mittelalterlichen Kommentator Raschi (1040–1105) lernen wir, dass es Jitzchak mit G’ttes Hilfe in Gerar trotz der auch dort herrschenden Hungersnot und des schlechten Bodens sehr gut ging: »Jitzchak säte in diesem Land und erreichte in diesem Jahr hundert Märkte. Da segnete ihn G’tt.«

Reichtum Trotz der schlechten Situation hat Jitzchak zig Mal mehr erhalten, als er gewöhnlich bekam. Wir lernen nun Jitzchak als wahren Sohn seines Vaters Avraham kennen: Er behielt seinen Reichtum nicht für sich. Angesichts der großen Hungersnot gab er, so berichtet der Midrasch, einen Großteil davon für die Allgemeinheit. Die Menschen sahen in Jitzchak einen von G’tt gesegneten Mann, zumal, wie wir in unserer Parascha weiter erfahren, sein Reichtum immer mehr zunahm und er viele Schafe, Rinder und riesige Ackerflächen besaß.

Im weiteren Verlauf unserer Parascha stoßen wir aber auf das seit dem Wochenabschnitt Bereschit immer wiederkehrende Grundübel, die Eifersucht. Wir haben sie bereits bei Kain und Abel kennengelernt und werden jetzt erneut Zeugen von ihr.

Wir lesen, dass die Philister auf Jitzchak neidisch waren. Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) erläutert in seinem Kommentar, dass die Philister sich durch Jitzchaks Stellung und sein Ansehen, das er durch seinen Reichtum erlangt hatte, verletzt fühlten.

brunnen Der Neid aber bezog sich mehr auf den Mann als auf seinen Reichtum. Wir erfahren, wozu die Philister in ihrer Eifersucht fähig waren. Sie schütteten die Brunnen zu, welche die Knechte in den Tagen Avraham gegraben hatten, und füllten sie mit Erde. Rabbiner Benno Jacob (1862–1945) erklärt dazu in seinem Kommentar: Weil die Philister den Segen G’ttes nicht verhindern konnten, versuchten sie, es Jitzchak unmöglich zu machen, länger in der Gegend zu bleiben: Sie machten die Brunnen unbrauchbar.

Hier sehen wir uns mit einer Form des Neids konfrontiert, die sich den Nachkommen Avrahams in aller Härte zeigt. Erstmals trat dieser Neid unmittelbar nach Avrahams Tod zutage und führt in der Folge zu einer ganzen Reihe von Ereignissen, die ein mit Jitzchak beginnendes neues Stadium bezeichnen. Rabbiner Samson Raphael Hirsch meint damit drei Stufen, die für uns im Hier und Heute lebende Juden ebenso Gültigkeit haben wie vor 3000 Jahren zu Jitzchaks Zeiten.

Die erste Stufe, so Hirsch, zeigt Avraham »mit allem seinem Reichtum und doch ebenfalls ein Fremder inmitten der Völker. Er errang durch seine ganze Persönlichkeit eine solche Achtung, dass er unbeneidet und unbeeifersüchtelt als Nassi elokim, Fürst des Ewigen, unter ihnen wandelte«.

Die zweite Stufe zeigt nach Hirsch den Beginn der Galut: »das dem Avraham noch völlig ungetrübte Glück war bei Jitzchak bereits durch Neid und schikanierende Eifersüchtelei getrübt, und Jakov erscheint uns bereits als vollendete Knechtsgestalt«.
In der Gestalt Jakovs als Knecht finden wir die dritte Stufe: »Damit ist eine dreifache Stellung des Avrahamiden als Fremder in der Mitte der Völker gezeichnet: als Knecht, als beneidete Größe, als verehrte Hoheit.«

gegenwart Wo stehen wir heute? Resümieren wir die bisher gewonnenen Erkenntnisse, so müssen wir feststellen, dass wir auch in der Gegenwart, obgleich es uns gut geht und wir in unserer jüdischen Lebenspraxis nicht eingeschränkt sind, mit Formen des Neids und der Eifersucht konfrontiert sind. Man denke nur an die unselige und völlig überflüssige Beschneidungsdebatte, die von sehr aggressiven Stimmen begleitet und unterstützt wurde.

Unsere Aufgabe als Juden ist klar definiert. Wir sollten uns Jitzchak als Beispiel nehmen, der die Brunnen, welche die Philister nach Avrahams Tod verstopft hatten, wieder aufgrub und ihnen ihre ursprüngliche Funktion zurückgab.

Hierin liegt unsere Aufgabe als Juden heute: die verstopften Brunnen, die falschen Bilder, die über uns und über Israel in Umlauf sind, beharrlich aufzudecken, zu korrigieren, zu beseitigen und unserer nichtjüdischen Umgebung ein im Erbe unserer Väter verankertes Judentum zu vermitteln. Hierzu gehört selbstverständlich, unsere eigene Tradition und Lebenspraxis ernst zu nehmen.

Rabbiner Hirsch sieht in der zurückweisenden Eifersucht nicht nur ein rettendes Heilmittel, um uns immer wieder an unsere eigentliche jüdische Aufgabe zu ermahnen. Es ist gleichwohl auch die große Chance für uns Juden, die wir im geistigen Vermächtnis Avrahams stehen, uns immer wieder auf uns selbst und auf unser Vermächtnis zurückzubesinnen. Nehmen wir unsere Tradition ernst, beginnen wir, frei und selbstständig unter den Völkern zu leben – nicht obwohl, sondern weil wir Juden sind.

Der Autor ist Leiter des religiösen Erziehungswesens der IKG München.

inhalt
Der Wochenabschnitt Toldot erzählt von der Geburt der Zwillinge Esaw und Jakov. Für ein »rotes Gericht« erkauft Jakov von seinem Bruder das Erstgeburtsrecht. Wegen einer Hungersnot muss Jitzchak das Land verlassen. Er geht zu Avimelech, dem König von Gerar. Dort gibt er seine Frau Rivka als Schwester aus, weil er um sein Leben fürchtet. Als Jitzchak im Sterben liegt, will er Esaw segnen, doch er wird von Rivka und Jakov getäuscht und segnet so Jakov. Der muss danach vor seinem Bruder Esaw flüchten und geht nach Haran.
1. Buch Moses 25,19 – 28,9

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