Israel Philharmonic Orchestra

Zionismus nach Noten

von Anke Kathrin Bronner

Symphonieorchester gibt es viele auf der Welt. Ihre Zahl liegt insgesamt schätzungsweise im mittleren sechstelligen Bereich. Viele unter den Ensembles sind auch weit älter als das Israel Philharmonic Orchestra (IPO), das dieser Tage seinen 70. Geburtstag mit einer Serie von zwölf Jubiläumskonzerten in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa begeht. Dennoch ist das IPO ein einzigartiger Klangkörper.
Einzigartig ist zunächst einmal die Geschichte des Orchesters, das 1936, damals unter dem Namen Palestine Symphony Orchestra von Bronislaw Hubermann gegründet wurde. Der in Polen geborene, in Deutschland ausgebildete und in Österreich spielende Geiger war überzeugter Zionist – unter jüdischen Musikern damals eher eine Ausnahme. Als 1935 die letzten »nichtarischen« Orchestermusiker in Nazideutschland entlassen wurden, konnte Huberman 75 von ihnen überreden, ihm nach Palästina zu folgen und dort das erste professionelle Symphonieorchester des Landes zu gründen. Das Eröffnungskonzert am 26. Dezember 1936 dirigierte Arturo Toscanini, ein überzeugter Antifaschist und Freund der jüdischen Sache. Der italienische Stardirigent verzichtete auf Gage: »Ich tue das für die Menschlichkeit!«
Toscanini war der erste in einer Reihe illustrer Dirigenten und herausragender Solisten, Juden wie Nichtjuden, die seither mit dem Orchester gespielt haben. Auf alten und neuen IPO-Programmen findet man die größten Namen der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts: Itzhak Perlman, Isaac Stern, Daniel Barenboim, Yefim Bronfman, Yo-Yo Ma, Jascha Heifetz, Yehudi Menuhin, Joseph Krips, Arthur Rubinstein, Eliahu Inbal, Gil Shaham, Maxim Vengerov, Pinchas Zukerman, Luciano Pavarotti und viele andere.
Zwei Namen sind in besonderer Weise mit dem IPO verbunden: Leonard Bernstein und Zubin Mehta. Bernstein dirigierte das Orchester erstmals 1947 und blieb ihm bis zu seinem Tod 1990 verbunden. 1988 wurde er zum Ehrendirigenten ernannt, jedoch hatte er nie einen offiziellen Posten beim IPO inne. Diese Ehre wurde erst dem nichtjüdischen Inder Zubin Mehta zuteil, der zunächst als Berater für das IPO tätig war und 1977 zu seinem Generalmusikdirektor berufen wurde – seit 1981 auf Lebenszeit. 2000 Konzerte hat er mit dem Ensemble gegeben und über die Jahre zusammen mit seinen Musikern eine gemeinsame Klangkultur entwickelt.
Für IPO-Verhältnisse war Zubins Berufung damals revolutionär. Mehr als 40 Jahre war das Orchester bewußt ohne Chef ausgekommen. Das IPO verstand sich seit Hubermans erster Besetzung mit der Crème de la Crème der Musiker Europas jener Zeit als ein »Orchester aus Solisten«. Man bevorzugte wechselnde Gastdirigenten statt eines ständigen Orchesterleiters. Das hatte natürlich Konsequenzen: Auf der positiven Seite eine erhöhte Flexibilität der Musiker, die sich rasch auch auf unvorhergesehene Ereignisse einzustellen wußten. Andererseits hatte das IPO den Ruf einer weniger ausgeprägten Akkuratesse. Zu seinem speziellen Stil gehört eine Eigenheit, die Kritiker gerne als Ungenauigkeit bezeichnen, die Zuhörer jedoch als eine Verdichtung des Klangs empfinden: Einzelne Instrumente einer Gruppe setzen den Bruchteil einer Sekunde später ein. Wie es der Violinist Itzhak Perlman ausdrückt: »Viele Orchester klingen einfach sehr, sehr gut, aber das Israel Philharmonic ist eines des wenigen mit einem unverwechselbaren Klang.«
Inzwischen hat man auch beim IPO akzeptiert, daß bei einem inzwischen 115 Mitglieder starken multinationalen Orchester – nur etwa die Hälfte der Musiker stammen aus Israel, 35 Prozent kommen aus der früheren Sowjetunion und 15 Prozent aus Nordamerika – kein noch so guter Gastdirigent die kontinuierliche Arbeit eines ständigen Leiters ersetzen kann: Mit Zubin Mehta scheint man heute den richtigen Mann gefunden zu haben, um das Orchester weiter voranzubringen.
Denn trotz aller großen Namen zählt das IPO im weltweiten Vergleich nicht zu den Spitzenklangkörpern. So fragwürdig Ranglisten von Orchestern auch sein mögen, sie spiegeln doch die Wertschätzung wider, die ein Orchester im öffentlichen Bewußtsein besitzt. In Europa sind das die Wiener Sinfoniker und das Amsterdamer Concertgebouw-Orchester, in den USA rangieren die Ensembles von New York, Boston und Chicago an der Spitze. Das IPO sucht man in solchen Listen vergeblich.
Dafür gibt es kein Land der Welt, das sich so mit einem Orchester identifiziert wie Israel mit seinen Philharmonikern. 200 Konzerte jährlich, 25.000 verkaufte Abonnements bei sechs Millionen Einwohnern, bis zu acht Aufführungen eines Konzertes – davon können Orchester in Deutschland in Zeiten galoppierenden Publikumsschwunds nur träumen. So einzigartig wie die Beziehung des Publikums zum Orchester ist auch die Beziehung des Orchesters zu seinem Land. Bei der Verkündung der Staatsgründung 1948 durch David Ben Gurion war es das IPO, das die Hatikvah spielte, die Hymne des neuen Staats. Geradezu legendär ist eine Aufführung von Beethovens Klavierkonzert unter Bernstein in Rehovot während des Unabhängigkeitskrieges im gleichen Jahr: Im ersten Satz begannen plötzlich Sirenen zu schrillen. Feindliche Flieger im Anflug. Das Orchester beendete in aller Seelenruhe den Satz. Bernstein stand auf: »Wer gehen muß, sollte jetzt gehen!« Niemand ging. Bernstein war auch im Sechs-Tage-Krieg 1967 zur Stelle, ebenso wie Zubin Mehta, der sofort aus New York eingeflogen war. Auch als im Golfkrieg 1991 Saddams Scudraketen Israel angriffen, dirigierte Mehta sein IPO. Solche Momente haben das Ensemble im Wortsinn zum israelischen Nationalorchester gemacht. Jährliche Tourneen führen das IPO als musikalischen Botschafter vornehmlich in Länder, in denen die Kultur Israels nicht präsent und wenig bekannt ist, wie China, Indien oder die frühere Sowjetunion. Und auch mit Deutschland hat das von Naziverfolgten gegründete Orchester seinen Frieden geschlossen, als seine Musiker bei einer Tournee hier 1971 die Hatikva erklingen ließen.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025

London

Nach antisemitischem Post: Lineker hört bei BBC auf

In den sozialen Medien teilt Gary Lineker einen Beitrag zum Israel-Gaza-Konflikt mit antisemitischer Konnotation. Nun zieht der frühere Fußballstar die Konsequenz

 19.05.2025