verreisen

Urlaub? Ein anderes Mal!

von Christine Schmitt

Die Rollläden bleiben unten. Das Café im Foyer des Gemeindehauses an der Fasanenstraße ist geschlossen. Die Bibliothek hat verkürzte Öffnungszeiten und schließt drei Stunden früher um 17 Uhr. Die Türen der Seniorenclubs sind ebenfalls verschlossen, die beiden jüdischen Schulen verwaist. Es sind Sommerferien in Berlin, viele Gemeindemitglieder sind verreist.
Aber es gibt Daheimgebliebene. Viktoria Tcherckova arbeitet seit Juli als Erzieherin im Jüdischen Kindergarten an der Delbrückstraße. »Ich habe gerade einen Ar-
beitsvertrag unterschrieben, und das ist mir mehr wert als alles andere.« In den vergangenen Monaten hatte die 23-Jährige mehrere Bewerbungen verschickt und war überglücklich, als sie die Zusage erhielt. Der Kindergarten der Gemeinde schließt lediglich in der letzten Ferienwoche vom 20. bis zum 24. August, weil alle Erzieherinnen an einer Fortbildung teilnehmen.
Und deshalb wird Viktoria Tcherckova noch nicht einmal einen Kurzurlaub genießen können. Ein bisschen schade findet sie das, »aber ich freue mich jeden Tag auf ›meine‹ Kinder«. Elf Kinder im Alter von zwei bis drei Jahren betreut sie jeden Tag. »Heute haben wir zuerst einen Morgenkreis gebildet und gesungen, dann wollten sie kneten und anschließend waren wir im Garten«, sagt Viktoria Tcher-ckova. »Ein schöner Tag war das.«
Abraham Radbirl verzichtet bewusst auf Urlaub, obwohl er sich gerne am Strand entspannen würde. In diesem Jahr hat er sich »etwas Sinnvolles vorgenommen«, wie er meint: Lernen ist angesagt. Mit mehreren Schülern der Jeschiwa der Lauder Foundation an der Brunnenstraße hatte der 23-Jährige einen »Summer in the City« organisiert. Vormittags wurden die Tora und andere religöse Werke studiert, nachmittags unternahmen die Jeschiwe Boscherim Ausflüge. Sie hätten sich zum Bowling und Bogenschießen getroffen oder seien Boot gefahren – »14 tolle Tage«, schwärmt Radbirl.
Nun wird der angehende Rabbiner doch noch seine Koffer packen und in die Schweiz fahren. Aber nicht zur Erholung, sondern um bei einer Jugendfreizeit zu unterrichten. »An meinen letzten richtigen Urlaub kann ich mich gar nicht mehr erinnern«, sagt er. Das sei zu lange her.
Bei seinen Eltern im Garten sich auf einer Liege zu entspannen – das habe doch etwas von Urlaub, meint dagegen Schlomo Zaiats. Im vergangenen Jahr war er in Israel und studierte in einer Jeschiwa. Doch diesen Sommer verbringt er bei seiner Familie. Aber auch dort will der 19-Jährige pauken und sich auf die Abiturprüfung im kommenden Jahr vorbereiten. Während der Schulzeit besucht er vormittags die Jüdische Oberschule in der Großen Hamburger Straße, danach die Jeschiwa der Lauder-Foundation, wo er sogar wohnt. Auch in den Sommerferien fährt er fast täglich in die Brunnenstraße, lebt allerdings bei seinen Eltern. »Und das genieße ich.«
»Dreimal bin ich während meines sie-bentägigen Urlaubs angerufen worden und musste ins Büro fahren«, sagt David Mender vom Sozialwerk der Jüdischen Gemeinde, dem ambulanten Pflegedienst. Wenn er die Wahl hätte, würde der 45-Jährige auf einsame Insel fahren, wo höchs-tens einmal in der Woche ein Schiff anlegt. »Das wäre ganz nach meinem Ge-
schmack«, sagt Mender. Er sei neidisch auf jeden, der am Strand faulenzen könne.
David Mender ist Opfer seines Berufs. Den Jahresurlaub müssen die Mitarbeiter des Sozialwerks immer schon ein Jahr vorher anmelden. Aber wenn neue Patienten dazukommen, kann es passieren, dass die freien Tage gestrichen werden und später genommen werden müssen. »Die Versorgung der Patienten steht auch in der Urlaubszeit im Vordergrund.«
Michail Lewin liest gerade den Klassiker des Astrophysikers Stephen W. Hawking. »Eine kurze Geschichte der Zeit« steht bei ihm nun im Mittelpunkt. Außerdem will er Spaziergänge durch Berlin unternehmen und sich sozial engagieren. »Ich werde mich auch in den Sommermonaten weiter um Familien in der Gemeinde mit behinderten Angehörigen kümmern«, sagt er. Da er derzeit arbeitslos sei, habe er keinen einzigen Gedanken an Urlaub verschwendet, denn den könne er sich ohnehin nicht leisten. Die letzte Reise liege schon ein paar Jahre zurück – da war er auf den Kanarischen Inseln.
Die Stadtführerin Wendy Kloke ist etwas traurig, dass sie nicht ihre Heimatstadt Los Angeles besuchen kann. Die 36-Jährige hat keine Zeit. Täglich führt sie schon seit Wochen Touristen durch das »Jüdische Berlin«. Urlaubszeit ist für sie Hauptsaison. »Aber weil Berlin leerer ist als sonst, ist es viel angenehmer, anderen die Stadt zu zeigen.«

Iran-Krieg

Steinmeier sieht noch Chancen für Diplomatie

Für Diplomatie ist im nahen Osten derzeit kein Raum. Das muss aus Sicht von Bundespräsident Steinmeier aber nicht so bleiben

 18.06.2025

Berlin

Antimuslimischer Rassismus trifft Frauen besonders stark

Übergriffe auf Menschen, die Muslime sind oder als solche wahrgenommen werden, haben nach Aussage von Mitarbeitern von Beratungsstellen ein alarmierendes Ausmaß erreicht

 17.06.2025

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025