Chaim Topol

»Unsere Armut fiel mir nie auf«

Am 11. April jährt sich zum 100. Mal der Tag der Gründung Tel Avivs. In den acht Wochen bis dahin erzählen in jeder Ausgabe bekannte Tel Aviver von ihrer Stadt. Den Anfang macht heute der Schauspieler Chaim Topol.

Herr Topol, Sie kommen gerade aus London zurück, wo sie die Rolle von Maurice Chevalier im Musical »Gigi« gespielt haben.
topol: Genau, zusammen mit der Shakes-peare-Company. Ich habe auch Chevaliers Pädophilen-Song gesungen, »Thank Heaven for Little Girls«. Die Arbeit hat mir großen Spaß gemacht.

»Thank Heaven for Topol« haben die englischen Kritiker gejubelt. Ein langer Weg, aus dem armen Tel Aviver Viertel Florentin auf die Bühne des Regent’s Park Theatre.
topol: Ja, in Florentin herrschte damals eine Atmosphäre der Armut. Meine Eltern wuss-ten natürlich, dass unsere materielle Lage nicht gut war. Aber nicht nur ich, auch die anderen Kinder hielten sich nicht für arm. Gewiss, hungrig war ich ab und zu. Aber ich dachte nicht, dass das etwas mit Armut zu tun hat. Mein Vater hatte zwar manchmal keine Arbeit, aber ich glaubte, dass das eben so sei im Leben. Bis ich 14 Jahre alt war schlief ich nie alleine im Bett. Noch heute, wenn ich alleine in einem großen Doppelbett schlafe, fühlt sich das etwas seltsam an. Aber als arm empfand ich mich wirklich nicht. Wenn es keinen Zucker gab, dann aßen wir eben ohne Zucker. Wir fanden alle möglichen Wege, um aus wenig viel zu machen. Gefilte Fisch, das ist ja eine Erfindung armer Leute.

Das hört sich nach einer glücklichen Kindheit an.
topol: Es gab Momente großer Freude. Nicht, dass ich mich nach der Armut zurück-sehne. Ich bevorzuge die Wohnung, in der ich jetzt wohne. Aber damals empfand ich überhaupt keine Traurigkeit wegen unserer Lebenssituation. Ich dachte, so ist es. Und es war sehr schön so.
Was für Menschen lebten damals in Florentin? Wo kamen sie her?
topol: Florentin war ein Viertel, in dem die Hafenarbeiter das dominierende Element waren. Das waren große, starke Männer aus Griechenland, aus Thessaloniki. Aber Florentin war ein gemischtes Viertel. Viele der Bewohner kamen aus Polen, Buchara, dem Jemen und aus Russland. Es war eine sehr gemischte Gesellschaft. Und die Erinnerung, die sich sinnlich bei mir bewahrt hat, das sind diese Gerüche, wenn sich freitags alle Familien auf den Schabbat vorbereiteten, jeweils nach der Tradition ihrer jeweiligen Gemeinschaft.

Wie haben Sie und ihre Familie gewohnt?
topol: In unserer Zwei-Zimmer-Wohnung lebten zwei Familien. Wir waren fünf Personen, und die Familie Eisenberg war zu viert. Wir hatten eine gemeinsame Küche, ein gemeinsames Klo und ein gemeinsames Bad. Wenn wir donnerstags Fische für Schabbat kauften, kamen die Fische in die Badewanne, und am Morgen des Freitags wurden die Fische zubereitet. Und dann, danach, konnten wir baden. Donnerstag konnten wir ja nicht baden. Wegen der Fische.
Wie alt waren Sie, als sie begannen zu arbeiten?
topol: Vierzehn. Ich wars Drucker im Verlagshaus der sozialistischen Arbeiterzeitung Dawar auf der Sheinkin-Straße. Ich fühlte mich dort, als stünde ich auf dem Berg Sinai und würde jeden Tag die Tora schreiben. Ich liebte die Arbeit des Druckers sehr, den Geruch der Maschinen und all das. Manchmal fuhren mein Vater und ich mit dem Bus zusammen zur Arbeit. Er pflegte Ecke Sheinkin und Allenby auszusteigen, wo der sogenannte »Sklavenmarkt« für die Tagelöhner auf dem Bau war. Mein Vater stellte sich dort hin und wartete auf Jobs, während ich zur »Dawar« ging. Er beneidete mich um meinen festen Arbeitsplatz.
Wann sind Sie das erste Mal aus Israel heraus ins Ausland gekommen?
topol: Bis ich 29 Jahre alt war, wollte ich gar nicht ins Ausland reisen. 1964 fuhr ich dann doch, zur Biennale nach Venedig, wo ich mit dem Stadttheater Haifa in Brechts »Kaukasischem Kreidekreis« auftrat. Zum allerersten Mal war ich also im Ausland und zum ersten Mal sah ich Ornamente an Hausfassaden. Schön war’s ja, aber was für eine Verschwendung! Das war doch sicher furchtbar teuer gewesen! Und dann das Wasser! Und all das Grün! Einfach so Geld auszugeben, um einen Baum zu bewässern, der keine Früchte trägt?! Das waren Dinge, die ich gar nicht begriff. Wir in Israel lebten damals ja von der Hand in den Mund. So waren wir aufgewachsen. Wenn ich heute nach Tel Aviv komme und all die Bäume sehe, bin ich so stolz! Yaalla, wie wunderschön! Ich bin stolz, dass Tel Aviv heute eine grüne Stadt ist!

Was lieben Sie besonders an Tel Aviv?
topol: Den Strand. Das Meer. Jeden Morgen um 6:30 Uhr bin ich da. Im Winter wie im Sommer.

Das Gespräch führte Christian Buckard.

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