Bibliotheken

Tolstoi, Talmud, Tageszeitung

von Katrin Richter

Die Wettervorhersage verspricht viel Sonne für die nächsten Tage. Allerdings werden die Temperaturen wohl nicht über acht Grad steigen. Vielleicht etwas zu frisch, um sich mit einem Buch auf die Parkbank zu setzen. Warum dann nicht ein kleiner Herbstspaziergang durch den Park zur Bibliothek?
In Dresden bietet sich solch ein Spaziergang an. Vorbei an den Brühlschen Terrassen, den Alten Meistern, noch kurz über die Straße, und schon steht man vor der neuen Synagoge, in deren Nebengebäude sich die jüdische Gemeinde und die Bibliothek befindet. »Unser Haus ist ein Ort der Begegnung und der Bildung«, sagt die Vorsitzende Nora Golden- bogen, die vor allem die Zweisprachigkeit im Lesesaal und in den Bücherregalen aufmerksam macht. Denn wenn Buchseiten leise umgeschlagen werden und sich vereinzelt jemand räuspert, dann gleiten Augenpaare auch über kyrillische Buchstaben. Schon zu DDR-Zeiten hatte die kleine jüdische Gemeinde Dresden eine Bibliothek. Nach der Wende wurde sie vor allem durch Bücherspenden von Privatpersonen oder Institutionen langsam aufgebaut und erweitert. Seitdem füllen russische Klassiker, Sachbücher oder Bildbände die Regale.
Viele Gemeindebüchereien sind auf solche Spenden angewiesen, um zum einen den Bestand halbwegs aktuell zu halten und zum anderen ihren Benutzern eine möglichst große Vielfalt an Literatur zu bieten. Vor allem möchten die Bibliotheken der Gemeinden das Angebot der Stadtbibliotheken ergänzen. Gerade dort fehlen oft Bücher, die detailliert Auskunft über das Judentum geben könnten.
Besonderes Glück hatte die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde Kiel, denn sie bekam nicht nur Bücher einer Slawistikprofessorin, die ihre Privatbibliothek auflöste, sondern auch Kinderbücher einer Grundschule geschenkt. Alles begann mit einem kleinen Holzschrank, in dem so viele religiöse Bücher standen wie die Gemeinde Mitglieder zählte. Doch der Schrank reichte bald nicht mehr aus. »Mittlerweile«, sagt, Walter J. Pannbacker, Religionslehrer der Gemeinde, »füllen sich die Regale schneller als gedacht.« Für den Aufbau der Bibliothek stand den Kielern eine Ein-Euro-Kraft zur Seite, die den Bestand sichtete und Signaturen vergab. Manchmal beobachtet Pannbacker, dass die Besucher mit einem Lächeln vor den Regalen stehen. Für die Gemeindemitglieder ist die Bibliothek weit mehr als nur ein Raum mit Büchern. Gerade älteren Lesern dient sie als Treffpunkt, wo sie sich mit anderen, häufig auch Zugewanderten, austauschen können. Mitte November öffnet die Bibliothek offiziell, und dann werden Walter J. Pannbacker und seine Frau vielleicht noch mehr Stammgäste zwischen den Bücherregalen begrüßen können als sie es jetzt schon tun.
Ein Mal in der Woche hat die Bibliothek in der Jüdischen Gemeinde Kaiserslautern geöffnet. Gemeindemitglieder können hier aus 800 Titeln wählen, vorwiegend in russischer Sprache. Bei Tolstoi, Talmud und Tageszeitung fällt die Wahl nicht immer leicht. Bibliothekarin Lubow Gladstein setzt vor allem darauf, dass sich die Besucher beim Lesen entspannen und versucht, die eifrigen Leser auch in das weiterführende Programm der Gemeinde mit einzubinden: Neben der Bibliothek hängen Informationen zu anstehenden Terminen und Kursen. Die meist älteren Benutzer können sich, so betont die Bibliothekarin, über das Stöbern im Bücherregal hinaus auch noch über Aktivitäten, wie zum Beispiel Sprachkurse, informieren. Und wenn jemand beim Kurs sein Wörterbuch vergessen haben sollte, dann ist das auch kein Problem – in der Bi-
bliothek stehen einige Exemplare.
Auf Mehrsprachigkeit setzt auch die Jüdische Gemeinde in Dessau. »Wir haben deutsche, englische und russische Bücher« sagt der Gemeindevorsitzende Alexander Wassermann. Neben Belletristik und Sachbuch bieten die Dessauer ihren Benutzern auch Audio- und Videokassetten zum Verleih an. Die Resonanz ist gut, denn die Jüdische Gemeinde hegt engen Kontakt zu den kleinen Orten um die Bauhaus-Stadt herum und hat somit auch viele interessierte Leser.
Im hohen Norden, in Schwerin, klopfen neben den Gemeindemitgliedern zuweilen auch Schüler an die Tür der Gemeindebücherei. Sie brauchen dann meistens Hilfe beim Vorbereiten eines Referats für den Unterricht oder wollen vielleicht auch nur mal so gucken. Als die Bibiliothek 1996 aufgebaut wurde, gab es nur religiöse Literatur. Nach und nach kamen Lehr-, Wörter- und Sachbücher hinzu. Mittlerweile stehen auch Romane wohl geordnet nebeneinander. Wie andere Bibliotheken war und ist die in Schwerin auf Geschenke und Spenden angewiesen.
Flensburg beheimatet nicht nur das Kraftfahrt-Bundesamt, sondern auch eine jüdische Gemeinde und ihren Lesesaal. Momentan werden die 781 Bücher gerade in eine Tabelle eingetragen, um sie thematisch zu ordnen. Ohne Zweisprachig-keit läuft auch hier nichts. So sind Bücher zum Judentum sowohl auf deutsch als auch auf russisch zu finden, und manch ein Klassiker hat kyrillische Buchstaben.
Das gleiche Bild bietet sich in der Gemeindebibliothek der Brüder-Grimm-Stadt Hanau. Dort, tief im Hessischen, hat sich vor zwei Jahren eine kleine Gemeinde gegründet. Geöffnet hat ihre Bücherei zwei Mal in der Woche und zusätzlich immer dann, wenn es Veranstaltungen und Kurse gibt. Die meisten Bücher haben die Leser in den vergangenen Jahren selbst mitgebracht. So können sie mittlerweile aus einem kleinen, aber feinen Sortiment auswählen. Vielleicht findet sich das eine oder andere Hausmärchen der berühmten Geschwister in den Regalen.
Bibliotheken kleinerer Gemeinden haben, genauso wie die größeren, oftmals das Problem, neue Bücher zu beschaffen. Sie sind darauf angwiesen, dass sie Literatur gespendet bekommen. Das hat aber auch Vorteile. Denn so zeichnet die Bibliotheken eine große Vielfalt und auch eine gewisse Aktualität aus. Da macht das Stöbern Spaß. Und wenn die Wettervorhersage mal wieder Regen oder gar Schnee ankündigt, lässt es sich in den vielen kleinen und großen Bibliotheken der Gemeinden gut aushalten. Vielleicht bei einem Glas Tee.

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