Blick zurück nach vorn

Sich selbst bewußt

von Charlotte Knobloch

Erinnern Sie sich? Vor genau einem Jahr war es Paul Spiegel, der Ihnen hier ein gutes und süßes Jahr wünschte. Am 30. April 2006 verstarb mein Amtsvorgänger und löste damit unbeschreiblichen Schmerz aus. Für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland war sein Tod das bitterste Ereignis im vergangenen Jahr. Was wird das kommende für uns bereithalten?
Politisierte Religion und religiöse Politik dominieren den aktuellen Diskurs. Nichts macht dies deutlicher als der Karikaturenstreit im vergangenen Januar: Er begann mit einer anti-islamischen Provokation in einer dänischen Provinzzeitung und endete mit brennenden Botschaftsgebäuden im Nahen Osten. »Freiheit« proklamierten die einen, »Blasphemie« empörten sich die anderen. Dankbar bin ich noch heute für die besonnene Reaktion aller religiösen Gruppen in unserem Land. Sie haben erkannt, daß die Pressefreiheit nicht elementar gefährdet ist, wenn auf religiös verletzende Karikaturen verzichtet wird. Im Ernst kann doch niemand behaupten, daß der Verzicht auf diese Darstellungen die Freiheit der Presse beschädigt hätte. Politik, Gesellschaft und Medien werden ein neues Gespür für religiöse Gefühle entwickeln müssen.
Genauso gefordert ist die islamische Welt. Eine Nation und ihr Volk für den Inhalt von Zeitungsberichten verantwortlich zu machen, entspringt einem vormodernen Staatsverständnis. Anfang Mai offenbarte sich dies noch einmal: Im Brief des iranischen Machthabers an den amerikanischen Präsidenten war zu lesen, daß Liberalismus und westliche Demokratie gescheitert seien. Gepaart mit den nuklearen Ambitionen des Iran ist diese Botschaft eine unberechenbare Gefahr für die internationale Gemeinschaft. Während diese noch mit Sanktionen droht, rekrutiert Teheran weiter Anhänger. Am vergangenen Sonntag unterzeichnete der Öl-Despot ein Kooperations- abkommen mit Venezuela.
Besonders gefährdet ist Israel. Die Terrororganisation Hisbollah hat sich der Vernichtung unserer religiösen Heimat verschrieben und kann dabei auf die solida- rische wie konkrete Unterstützung aus Teheran zählen: Munition, Geld und Ideologie fließen von dort in den Libanon. Im Juli reagierte Israel. Es verteidigte sich selbst in der Hoffnung, seine entführten Soldaten zu befreien und der Terrorbedrohung aus dem Libanon ein Ende zu machen. Die Zustimmung des Bundestags vorausgesetzt, wird Israel schon bald mit deutscher Hilfe für den Frieden rechnen können.
Klar und besonnen zeigte sich Deutschland auch während der Fußball-Weltmeisterschaft. Das engagierte Eintreten gegen rechte Umtriebe während der Iran-Spiele war beeindruckend. Mit Blick auf die alarmierenden Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern bleibt zu hoffen, daß die Öffentlichkeit auch weiterhin ihre sportliche Seite präsentiert und die Nazis ins Abseits stellt. Aktuell tummeln sich die braunen Banden bevorzugt im Mittelfeld. Erste Wahlanalysen zeigen, daß es keine Protestwähler waren, die am vergangenen Sonntag für die NPD gestimmt haben. Das Votum kam aus der Mitte der Gesellschaft. Beim Kampf gegen diese Tendenz sind nun besonders die Schulen und Jugendeinrichtungen gefordert, intensive Aufklärungsarbeit zu leisten und das Demokratiebewußtsein gerade der jungen Menschen zu stärken. Der Datenreport des Statistischen Bundesamtes macht deutlich, wie signifikant die Zweifel an der demokratischen Staatsform sind – vor allem in den neuen Bundesländern. Den jungen NPD-Sympathisanten muß konsequent gezeigt werden, daß rechtsextremistisches Gedankengut keine Alternative ist. Schon einmal mußten wir erleben, wie braune Banden die Alltagssorgen der Menschen nutzten, um Überfremdungsängste zu schüren. Um ein neues demokratisches Bürgerethos zu schaffen, muß der Staat ausreichend und langfristig finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Dann kann auch die jüdische Gemeinschaft in der Bundesrepublik weiter wachsen. Die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion bereichern unser Gemeindeleben nicht nur zahlenmäßig, son- dern auch in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Grund genug, sie in unserer Mitte willkommen zu heißen.
Aktuell entfaltet sich an vielen Orten eine lebendige jüdische Gemeinschaft: Im vergangenen Jahr wurde die Synagoge in Pforzheim und der Neubau des Gemeindezentrums in Straubing eröffnet. Schon in wenigen Wochen kann die Würzburger jüdische Gemeinde ihr neues Zentrum »Shalom Europa« beziehen. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern wird am 9. November in die Innenstadt zurückkehren. Dort, wo heute noch Bauzäune den Blick versperren, wird bald die Hauptsynagoge festlich ihre Pforten öffnen. Auch in Gelsenkirchen freut man sich auf die Eröffnung eines neuen Gemeindezentrums mit Synagoge. Dresden war Schauplatz für die erste Rabbiner-Ordination in Deutschland nach dem Holocaust. Diese erfreulichen Entwicklungen machen deutlich, daß wir uns als selbstverständlichen Teil der deutschen Gesellschaft begreifen. Lassen wir uns unseren Platz nicht streitig machen.
Uns allen wünsche ich Schana Towa, ein gutes 5767! Möge es ein Jahr des Friedens werden für Eretz Israel, und mögen auch unsere Wünsche und Hoffnungen in Erfüllung gehen.

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025

Abkommen

»Trump meinte, die Israelis geraten etwas außer Kontrolle«

Die Vermittler Steve Witkoff und Jared Kushner geben im Interview mit »60 Minutes« spannende Einblicke hinter die Kulissen der Diplomatie

von Sabine Brandes  20.10.2025

Washington

Trump droht Hamas mit dem Tod

Die palästinensische Terrororganisation will ihre Herrschaft über Gaza fortsetzen. Nun redet der US-Präsident Klartext

von Anna Ringle  16.10.2025

Terror

Hamas gibt die Leichen von Tamir Nimrodi, Uriel Baruch und Eitan Levy zurück

Die vierte Leiche ist ein Palästinenser

 15.10.2025 Aktualisiert

München

Friedman fordert Social-Media-Regulierung als Kinderschutz

Hass sei keine Meinung, sondern pure Gewalt, sagt der Publizist. Er plädiert für strengere Regeln

 10.10.2025