helfen

Seid solidarisch!

von Rabbiner Joel Berger

Die Parascha für diesen Schabbat bietet erneut Anlaß zur Erkenntnis, daß die Ge-schichte, die Erlebnisse der Ahnen, uns bis heute wesentliche Lehren für die Gestaltung des Lebens unserer Gemeinschaft bieten können. Die wandernde Schar der Israeliten in der Wüste nähert sich den Grenzen des Heiligen Landes. Die vierzigjährige Wanderung nach der Befreiung aus der Sklaverei nähert sich ihrem Ende. Jedoch, noch bevor die Grenze Kanaans erreicht ist, beschließen zwei Stämme der Israeliten: Wir wollen nicht weiter! Die Idee fruchtet. Die Hälfte des Stammes von Menasche schließt sich auch noch schnell an. Alle meinten plötzlich, ihr Gelobtes Land bereits jenseits des Jordan gefunden zu haben. Die fruchtbaren Weidegebiete für ihre eigenen Viehherden waren für die Angehörigen dieser Stämme einzig maßgebend. Die materielle Existenzsicherung stand offensichtlich soweit im Vordergrund, daß sie ohne längeres Überlegen bereit waren, auf das von Gott gesetzte Ziel, das Gelobte Land, zu verzichten.
Moses und scheinbar die Mehrheit des Volkes reagierte konsterniert bis zornig, weil sie sich im Stich gelassen fühlten. Obwohl sie auch hätten überlegen können, daß je weniger Stämme in das Gelobte Land ziehen, desto mehr Land ihnen zuteil werden würde. Moses aber begann dennoch zurückhaltende Verhandlungen: »Sollen eure Brüder (etwa) in den Krieg ziehen und ihr (währenddessen) hier behaglich sitzen und nur das eigene Wohl vor Augen haben?« (4. Buch Moses 32, 6) Diese Argumentation Moses’ stieß nicht auf taube Ohren. Man hatte schon geahnt, daß sich hier auch ein Kompromiß schließen lassen wird. So antworten jene altertümlichen Viehirten: »Schafhürden wollen wir für unsere Herden bauen und eine Bleibe für unsere Kinder. Und wir wollen gerüstet vor den Kindern der Israeliten ausziehen. Bis jeder sich sein Erbe genommen hat.« (32, 16-18)
Dieses Angebot war dann für alle annehmbar. Während der Zeit der Landnahme wirkte der Kompromiß. Und für einige Zeit blühten auch die Siedlungen jener Stämme. Später jedoch bewahrheitete sich der Schriftsatz aus dem Salomonischen Mischle (Sprichwörter 20,21): »Ein am Anfang voreilig angeeignetes Besitztum wird am Ende keinen Segen bringen.« Im Laufe der Geschichte unseres Volkes im Heiligen Land waren gerade diejenigen, welche sich zuerst niederlassen konnten auch die, die ihre Heimat als erste wieder verloren und ins Exil mußten. Der assyrische Herrscher Tiglat-Pilesser ließ jene Stämme beziehungsweise ihre Nachfahren zuerst verbannen und die Israeliten aus dem Norden und aus dem Süden konnten ihnen nicht zu Hilfe eilen.
Der bekannte Hamburger Rabbiner der Frühzeit, Jonathan Eybenschütz, stellte wegen der anfangs zitierten Erwiderung Moses’ an die trennungswilligen Stämme der Israeliten eine weitere Frage: Meint ihr wirklich, daß die Auseinandersetzung eurer Brüder mit all den Gegnern euch unbehelligt lassen wird? Krieg oder Verfolgung, in die zu Beginn nur ein Teil des Volkes verwickelt war, hatte immer Auswirkungen auf die Gesamtheit der Juden. Es kann eine gefährliche Illusion sein, wenn man sich in Sicherheit wähnt, da man sich geographisch nicht am Ort des Geschehens befindet. Die Lehrer unseres Volkes sahen auch in dieser historischen Episode der biblischen Zeit das Gebot der uneingeschränkten Solidarität verankert. Der Talmud drückt es so aus: Im ganzen Volk der Israeliten ist ein jeder auch für den anderen verantwortlich (Babylonischer Talmud, Schawuot 39a).
Manche sehen in jener Einstellung die Grundlage der Idee der gegenseitigen Verantwortung. Wir lernen aus der Tora (3. Buch Moses 19,16): »Stehe nicht gleichgültig neben dem Blut deines Nächsten!« Dies deuteten die Rabbiner im Talmud dahingehend, daß man gegenüber der Not seines Mitmenschen niemals unbeteiligt bleiben darf. Die Beispiele können sich nicht bloß auf den Ertrinkenden oder auf die von Räubern Überfallenen jener Zeit beschränken. Aktives Handeln wird von uns erwartet. Schlicht und einfach: Zivilcourage. Sogar die Unterlassung einer Zeugenaussage, um sich Unannehmlichkeiten zu ersparen verstößt dagegen.
Die solidarische Handlung gegenüber den Nächsten findet auch dann Eingang in die Tora, wenn es sich um einen Feind handelt: »Wenn du auf den Ochsen deines Feindes triffst, der sich verirrt hat, bringe ihm (unverzüglich) denselben zurück.« (2. Buch Moses 23, 4-5) Die Meister der rabbinischen Lehre sahen in der Befolgung dieses Gebots nicht etwa einen Akt der »Feindesliebe« oder der Verantwortung gegenüber dem Tier, sondern sie betonen die ungebrochene Verantwortung einem Feind gegenüber in der Hoffnung, ihn viel- leicht dadurch in seinem Denken und Verhalten positiv beeinflussen zu können.
Bereits der mittelalterliche Gelehrte und Philosoph Maimonides legte Wert auf die Feststellung, daß unsere mitmenschliche Verantwortung nicht nur die Glieder der eigenen Gemeinschaft meint. Seine Grundsätze galten ebenso uneingeschränkt für die Heiden, unter denen er damals lebte. Dennoch betonte er, daß man schon um des Friedens willen den Armen unter den Heiden und Götzendienern – zusammen mit den Bedürftigen des eigenen Volkes – ernähren und aus der Not helfen muß.

Mattot-Masse: 4. Buch Moses 30,2 - 36,13

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