Gebühren

Proteste statt Klausuren

von Sabine Brandes

Or Schemesch ist ein cooler Typ. Die Haare raspelkurz geschoren, die Sonnenbrille lässig auf die Stirn geschoben. Für jeden Kunden hat er einen flotten Spruch parat, ein Augenzwinkern, der 24-Jährige scheint seinen Job gern zu machen. Doch könnte er wählen, würde er nicht einen Tag länger hier arbeiten. Aber Schemesch hat keine Wahl.
An fünf Abenden in der Woche serviert er Kaffee, Cola, Sandwiches und Salate in einem Café in Netanjas Zentrum. Von sieben am Abend bis um ein Uhr in der Nacht. Tagsüber ist Schemesch Student im dritten Jahr am Wingate-Sportinstitut. Sein Leben ist das Gegenteil des Klischees vom verschlafenen Faulenzer, der sich abends in der Kneipe die Biere schmecken lässt. Freizeit kennt er kaum, ständig ist er am finanziellen Limit, oft gestresst und todmüde. Die Vorlesungen beginnen um acht Uhr, nicht selten nickt er im Hörsaal ein. Eigentlich wollte er in anderthalb Jahren seinen Abschluss machen, Sportlehrer sein, der große Traum. »Zwar war es schon immer superknapp, aber irgendwie ging es doch«, sagt er. Jetzt aber könnte »superknapp« nicht mehr reichen.
Das Schochat-Komitee der Knesset, das seit November 2006 mit der Reform des höheren Bildungssystems betraut ist, veröffentlichte vor zwei Wochen einen ersten Bericht. Zum Entsetzen der meisten Studenten. Denn nicht nur soll der Plan, die Studiengebühren um die Hälfte zu reduzieren, gestrichen werden, es wird zudem eine Erhörung von mindestens 50 Prozent vorgeschlagen. Für Schemesch würden das weitere 5.000 Schekel bedeuten. Er hat keine Ahnung, wie er die auftreiben soll.
20 Schekel verdient der studentische Kellner pro Stunde, rund 3,60 Euro. Im Monat kommen 435 Euro zusammen, 220 zahlt er für sein WG-Zimmer. Es bleiben 215 Euro für Strom, Gas, Telefon, Verpflegung, Fahrten und Bücher. Und die Studiengebühr nicht zu vergessen: 10.000 Schekel muss Schemesch jährlich an seine Universität zahlen, 1.820 Euro. Um diese Rechnung zu begleichen, belegt er in den Semesterferien Doppelschichten in Cafés, Bars oder Pizzerien.
»Zwar frisst die Arbeit im Café genau die Zeit auf, die ich zum Lernen bräuchte, aber zum Glück gibt es ja die Wochenenden. Wenn die aber jetzt auch noch fürs Jobben draufgehen, kann ich meinen Abschluss vergessen«, meint er bitter. Damit abfinden will er sich nicht. In den vergangenen Tagen demonstrierte er, Hand in Hand mit vielen der 250.000 Studenten des Landes, gegen die Reform. »Olmert – Bildung ist kein Immobilien-Deal« oder »Yuli Tamir drängt die Studenten auf die Straße«, war auf den Plakaten in fetten Lettern nicht zu überlesen.
Eigentlich hätte es nach den Pessach-Ferien mit Volldampf in Richtung Klausuren gehen sollen. Stattdessen herrschte gähnende Leere in den Hörsälen. In der vergangenen Woche versammelten sich mindestens 2.000 Studenten vor dem Büro des Premierministers in Jerusalem. Auch Itzik Schmuli, Präsident der Studentenvereinigung des Oranim College für angehende Lehrer, war dabei und machte seinem Unmut Luft: »Es geht nicht nur da-
rum, dass die Gebühren erhöht werden sollen, das Vorhaben, sie zu reduzieren, ist einfach so vom Tisch gewischt worden.« In Schmulis Augen kommt Studieren einem Roulette-Spiel gleich. »Unsere Jobs sind total unbeständig, jeden Tag können wir gefeuert werden. Dazu kommt nun die Unsicherheit über Studiengebühren, die über Nacht ins Unermessliche steigen.«
Efrat Kasantini, Leiterin der Sozialabteilung an der Tel Aviv Universität, kann die Verunsicherung gut verstehen. Täglich landen Fälle von jungen Frauen und Männern auf ihrem Tisch, die aus Geldmangel kurz vor der Zwangsexmatrikulation stehen. 30.000 Studenten sind hier eingeschrieben, mindestens ein Viertel von ih-
nen lebt unterhalb der Armutsgrenze, weiß sie. »Viele Studenten gehören heute zu den armen Bevölkerungsteilen«, erklärt die Sozialarbeiterin, »doch der Großteil der Israelis will das nicht sehen«.
»Sie haben miese Jobs für wenig Geld, arbeiten fast jeden Tag, müssen lernen und für das Studium bezahlen. Das ist ein riesiger Stress.« Staatliche Unterstützung gibt es nur für Neueinwanderer innerhalb der ersten drei Jahre, ein Stipendium der Universität beläuft sich auf maximal 7.000 Schekel. »Doch die Gebühr kann mit zu-
sätzlichen Kursen und Sprachunterricht schnell auf 15.000 Schekel anwachsen, und das ist oft von den Studenten nicht mehr zu bezahlen.«
Mindestens 2.000 Schekel braucht ein Student zum Leben, wenn er in den günstigen Wohnheimen untergekommen ist. Die meisten jedoch wohnen außerhalb des Campus, und in den Studentenhochburgen Tel Aviv, Jerusalem und Haifa erreichen die Mieten immer absurdere Höhen.
Ein weiteres Problem ist das Darlehenssystem. Zwar gibt es Darlehen für Studiengebühren, Kredite für die Lebenshaltungskosten, wie das BaföG in Deutschland, aber nicht. »Außerdem trauen sich nur die wenigsten, sie in Anspruch zu nehmen, weil schon zwei Jahre nach der Auszahlung mit der Rückzahlung begonnen werden muss«, so Kasantini. »Und das ist unmöglich, vor allem bei diesen Einstiegs-
gehältern.« Sie spricht aus Erfahrung. Für ihren ersten Job, mit einem Magistertitel in der Tasche, standen gerade einmal 670 Euro auf dem Lohnzettel.
»Das Bildungssystem ist nicht mehr nur krank, es liegt schon auf der Intensivstation.« Or Schemesch ist wütend: »Und die Studenten müssen es ausbaden. Dabei sind sie die Zukunft unseres Landes.«

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