Wohltätigkeit

Ohne Maß

von Rabbinerin Gesa Ederberg

Die Nachrichten sind schlecht. Aus der Finanzkrise entwickelt sich in diesen Tagen eine Wirtschaftskrise, von der viele annehmen, dass sie die schlimmste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen wird. Wir wissen nicht genau, was auf uns zukommt, als Einzelne, als Gesellschaft, als jüdische Gemeinde. Wir haben das Gefühl, uns warm anziehen zu müssen. Der Instinkt sagt uns, dass wir uns auf uns selbst konzentrieren müssen, um die Krise besser zu überstehen. Also möglichst wenig ausgeben, viel sparen und Vorräte anhäufen. Die Wirtschaftsfachleute sagen jedoch, dass genau solch ein Verhalten die Krise fördert, dass »business as usual« – in diesem Falle normales Konsumverhalten – der bessere Umgang sei.
In der Finanzwelt wird mit unvorstellbaren Summen jongliert, und man hat den Eindruck, dass auch die Jongleure längst jeden Wirklichkeitsbezug verloren haben. Warum nicht hier noch eine Milliarde und dort ein paar Hundert Millionen in ein unermesslich scheinendes Loch werfen? Was sind dagegen die kleinen Summen, die einzelnen Menschen und Familien fehlen, die dazu führen, dass Kinder keine Freunde zum Geburtstag einladen dürfen, weil die Eltern sich schämen, nicht groß feiern zu können? Dass Jugendliche vom Klavierunterricht abgemeldet werden oder sich die Eintrittskarte fürs Schwimmbad nicht leisten können?
Ein schlichter Appell, die Armen nicht zu vergessen und das soziale System nicht auszuhöhlen, wird kaum Erfolg haben. Tatsächlich denkt jeder zunächst an die eigenen Bedürfnisse und erst danach an die seiner Nachbarn.
Die jüdische Tradition kennt diese Haltung. Deshalb beschreibt sie soziales Verhalten nicht als wünschenswert, sondern fordert es ein: »Zedaka«, Gerechtigkeit, ist kein theoretischer Begriff, vielmehr ist er mit konkretem Inhalt gefüllt. Das Abgeben eines Teils an die Schwachen ist eine Aufgabe, die nicht vom eigenen Reichtum abhängt – selbst der Bettler soll sich an dieser Aufgabe beteiligen! Egal, ob es einem gut oder schlecht geht, Teilen gehört dazu.
Dass sozial gerechtes Verhalten letztendlich auch für den Gebenden selbst nützlich ist, drückt ein Talmudtext aus, der Teil des täglichen Morgengebets geworden ist: »Von folgenden Dingen genießt der Mensch die Frucht (…): Vater und Mutter zu ehren, Wohltätigkeit zu üben, pünktlich morgens und abends im Lehrhaus zu erscheinen, Fremden zu essen zu geben, Kranke zu versorgen, für die Ausstattung von Bräuten zu sorgen, Tote zu beerdigen, Andacht beim Gebet, Frieden zwischen Menschen zu stiften und vor allen Dingen, Tora zu lernen.« In scheinbar verwirrender Weise werden hier religiöse und soziale Themen miteinander vermischt. Doch in der jüdischen Tradition lassen sich soziale und religiöse Anliegen nicht voneinander trennen. Daher gibt es grundsätzlich für Gemilut Chassadim, für Wohltätigkeit, kein Maß, das sie beschränkt. Es geht nicht nur um die Sicherung des nackten Überlebens, es geht ebenso um die Bewahrung der Würde des Empfangenden und darum, erfülltes Leben zu ermöglichen. Einzuüben ist das von Anfang an: Die Zedaka-Büchse gehört schon ins Kinderzimmer, und die in der jüdischen Tradition geforderten zehn Prozent Sozialsteuer errechnen sich aus dem Gesamt- einkommen – auch das Existenzminimum wird dabei mitbesteuert.
In diesen Zusammenhang passt auch das gerechte Verhalten in Geschäftszusammenhängen: »Du sollst den Armen, die Witwe und den Waisen sowie den Fremden, der in deiner Mitte wohnt, nicht bedrängen«, heißt es in der Tora. Das bedeutet zum Beispiel, den Arbeiter pünktlich zu entlohnen. Wer am unteren Rand der Gesellschaft lebt, hat keine Reserven und ist auf sofortige Hilfe angewiesen. Aber auch für Handwerker und Geschäftsleute gilt dies angesichts der Kreditkrise. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Leistungen rechtzeitig bezahlt werden.
Zedaka ist keine Gutwettertugend. Gerechtes Verhalten muss eingeübt werden, damit es von den Schwankungen der Lebensumstände unberührt bleibt. Dass wir – als Gemeinschaft und als Einzelne – in eine gerechte Gesellschaft investieren, unabhängig von der Konjunkturlage, ist die eigentliche Garantie für eine stabile Zukunft.

Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

New York City

UN-Sicherheitsrat verurteilt Israels Angriff auf Katar einhellig

Sogar die USA schlossen sich der Erklärung an

 12.09.2025

Eurovision Song Contest

Gegen Israel: Irland erpresst Eurovision Song Contest-Veranstalter

Nach Slowenien hat auch Irland verkündet, dem Eurovision Song Contest fernzubleiben, sollte Israel teilnehmen. Damit verstoßen sie gegen Grundregeln des international beliebten TV-Wettbewerbs

 11.09.2025

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025