Handlungen

Mit Weitblick

von Rabbiner Joel Berger

»Richter und Amtspersonen einzusetzen«, verpflichtet Moses die Kinder Israels zu Beginn unserer Parascha (5. Buch Moses, 16,18). Seine Anordnung bietet den Auslegungen breiten Raum, die die Rolle und die Aufgaben der Richter im Dienste der Gerechtigkeit umreißen wollten. Zum Beispiel weist der chassidische Rabbiner Schlomo Kluger auf die Bedeutung einer bestimmten Formulierung im biblischen Text hin: Es steht geschrieben daß die Richter »in allen deinen Toren« eingesetzt werden sollen. In der antiken Zeit pflegte man die Gerichtsverhandlungen vor den Stadttoren abzuhalten. Man hatte erkannt, daß die Anwesenheit der Öffentlichkeit im Prozeß eine positive Wirkung hatte. In Orten, in dem jeder jeden kannte, waren Angeklagte und Zeugen eher gezwungen, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn also Richter an »jeglichen Orten« eingesetzt würden, meinte Rabbiner Kluger, könnten sie dem gerecht werden, was die zweite Hälfte des Toraverses von uns verlangt: »Richtet über das Volk mit gerechtem Urteil.« Würden Richter nicht gleichmäßig an allen Orten eingesetzt, würde die gerechte Urteilsfindung wegen der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung bloß Schaden nehmen.
Ein anderer Rabbiner, Jakob Jitzchak, der Polaner Rebbe, wollte diesen Vers durch eine allegorische Deutung auslegen. Er sagte: »Du sollst zuallererst dich selbst einer gerechten Prüfung unterziehen. Erst nachdem du deine Taten gerecht beurteilen kannst, wende dich den Geschehnissen zu, die andere zu verantworten haben.« Rabbiner Jakob Jitzchak betonte, daß diese Sichtweise auch davor bewahren könnte, mit zweierlei Maß zu messen – die eigene Handlungsweise bagatellisierend zu bewerten und für andere hingegen die volle Strenge des Gesetzes zu verlangen. Dagegen lehrt hier die Tora, die gleiche Beurteilung, die man für sich wünscht, solle man allen anderen zuteil werden lassen. Die Bemessungsgrundlage soll heißen: Wie du dich beurteilst, so tue es mit allen Menschen.
Unter den verschiedenen Themen dieses Wochenabschnittes sind die Anordnungen zum Thema Krieg leider die aktuellsten: »Wenn du in einen Krieg ziehst gegen deine Feinde und siehst Rosse und Wagen eines Heeres, das größer ist als du, so fürchte dich nicht vor ihnen. Denn der Herr, dein Gott, der dich aus Mizrajim geführt hat, ist mit dir« (5. Buch Moses 20,1). Unsere Weisen lehrten uns, daß die Gesetzgebung der Tora zweierlei Arten des Krieges kannte. Eine war »Milchemet Reschut« – ein Angriffskrieg. Vor den Kriegshandlungen verkündete der Hohepriester, welcher Personenkreis aus dem Volk von den Kriegshandlungen befreit war: Wer ein neues Haus gebaut und es noch nicht eingeweiht hatte. Wer einen Weingarten gepflanzt und noch keine Traubenlese feiern konnte. Jedoch traf die Befreiung vom Kriegsdienst vor allem denjenigen, der sich verlobt, aber seine Braut noch nicht getraut hatte. Freigestellt wurde ebenso, wer einfach ängstlich war.
Im Grunde war die Tora gegen Kriegshandlungen. Daher regte sich im Volk sogar Widerstand anläßlich der Eroberungskriege von Alexander Jannai im ersten Jahrhundert vor der Zeitrechnung. Diese Freistellungen von den Kriegshandlungen zeigen deutlich, daß die Tora der friedlichen Aufbautätigkeit gegenüber den Gebietserweiterungen den Vorzug gab.
Beim »Milchemet Mizwa« – dem Pflichtkrieg – war jedoch jeder waffenfähige Mann zur Teilnahme verpflichtet. Zu diesen Kriegen gehörten die, bei deren das Volk das von Gott verheißene Land in Besitz nahm. Ferner gehörten dazu die Verteidigungskriege, wie zum Beispiel der gegen das räuberische Wüstenvolk Amalek. Im Gesetzbuch des Rambam heißt es zum Beispiel: Der Bräutigam komme aus seinem Trauzimmer und die Braut unter der Chuppa hervor, damit sie im Kampf ihren Anteil nehmen. Manche Gelehrten sehen in dieser Formulierung des Rambam einen Hinweis darauf, daß auch die Frauen Kriegsdienst leisten konnten. In den »Milchemet-Mizwa«-Kriegen war keinerlei Freistellung möglich. Es ging um die Verteidigung des eigenen Landes und des eigenen Volkes. Daher war jedermann aufgerufen, durch seinen Einsatz ein schnellstmögliches Ende der Kampfhandlungen herbeizuführen. Die Kriege des jüdischen Staates in unserer Epoche, vom Unabhängigkeitskrieg 1948 angefangen bis zum letzten blutigen Krieg gegen die Terroristen, gelten als »Milchemet Reschut.«
Gegen Ende des Wochenabschnittes lehrt uns die Tora, daß wir Verantwortung für unsere Umwelt tragen müssen. Es steht geschrieben (20,19): »Wenn du eine Stadt«, die bereits ein Friedensangebot abgelehnt hatte, »belagern solltest, bleibt es dir untersagt, für Zwecke Deiner Kriegsgeräte Obstbäume abzuschlagen.« Die Gelehrten weisen darauf hin, daß mit diesem Vers klar wird, daß die Tora für alle Zeiten und Anlässe verbietet, Bäume zu fällen. In diesem Sinne lehrt Rambam in seinem Werk Mischne Tora all das, was dieser Vers weiterhin beinhaltet: »Es ist untersagt Bäume zu vernichten, die Früchte tragen oder deren Teile als Lebensmittel verwendbar sind. Dieses Verbot hat uneingeschränkte Gültigkeit und zwar nicht nur für Kriegszeiten. Wer dagegen verstößt, begeht eine schwere Straftat« (Hilchot Melachim 6,8). Rambam erweitert sein Verbot der Zerstörung auf alle nützlichen Güter. Diejenigen, die wichtige Geräte oder Kleider vernichten, Gebäude, die sich als Wohnraum eignen, mutwillig zerstören oder Wasserquellen unbrauchbar machen, haben die Mizwa »Du sollst nichts Brauchbares zerstören« übertreten. Dieses strenge Verbot wurde auch zur Zeit der Bautätigkeit des Tempels in Jerusalem eingehalten: Zum Tempelbau wurden nur Schittim-Holz und Zedern aus dem Libanon verwendet, die keinerlei Früchte trugen.

Schoftim: 5. Buch Moses 18,1 bis 21,9

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