Leonid Chizhik

»Mein Spiel braucht Interaktion«

von Ellen Presser

Herbie Hancock, Keith Jarrett, Chick Corea – wer etwas von Jazz versteht, kennt diese Namen. Diese berühmten Musiker wiederum kennen Leonid Chizhik, denn auch er zählt zur Jazz-Weltelite. Sein Instrument ist das Klavier. Aber er ist »kein reproduzierender Künstler, kein Interpret«. Besucht man Leonid Chizhik in seinem gemütlichen, gutbürgerlichen Zuhause in Neubiberg bei München, fällt der alles beherrschende Flügel ins Auge. Chizhik wirkt energiegeladen. Seine Improvisationskunst ist legendär. »Mein Spiel«, erklärt er, »braucht Interaktion. In meinen besten Konzerten spiele nicht ich – ich bin eine Mittlerperson zwischen dem Publikum und der Inspiration.«
1991 kam Chizhik für einen auf vier Jahre befristeten Aufenthalt nach Deutschland. Damals war er ein Superstar aus Moskau mit Auftritten in der ganzen Welt. Als er sich entschied, hier zu bleiben, veränderte sich alles. Er verlor den Sonderstatus des gefeierten Gaststars, wurde ein Konkurrent für die einheimische Musikszene, bekam mit seiner Familie den neuen Status jüdischer Flüchtlinge aus Osteuropa.
Nun hatte er die Erfahrungen aus einem Alltag in einem Land »voll von offenem Antisemitismus« zwar hinter sich gelassen. Doch der Preis, seine Frau Malvina und die Kinder in die Freiheit gebracht zu haben, war hoch. Leonid Chizhik hätte wieder in die Clubszene einsteigen müssen, doch das wollte er nicht.
Als »Svjatoslav Richter des Jazz« apostrophiert, hatte dank Musikern wie ihm die Jazz-Musik längst die großen Konzertsäle erobert. Selbst klassische Komponisten wie Sergei Rachmaninow, Igor Strawinsky und Alexander Skrjabin hätten Jazzmusik von ihren Anfängen an akzeptiert und als eine transnationale Sprache begriffen.
Chizhiks eigener musikalischer Weg war zunächst ein ganz klassischer. 1947 im moldawischen Kischinew geboren, bekam er als erstes Instrument eine Geige. Die Fidel ist nicht das richtige für ihn. »Ich kann geben«, lacht Leonid Chizhik und spreizt die Finger, »aber nicht nehmen« und zeigt, wie wenig ihm die Grundposition der linken Hand liegt. Statt dessen begann er mit fünf Jahren Klavier zu spielen. Weil er ein absolutes Gehör besitzt, begann er sehr früh, Gehörtes zu modifizieren. Mit elf Jahren hörte er Jazz im Radio. »Intuitiv wußte ich, das ist meine Musik, in diesem Swing spürte ich Freiheit.«
Jüdisch zu sein, bedeutete in Leonid Chizhiks Familie nicht, in die Synagoge zu gehen. Das war in Charkow, wo er eine Schule für musisch Begabte besuchte und dort auch seine spätere Frau kennenlernte, gar nicht möglich. Die Eltern waren überzeugte Kommunisten, der Vater hatte in der Roten Armee gekämpft. Doch auch ohne religiöse Praxis war ihm das Jüdischsein bewußt. Die Freunde waren jüdisch, kam man zusammen, sang man jüdische Lieder, und manche der Erwachsenen sprachen untereinander Jiddisch. Selbst im Namen klingt es an. »Chizhik«, auch Tchijik geschrieben, bedeutet bei aschkenasischen Juden »Zeisig«, lautmalerisch abgeleitet vom ursprünglichen Begriff »Zaddik«. Die Mutter bedeutete dem jungen Leonid, daß Jüdischsein ei- nen besonderen Auftrag beinhalte: besser sein zu müssen in allem, was man tue. Er wurde einer der Besten und 1965 zum Studium am Gnessin-Institut in Moskau zugelassen.
So schwer der Neuanfang von München aus war, der in Rußland hochgeschätzte Musikpädagoge schaffte es, innerhalb eines Jahres Dozent für Jazzklavier am Richard-Strauß-Konservatorium zu werden. Zwei Jahre später war er Professor für Jazzklavier an der Hochschule für Musik in Weimar. Nun pendelt er jede Woche. Jazz-Standards kommen für Leonid Chizhik aus der jüdischen Musik. Mit Improvisationen zu Evergreens von George Gershwin, Irving Berlin und Benny Goodman brachte er das in München schon auf die Bühne. Doch er scheut sich auch nicht, »Haendel meets Jazz« und »Mozart und Jazz« anzupacken. »Ich weiß vor dem Konzert nicht, was passiert. Ich formuliere meine Energie aus allen Quellen: meinem Körper, meinen musikalischen Erfahrungen, der Technik.«

Beim Münchner Klaviersommer spielt Leonid Chizhik am 15. Juli, 20 Uhr in der Residenz, Allerheiligen-Hofkirche.
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