Hummus

Kichererbsen-Kult

von Wladimir Struminski

Besonders appetitlich sieht die zähe, beige-graue Masse nicht aus. Pappt man sie auf den Teller, bleibt sie dort liegen, als sei sie inmitten einer Einsturzbewegung erfroren. In die Pita gepfercht, tropft sie bei jedem Biss auf Hemd und Hosen. Aber davon lässt sich kaum ein Israeli abschrecken. Einer Umfrage zufolge wird Hummus in neun von zehn jüdischen Haus-
halten genossen. In ärmeren Schichten ist Hummus wegen des niedrigen Preises und des hohen Nährwertes ohnehin ein Muss. Wer sich auf dem Freiluftmarkt versorgt, kommt mit umgerechnet zwei Euro pro Kilo aus. Stammkunden bekommen Rabatt. Bei orthodoxen Juden ist das aus gemahlenen Kichererbsen und Sesam zubereitete, hauptsächlich mit Zitrone und Knoblauch gewürzte Grundnahrungsmittel beliebt, weil es parwe ist und zu milchigen ebenso wie fleischigen Mahlzeiten gereicht werden kann. In arabischen Fami-
lien vergeht kaum ein Tag ohne Hummus.
Hummus ist nicht nur die beliebteste Salatbeilage, sondern dient auch als Hauptgericht, mit Techina (Sesam) und Olivenöl angereichert. Gegessen wird es überall: Im Restaurant, an der Hummus-Bude, auf der Straße und natürlich in den eigenen vier Wänden. Wem das lange Einweichen der Kichererbsen, das Kochen, Mischen und Würzen zu lästig ist, kauft Hummus als Fertigspeise im Supermarkt. Dann schmeckt er zwar nicht so gut wie frisch zubereitet, lässt sich dafür einige Tage lang im Kühlschrank aufbewahren. Jahr für Jahr werden im Judenstaat rund zehn Millionen Kilogramm Humus verkauft. Jeder dritte Israeli führt sich die Delikatesse mindestens zweimal im Monat zu Gemüte, viele noch viel öfter. Beispielsweise Rafi. Bevor der Jerusalemer Metzger freitags nach Hause aufbricht, macht er am nahe gelegenen Machane-Jehuda-Markt Halt und deckt sich mit Hummus für die ganze Familie ein. »Ich kaufe immer zwei Kilo. Bis Dienstag, spätestens Mittwoch, sind die weg«, berichtet Rafi nicht ohne Stolz. Auch Tatjana isst gern Hummus. Das war nicht immer so. »Als ich vor sechs Jahren aus der Ukraine nach Israel gekommen bin«, berichtet die Psychologin, »habe ich das Zeug nicht angerührt.« Inzwischen aber ist auch sie auf den Geschmack gekommen und schreibt der beigefarbenen Paste sogar heilende Wirkung zu. »Wenn ich deprimiert bin, verputze ich an einem Tag ein halbes Kilo. Dann ist die Depression weg.«
Einer Schätzung zufolge geben die Israelis allein im Supermarkt 50 Millionen Euro pro Jahr für Hummus aus. Auch im Gaststättengewerbe ist das Grundnah-rungsmittel ein führender Umsatzträger. Die großen Lebensmittelkonzerne sparen weder Geld noch Anstrengung, um ihren Hummus an den Mann zu bringen. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Firmen suchen nach neuen Sorten der Kichererbse und kreieren immer weitere Variationen des Produkts. Auch Hummus light ist bereits zu haben. Wer auf die schlanke Linie achten will, kommt mit 200 Kalorien pro hundert Gramm davon: Deutlich weniger als die regulären Marken, deren Brennwert um 300 Kalorien liegt. »Unsere Achla-light-Marke enthält keinen Ölzusatz«, berichtet der Lebensmittelkonzern Strauss-Elite. Das wissen die Kunden offenbar zu schätzen: Seit der Markteinführung vor einem halben Jahr steigt die Nachfrage laut Herstellerangaben.
Allerdings ist Hummus längst nicht nur Teil der israelischen Küche, sondern auch der israelischen Kultur. In Tel Aviv findet alljährlich ein »Hummus-Festival« statt. Über die Frage, wo der beste Hummus zu haben ist, wird heiß und lange gestritten. Hummus-Rezepte sind begehrte Lektüre. Die klebrige Masse ist sogar Gegenstand tief schürfender Untersuchungen. Eine Arbeitsgruppe von Psychologen hat das Image der Delikatesse unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Die Israelis sehen ihren Hummus als schlicht, volkstümlich und alle sozialen Schichten verbindend an. Nicht zuletzt deshalb ist er so beliebt. Wer Hummus wie die Einheimischen essen will, bricht ein Stück von der frischen, warmen Pita ab und nimmt damit reichlich Hummus vom Teller auf. Wenn ein Israeli einen Freund zum Hummus einlädt, sagt er denn auch »Lass uns Hummus aufwischen.« Zudem gilt Hummus im Judenstaat als typisch israelisch und wird von Diasporaisraelis schmerzhaft vermisst. »Als wir zwei Jahre lang in Amerika lebten«, sagt Dina, eine Jerusalemer Werbefachfrau, »gab es bei uns nur griechischen Hummus zu kaufen. Der aber enthält weniger Tchina und ist nicht so geschmeidig wie der israelische.« Selbst das Außenministerium bietet auf seiner Website ein Hummusrezept an. Vielen in der arabischen Welt gilt das als zionistischer Kulturimperialismus.
In der Hummus-Szene darf natürlich auch ein Familiedrama nicht fehlen. Dessen Austragungsort ist das Abu-Schukri-Restaurant im arabischen Dorf Abu Gosch bei Jerusalem. Im Laufe der Zeit war das Lokal zu einer Pilgerstätte für Hummus-Liebhaber aus dem ganzen Land aufgestiegen. Dann aber machte sich Sami Abu-Schukri, ein Vetter des Restaurant-
inhabers Subhi, selbstständig und eröffnete auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein gleichnamiges Lokal.
Im vergangen Jahr wurde zwischen den beiden ein Vergleich erzielt. Heute schmücken sich beide Lokalen mit dem Spruchband: »Hummus Abu Schukri original Nummer eins«. Gleich neben den beiden Abu Schukris gibt es einen weiteren Mitbewerber, das »Nadschi«. Dort brüstet man sich »Wir haben den Chefkoch von Abu-Schukri übernommen«. So scheint der »Hummuskrieg von Abu-Gosch«, wie er allgemein heißt, wohl noch lange nicht vorbei zu sein.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025