justiz

Kennzeichen NS

Ob Hakenkreuze, Reichskriegsflaggen oder NS-Parolen: Immer wieder muss das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit von Strafen für das »Verwenden von Kennzeichen verfassungs-feindlicher Organisationen« urteilen. Vor Kurzem hatte etwa ein NPD-Politiker ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Sohn Frankens, die Jugend stolz / die Fahnen hoch« getragen und war dafür zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Zu Recht, bestätigten nun die Karlsruher Richter. Die Wendung »Die Fahnen hoch« ist der ersten Zeile des Horst-Wessel-Lieds zum Verwechseln ähnlich (»die Fahne hoch«). Nunmehr fallen auch Teile dieser NSDAP-Hymne unter die Strafnorm von Paragraf 86a des Strafgesetzbuches, wenn »markante Textteile« zusammen mit der sonstigen Aufmachung (Frak- turschrift) und Schlüsselwörtern (»stolz«) einem rechtsradikalen Kontext zugeordnet werden können. »Das kommunikative Tabu«, so das Richterkollegium, sei in diesem Fall »verfassungsrechtlich unbedenklich«.
Die Judikatur zu Kennzeichenverboten ist inzwischen sehr umfangreich. Immer wieder versuchen Rechtsradikale, die Grenzen der Verbote auszuloten. Sie nehmen Änderungen an Parolen vor, erfinden neue Textbausteine und berufen sich auf den »allgemeinen Sprachgebrauch«. Oft vergebens, manchmal aber auch erfolgreich: So entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Fantasieparole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« nicht unter das Verbot fällt.
Die Probleme mit der Vorschrift sind vielfältig. Kritiker bemängeln, dass sich diese durch die Verwendung neuer Symbole umgehen lässt. So steht beispielsweise die Zahl 88 stellvertretend für »Heil Hitler« (der Buchstabe H steht im Alphabet an achter Stelle). Manche Richter schießen zudem übers Ziel hinaus: Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Betreiber eines Versandhandels von Anti-Nazi-Aufklebern mit durchgestrichenem Hakenkreuz ebenfalls wegen »Verwendens« dieses Symbols. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil später auf.

güterabwägung Kennzeichenverbote stehen nicht nur rechtspolitisch in der Kritik. Ein grundsätzlicher Vorwurf gegen sie lautet, dass unklar sei, welches Rechtsgut und wessen Interessen sie schützen und dass sie die Meinungsfreiheit unzulässig einschränkten. Ein liberaler Rechtsstaat, so die Argumentation, könne und müsse es aushalten, mit Symbolen aus dem »Dritten Reich« konfrontiert zu werden: Diese richteten schließlich keinen messbaren Schaden an. Tatjana Hörnle, Strafrechtlerin und Rechtsphilosophin an der Universität Bochum, hegt insbesondere wegen der Meinungsfreiheit Bedenken. Sie sieht »kaum überwindbare Probleme bei der Rechtfertigung der Vorschrift« und hält diese als Ausdruck von »Gefühlsstrafrecht« für verfassungswidrig.
Der Gesetzgeber sieht dies anders und hält den Anspruch des Bundes aufrecht, eine »wehrhafte Demokratie« zu sein. Deren Grundtenor lautet mit einem geflügelten Wort: »Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit.« Das Verbot von Haken-
kreuzfahnen, SS-Binden und Parolen wie »Heil Hitler« schütze den demokratischen Rechtsstaat als solchen und verhindere die Wiederbelebung verfassungsfeindlicher Organisationen. Die Erfahrungen mit der wertneutralen und zugleich wehrlosen Weimarer Republik waren zu schmerzhaft: Ein Joseph Goebbels soll heute nicht noch einmal die Möglichkeit bekommen, »sich im Waffenarsenal der Demokratie mit ihren eigenen Waffen zu versorgen«, wie dieser es im Jahre 1928 selbst nannte.
Ähnlich wie der Gesetzgeber argumentiert auch das Bundeserfassungsgericht: Die Meinungsfreiheit kann durch »verfassungsimmanente Schranken« begrenzt werden. Dazu gehört auch die freiheitlich-demokratische Grundordnung als »materialer Kern des Grundgesetzes«, so der ehemalige Bundesverfassungsrichter Konrad Hesse.
Ein EU-weites Verbot von Nazi-Symbolen steht nicht mehr auf dem Plan. Der EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, der vergangenes Jahr in Kraft trat und der ein Verbot der Holocaustleugnung für alle EU-Staaten vorsieht, hatte zwar ursprünglich auch ein Kennzeichenverbot enthalten. Dieses wurde jedoch aufgrund von Protesten aus England und einigen skandinavischen Ländern wieder gestrichen.

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025