Heinrich Hertz

Juden wider Willen

von Stefan Wolff

In Deutschland wächst das Interesse an einer Person, wenn es sich um einen Juden handelt. Das betrifft auch historische Persönlichkeiten. So wird mancher in einen jüdischen Kontext gestellt, in den er im engeren Sinne gar nicht hineingehört. Ein prominentes Beispiel ist der Physiker Heinrich Hertz, dessen Geburtstag sich 2007 zum 150. Mal jährte. Seinen Namen kennt jeder Rundfunknutzer, da die Sendefrequenzen in der Einheit Hertz angegeben werden. Hertz gelang es 1887, die Existenz elektromagnetischer Wellen nachzuweisen – Grundlage der Rundfunktechnik. Hertz konnte sich an deren Entwicklung allerdings nicht mehr beteiligen, da er 1894 mit nur 36 Jahren starb.
Zahlreiche Veranstaltungen erinnerten aus Anlass des runden Geburtstages an Hertz. Auf der Internetseite des ZDF fand sich dazu die Bemerkung: »Da Heinrich Hertz Jude war, wurde sein Name in der Nazizeit getilgt.« Der zweite Teil des Satzes ist nicht falsch, der erste aber zumindest unpräzise. Hertz hatte jüdische Vorfahren, verstand sich aber selbst nicht als Jude.
Die Familie Hertz steht für einen bedeutenden Teil des deutschen Bildungsbürgertums, dessen jüdische wie nichtjüdische Wurzeln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengefunden hatten. Vom Judentum als Religion blieb häufig kaum eine Erinnerung übrig. Die Gesetze der Nazis klassifizierten Menschen dann in einem »rassischen« Sinn. Davon waren viele betroffen, die erst auf diese Weise als Juden oder »Teiljuden« reklamiert wurden.
Das Beispiel der Familie Hertz illustriert einige Aspekte dieser Geschichte. Heinrich Hertz wurde am 22. Februar 1857 als erstes Kind wohlhabender Eltern in Hamburg geboren. Sein Vater Heinrich Gustav betrieb eine der bedeutendsten Anwaltskanzleien und stieg als Senator und Leiter des Justizwesens in die Führungselite der Hansestadt auf. Im Alter von sieben Jahren war der Vater 1834 gemeinsam mit seinen Geschwistern und den Eltern Heinrich David Hertz und Betty Oppenheim, einer Tochter des berühmten Bankiers, zum Protestantismus übergetreten. Selbst einer so gut assimilierten Familie wurden die vollen Bürgerrechte vorenthalten, solange sie noch dem Judentum angehörte. Die Familie Hertz unterlag nach ihrer Taufe jedoch keiner Beschränkung mehr. Der älteste Sohn Heinrich Gustav heiratete wie seine Brüder eine Christin, und so verschwand das Judentum aus dem gesamten engeren Familienkreis. Selbst der unter deutschen Juden häufige Name Hertz behinderte den jungen Physiker Heinrich Hertz nicht. Neben seiner wissenschaftlichen Karriere, die ihm Lehrstühle an der TH Karlsruhe und der Universität Bonn bescherte, erhielt er 1881 den Status des preußischen Reserveoffiziers.
In der NS-Zeit jedoch wurden die nach Hertz benannten Institutionen und Straßen zumeist umbenannt. Selbst die 1933 international eingeführte Einheit »Hertz« stand zur Disposition. Einige Physiker schlugen 1939 ernsthaft vor, sie unter Beibehaltung der Abkürzung »Hz« in »Helmholtz« umzubenennen. Für Hertz’ Kinder und die seiner Geschwister hatte die NS-Politik konkrete berufliche Auswirkungen. Ein jüdischer Großelternteil reichte nach dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« aus, um aus dem öffentlichen Dienst und damit auch aus dem Wissenschaftsbetrieb entfernt zu werden.
Mathilde Hertz (1891-1975), die jüngste Tochter von Heinrich Hertz, arbeitete 1933 als Gestaltpsychologin am Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Biologie. Ihre Privatdozentur an der Berliner Universität verlor sie recht bald, aber um ihre Anstellung am KWI gab es eine Diskussion. So wies sie in einem Schreiben an das zuständige Ministerium darauf hin, dass alle ihre acht Urgroßelternteile evangelisch getauft gewesen seien und es sich mütterlicherseits um Pastorenfamilien gehandelt habe. Der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und die unbestrittene Autorität der deutschen Wissenschaft, Max Planck, setzte sich für sie ein. So erklärte er, Frau Hertz sei aufgrund ihrer Herkunft als »Arierin« zu klassifizieren, nicht ohne zu erwähnen, dass die Entlassung der Tochter des berühmten Physikers im Ausland einen ungünstigen Eindruck machen würde. Aber im Herbst 1933 wurde Mathilde Hertz nach einem Gutachten eines »Sachverständigen für Rasseforschung« dann doch als »Nichtarierin« eingestuft. Trotzdem erreichte Planck in ihrem Fall eine der ganz wenigen Ausnahmeregelungen, die ihr zunächst ein Verbleiben am KWI ermöglichte. Mathilde Hertz betrachtete diese Situation aber nur als Provisorium und emigrierte im Januar 1936 ins englische Cambridge.
Anders erging es ihrem Cousin Gustav Hertz (1887-1975), Physiknobelpreisträger von 1925. Bei ihm kam 1933 eine allgemeine Ausnahmeregelung zum Tragen, die ihn als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs im Amt beließ. Drohende Einschränkungen seiner Prüfungsberechtigung brachten ihn jedoch 1935 dazu, seinen Lehrstuhl an der TH Berlin zugunsten der Leitung eines Forschungslabors bei Siemens aufzugeben. Um aber weiterhin Studenten promovieren zu können, erhielt er von der Hochschule den Status eines nichtbeamteten Honorarprofessors. Als das Erziehungsministerium 1938 auch alle »Vierteljuden« von den Hoch- schulen entfernen wollte, trat es an die TH Berlin heran, um Hertz zu einer freiwilligen Niederlegung seiner Professur zu bewegen, denn mangels Beamtenstatus konnte es nicht direkt gegen ihn vorgehen. Hertz argumentierte, in allen wesentlichen Erbanlagen durch seine »arischen« Vorfahren bestimmt zu sein, weshalb eine formale Behandlung der Abstammungsfrage seiner Person nicht gerecht würde. Angesichts des Rückhalts durch die TH und des Eindrucks, dass Hertz großes Verständnis für die Belange der Nazis habe, wurde er schließlich als Ausnahmefall akzeptiert. Nach dem Krieg ging er mit Kollegen in die Sowjetunion und kehrte 1954 in die DDR zurück, wo er fortan eine prominente Rolle spielte.
Die drei hier vorgestellten Mitglieder der Familie Hertz gehörten weder im halachischen Sinne, noch nach ihrer kulturellen oder religiösen Selbstdefinition zum Judentum. Sie wurden aber zu sogenannten Nichtariern deklariert, im Fall von Heinrich Hertz sogar noch lange nach seinem Tod. Das zeigt, dass der Kreis der von den Nationalsozialisten rassisch Verfolgten weit über das eigentliche Judentum hinausreichte. Die Nazis vertrieben und vernichteten einen Teil der Deutschen, der sich vom Judentum nicht mehr abtrennen ließ.

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