Sünde

»Ich vergebe nach deinem Worte«

von Alfred Bodenheimer

Im 15. Kapitel des 1. Buches Samuel wird berichtet, wie Saul den göttlichen Auftrag, Amalek samt seinem Vieh zu vernichten, unvollständig ausführt. Er lässt unter dem Druck des Volkes den Amalekiter-König Agag und die erbeuteten Tiere am Leben. Daraufhin erscheint Gott dem Samuel und sagt: »Ich bereue, dass ich den Saul zum König eingesetzt, weil er sich abgewandt von mir und meine Worte nicht aufrecht gehalten hat. Und es brannte den Samuel und er schrie zum Ewigen die ganze Nacht.«
Am nächsten Tag geht Samuel zu Saul, um ihm mitzuteilen, dass er von Gott als König verworfen sei. Saul bekennt seine Sünde. Dennoch lehnt Samuel seine Bitte, mit ihm zu beten, ab. Als Saul ihn am Mantel packt und dieser reißt, spricht er die bekannten Worte: »Zerrissen hat der Ewige das Königtum Israels heute, herunter von dir; er hat es gegeben deinem Genossen, der besser ist denn du.« Am Ende des Kapitels heißt es dann: »Und Samuel sah den Saul nicht wieder bis zum Tage seines Tod, denn Samuel trauerte um Saul, aber der Ewige bereute, dass er den Saul eingesetzt zum König über Israel.«
Zwei Fragen stellen sich hier: Erstens, wie es überhaupt möglich ist, dass Gott eine seiner Handlungen bereut oder bedauert. Zweitens, wieso Samuel, nachdem ihm Gott nachts sein Bereuen kundgetan hat, dem Saul dennoch ausdrücklich sagt, dass Gott eben nicht wie ein Mensch sei, der frühere Handlungen bereut.
Rabbiner David Kimchi (Radak) erklärt dazu, Gott handle nicht aus Impulsen oder veränderten Interessen heraus. Und er lö-
se nicht früher gegebene Versprechen wieder auf, wie ein Mensch. Sondern er ziehe die Konsequenzen aus dem menschlichen Handeln.
Saul und auch seine Nachkommen hätten das Königtum behalten können, wenn sie nach dem Willen Gottes gehandelt hätten. Da Saul dies nicht tat, wurde ihm das Königtum genommen. Dem Haus Davids wird das Königtum auf alle Zeiten versprochen.
Auch im Wochenabschnitt Schelach Le-
cha scheint Gott auf eine zuvor getroffene Entscheidung zurückzukommen. Zwölf Stammesführer werden ausgesandt, um das Land Kanaan zu erkunden. Von ihrer Mission zurückgekehrt, bezeichneten Kaleb und Josua als Einzige die Eroberung von Kanaan als realistisch. Nachdem das Volk jedoch der defätistischen Mehrheit folgt, erklärt Gott Moses, er habe von diesem Volk genug. Er wolle es mit der Pest schlagen und ausrotten und aus Mo-
ses ein neues, mächtiges Volk machen (4. Buch Moses 14,11-12). Moses legt sich für das Volk ins Zeug, mit einer Rede, die scheinbar zwei Teile hat. In den Versen 13 bis 16 versucht er Gott zu überzeugen, dass die Völker es als Unfähigkeit Gottes deuten würden, das Volk ins Land zu bringen, wenn es trotz Gottes dauernder Präsenz in der Wüste sterben müsste. In den Versen 17 bis 19 fleht Moses Gott an und bittet ihn, dem Volk noch einmal zu verzeihen. »Und Gott sprach: Ich vergebe nach deinem Worte. Fürwahr aber, so wahr ich lebe und der Herrlichkeit des Ewigen voll ist die ganze Erde.« (4. Buch Moses 14, 20-21). Daraufhin kündet Gott aber auch an, dass von der jetzigen erwachsenen Generation nur Kaleb und Josua das Land betreten werden.
Was hat sich hier zwischen Gott und Moses abgespielt? Hat Moses Gott dazu be-
wegt, seinen Entschluss, das Volk auszurotten, zurückzunehmen? Und wenn ja, hat er es mit dem Verweis auf Gottes Prestige oder dem Appell an Sein Mitleid geschafft?
Raschi schreibt, Gottes Ausspruch (»Ich vergebe nach deinem Worte«) beziehe sich auf Moses’ Warnung, die Völker könnten Gottes Macht herunterspielen. Doch um dies genau zu verstehen, müssen wir klären, was die Erwiderung (»Ich verzeihe, so wie du sagst«) eigentlich bedeutet.
Gott reagiert nämlich mit einer Aussage, die genau Moses’ Idee entspricht: Er vernichtet das Volk nicht, um keine Schändung des göttlichen Namens unter den an-
deren Völkern zuzulassen. Und er bestraft es, indem er es noch 40 Jahre durch die Wüste ziehen lässt.
Insofern liest sich nun Moses’ Antwort nicht mehr als aus zwei Teilen zusammengesetzt, sondern wie aus einem Guss: Die göttliche Langmut ermöglicht ein Weiterleben und vermeidet damit auch den Spott der Völker. Das »Ich vergebe nach deinem Worte« bedeutet deshalb, dass Gott den Gedanken Moses’ bekräftigt. Gott hat Moses nur das aussprechen lassen, was ihn ohnehin davon abhalten muss, dieses Volk nun einfach zu töten. Er konfrontiert Moses durch die Ankündigung der Ausrottung zunächst mit seiner Seite des streng angewandten Rechts (midat hadin) und lässt ihn selbst dadurch zum Sprecher seiner Seite des Erbarmens (midat harachamim) werden. »Ich vergebe nach deinem Worte« heißt deshalb: Du, mein Prophet, hast verstanden, weshalb ich dennoch verzeihe.

Schelach Lecha: 4. Buch Moses 13,1 – 15,41

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