interview

»Geschichte ist real geworden«

Frau Herfurth, hatten Sie, als Sie die Rolle der Gretel Bergmann annahmen, Erfahrungen als Hochspringerin?
Nein, ich hätte nicht gedacht, dass ich das je machen würde.

Aber eine gewisse sportliche Begabung war doch erforderlich für die Rolle?
Ich betreibe Sport seit meiner frühen Kindheit. Heute gehe ich so oft ins Tanzstudio, wie es mir meine Arbeit erlaubt. Auf den Film habe ich mich mit Klaus Beer vorbereitet, der 1968 für die DDR Olympiazweiter in Mexiko wurde, allerdings im Weitsprung. Er meinte, meine Kraft im Fuß sei aufs Tanzen zurückzuführen – und dass ich generell eine Körperkontrolle habe, die von Vorteil ist, um die für den Hochsprung typischen Bewegungsabläufe schnell zu kapieren.

Wie lange haben Sie trainiert, um für den Film fit zu sein?
Rund eineinhalb Monate. Es war sehr wichtig, diesen Sport zu erlernen, um Gretel Bergmann spielen zu können, denn der Hochsprung war ihr Leben, und er hat ihr so viel bedeutet und ihr Kraft gegeben in ihrem Widerstand gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Wenn ich das nicht selbst erlebt hätte am eigenen Körper, hätte ich das nicht begreifen können.

Sie mussten den Scherensprung lernen, einen längst überholten Hochsprungstil, den die wenigsten Kinozuschauer kennen werden.
Ich habe nicht nur den Scherensprung gelernt, sondern mir auch Gretel Bergmanns ganz individuelle Sprungtechnik angeeignet. Wir hatten historische Filmaufnahmen von ihren Sprüngen – davon wurde jeder einzelne Moment abfotografiert. Wir haben versucht, jede Phase eines Sprungs zu kopieren: Ich springe genauso weit von der Latte entfernt ab wie sie, drehe mich im selben Moment und so weiter. Ich wurde in keiner einzigen Szene gedoubelt.

Wie haben Sie sich darüber hinaus auf die Rolle vorbereitet?
Ich habe Gretel Bergmanns Autobiografie »Ich war die große jüdische Hoffnung« gelesen, aber ganz bewusst nur bis zu den Olympischen Spielen 1936 – also zu dem Zeitpunkt, wo der Film endet. Es war mir wichtig, als Filmfigur nur den Wissensstand zu haben, den sie als reale Person hatte.

Haben Sie Frau Bergmann auch persönlich kennengelernt?
Ja, aber erst nach den Dreharbeiten. Ich hatte dank ihrer Autobiografie ja ganz viel von ihr in meiner Hand. Ich habe so viel von ihr angenommen, dass ich während der Arbeit an dem Film fast das Gefühl hatte, dass sie immer neben mir sitzt.

Kannte Bergmann den Film da schon?
Ja, es gab eine private Premiere für sie, ihre Familie und ihre Freunde in einem New Yorker Kino. Sie hat mir gesagt, dass ich zwar nicht so aussehe wie sie, aber die Wahrheit über sie erzählt habe. Das war mir natürlich wichtig.

Auf Bildern und in Filminterviews der letzten Jahre wirkt die mittlerweile 95-Jährige relativ jung. Welchen Eindruck hatten Sie?
Es ist unglaublich, was für lange Beine sie immer noch hat, man merkt ihr immer noch an, dass sie Springerin war. Und man sieht, dass sie immer ein Körperbewusstsein hatte, sie hat eine sehr selbstbewusste Haltung, geht kerzengerade und in einem enormen Tempo. Sie und ihr Mann Bruno, der mittlerweile 99 Jahre alt ist, haben einen tollen Humor, auch im Umgang miteinander.

Gretel Bergmann hat einmal gesagt, sie habe nach ihrer Auswanderung versucht, alles zu vergessen, was an Deutschland erinnert, auch die Sprache. Wie war das bei Ihnen? Haben Sie mit ihr Englisch gesprochen?
Ja, sie weigert sich nach wie vor, Deutsch zu sprechen. Sie flicht nur ab und zu deutsche Worte ein, etwa »Wurst«.

Was hat sie Ihnen über die Repressionen berichtet, die sie während der NS-Zeit erlebt hat?
Es ist ja nicht so, dass ich ein Interview mit ihr geführt habe. In gewisser Hinsicht war ich auch schüchtern ihr gegenüber, denn ich bin ja während der Arbeit an meiner Rolle so tief in sie eingedrungen, bin gedanklich in Bereiche gegangen, in denen ich gar nichts zu suchen habe, weil es zu privat ist. Da fühlt man sich wie ein Voyeur.

Ist das nicht ein normales Gefühl, wenn man als Schauspielerin eine reale Person verkörpert?
Für mich war es neu, weil ich zum ersten Mal eine reale Person gespielt habe, die noch lebt. Andererseits musste ich aber auch Voyeurin sein, um sie durch die Art, wie ich sie spiele, als Menschen beschreiben zu können. Jedenfalls hatte ich immer ein bisschen ein schlechtes Gewissen in ihrer Gegenwart. Was sie mir gar nicht gegeben hat, im Gegenteil.

Was hat die Begegnung für Sie selbst bedeutet?
All das, was man über Geschichte gelernt hat seit der Schulzeit, ist real geworden. Es ist ein sehr bewegendes Erlebnis, wenn man jemanden, dem all diese Ungerechtigkeiten widerfahren sind, persönlich gegenüber- sitzt.

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025

Nahost

Alabali Radovan besucht Palästinensergebiete: Hilfe im Fokus

Die Entwicklungsministerin will in Tel Aviv diese Woche Angehörige von Geiseln treffen und das Westjordanland besuchen

 25.08.2025

Würzburg

AfD-Mann Halemba wegen Volksverhetzung vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft wirft dem bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Halemba auch Geldwäsche und Nötigung vor

von Angelika Resenhoeft, Michael Donhauser  21.08.2025

Ehrung

Ravensburger-Stiftung ehrt Bildungsstätte Anne Frank mit Preis

Es werde eine herausragende Bildungsinitiative gewürdigt, teilte die Stiftung mit

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025