USA

Familienbetrieb

von Ben Harris

Als die Mitgliederzahl von Dorshei Tzedek, einer kleinen rekonstruktionistischen Gemeinde in Newton, Massachusetts, 1997 in die Höhe zu klettern begann, war das für einige Mitglieder kein Grund zur Freude, sondern zur Sorge. Durch den Zuwachs um mehr als hundert Familien hat sich die Größe der Gemeinde in wenigen Jahren beinahe verdreifacht. Einige sahen darin die Gefahr, daß die Synagoge ihren intimen Charakter verlieren würde.
»Lange Zeit war das ein ziemlich angstbesetztes Thema, was zum Teil daran lag, daß wir es nicht verstanden haben«, sagt Nancy Gertz, die frühere Präsidentin. »Einige Mitglieder befürchteten, daß sie das Gefühl der Vertrautheit und Verbundenheit mit dem Rabbiner und mit der Gruppe, verlieren würden, wenn wir uns immer weiter vergrößerten.«
Für diese Ängste hat Carl Sheingold, stellvertretender Vorsitzender der Jewish Reconstructionist Federation, Verständnis. »Die Ursprünge der Bewegung haben viel mit dem Wunsch zu tun, eine Form des religiösen Lebens im Judentum zu haben, die mit Rationalität und wissenschaftlichem Fortschritt in Einklang steht«, sagt Sheingold. »In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sind innerhalb des Rekonstruktionismus Ansätze entstanden, die sich wieder mehr dem widmen, was man die spirituelle Seite des Lebens nennt. Man wird dann wirklich reif, wenn man Wege findet, diese beiden Dinge zu versöhnen, und nicht mehr darüber streitet, ob es um das Herz oder den Geist geht, sondern Mittel findet, beides gleichzeitig anzusprechen.« Die Rekonstruktionisten legen Wert auf die aktive Beteiligung aller Mitglieder am Gottesdienst. Ihre Gemeinden sind in der Regel kleiner als die der anderen Richtungen. Die Gemeinde Dorshei Tzedek hat inzwischen einen »Wachstumsausschuß« eingerichtet und einen Plan erarbeitet, den Wachstum zu kontrollieren. Das habe zu einem Abbau der Ängste geführt, sagt Gertz.
»Wir betrachten die Frage des Wachstums aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln«, sagt Carl Sheingold von der Jewish Reconstructionist Federation. Er ist der Auffassung, daß die Weiterentwicklung der Bewegung wichtig sei. Jedoch dürfe es nicht auf Kosten dessen gehen, was er eine Haupteigenschaft des Rekonstruktionismus nennt: die Bereitschaft zu experimentieren. »Wir wollen zwar, daß die Bewegung wächst«, sagt Sheingold, »doch es reicht nicht, sich einfach auf die Zahlen zu stürzen.« Untersuchungen zeigen, daß etwa zwei Prozent der amerikanischen Juden sich als Rekonstruktionisten bezeichnen. Eigenen Angaben zufolge wächst diese Strömung jährlich um bis zu zehn Prozent. Zurzeit gehören der Vereinigung 109 Gemeinden an, von denen immer mehr dabei sind, sich räumlich zu vergrößern, Vollzeit-Rabbiner einzustellen und zu fest etablierten Synagogen zu werden, die ihren Mitgliedern das gesamte Spektrum der Betreu- ung bieten.
Bei Bet Am Shalom, einer Gemeinde in White Plains, New York, zogen Mitglieder eine Begrenzung der Neuzugänge in Betracht, als die Gemeinde so rasch wuchs, daß eine Lenkung immer schwieriger schien. Letztendlich aber beschlossen sie, stattdessen die Zahl der Bar Mizwot auf 36 pro Jahr einzuschränken, um die Expansion unter Kontrolle zu halten, ohne irgendjemanden direkt ablehnen zu müssen.
»Wir befürchteten, wenn wir erst eine Bar Mizwa pro Woche ausrichteten, werden es bald auch zwei Bar Mizwot pro Woche sein. Schließlich würden wir nichts anderes mehr tun, als Bar Mizwa zu feiern. Für die Gemeinde gäbe es dann keine erkennbare zentrale Gebetserfahrung mehr«, sagt Rabbiner Lester Bronstein. Doch auch so ist Bronsteins Gemeinde erheblich gewachsen: von 185 Familien1989 auf heute 420. Zum Vergleich: Der größten rekonstruktionistischen Synagoge der Welt, die Congregation Kehillat Israel in Pacific Palisades, Kalifornien, gehören etwa 1.000 Haushalte an.

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025