Ursula Mamlok

Ende eines Wüstenritts

von Jonathan Scheiner

Der Blick aus dem sechsten Stock des Apartmenthauses schweift weit über die Dächer Charlottenburgs. In dem gutbürgerlichen Berliner Stadtteil wurde Ursula Mamlok vor 85 Jahren, am 2. Februar 1923, geboren. Nur einen Steinwurf entfernt von ihrer heutigen Wohnung ging sie als Kind zur Schule. An der Wand hängt ein buntes Aquarell, das noch mit ihrem Geburtsnamen Ursula Lewy unterzeichnet ist. Darauf ihre ehemalige Schulklasse beim Turnunterricht. »Als ich das Bild stolz meiner Lehrerin gezeigt habe, meinte sie nur, das sei ›entartete Kunst‹.«
Aber es gab auch andere Lehrer an der Fürstin-Bismarck-Schule, der heutigen Sophie-Charlotte-Oberschule. Etwa ihr Musiklehrer. Der ließ 1934, am »Tag der Deutschen Hausmusik«, die damals Elfjährige ihre erste Komposition in der Schule uraufführen, das Lied »Wüstenritt« Und das, obwohl Ursula als »Nichtarierin« gar nicht hätte teilnehmen dürfen. »Sagen Sie mal, haben sie vielleicht orientalische Vorfahren?«, hatte der Lehrer Ursulas Mutter gefragt – durch die Blume sollte das heißen: »Sind sie jüdisch?«
»Wüstenritt«, komponiert in Moll, nahm das Schicksal der Mamloks voraus. Fünf Jahre später, 1939, flüchtete die Familie fast in letzter Sekunde nach Ecuador: »Es war heiß, voller Mosquitos und furchtbar unkultiviert«, erinnert sich Ursula Mamlok. Immerhin konnte sie dort weiter Klavier spielen, auf dem Steinway-Flügel eines Vetters, auch wenn wegen des schwülen Klimas nur jede dritte Taste funktionierte.
Als 17-Jährige ging Mamlok zum Studium an das Mannes College of Music in Manhattan, wo sie Schülerin von George Szell wurde. Hier erlernte sie das Handwerk der Komposition. Anfangs schrieb sie noch neoklassische Werke, erst später kam sie in Berührung mit den berühmten Neutönern ihrer Zeit. Bela Bartok, Igor Strawinsky und Paul Hindemith wurden ihre Vorbilder. Durch ihre Lehrer Ralph Shapey und Stefan Wolpe, einen anderen Berliner Exilanten, fing sie an, sich mit der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg und Alban Berg auseinanderzusetzen. Die Zwölftonmusik wurde die Sprache, in der die rund 75 Titel ihres meist kammermusikalischen Werkes verfasst sind. Eine dogmatische Zwölftönerin aber war Mamlok nie: »Ich habe mich nicht darauf versteift, nur einen einzigen Komponisten zum Vorbild zu haben.« Und so hat sie über die Jahre immer wieder auch tonale Werke geschrieben. »Die Musikszene ist wechselhaft wie die Mode. Alle paar Jahre ändert sich der Geschmack.« Deshalb schätzt sie unter den zeitgenössischen Komponisten gerade György Ligeti und Elliott Carter, also Komponisten, die erhaben sind über modische »Ismen«.
Seit 2006 lebt Ursula Mamlok wieder in Berlin. »Lange Zeit hätte ich nicht im Traum daran gedacht, jemals zurückzukehren«, sagt sie. Auch mit Rücksicht auf ihren Mann Dwight Dieter Mamlok, der traumatisiert war, seit sein Vater auf offener Straße von der Gestapo verhaftet worden war. Erst nach Dwights Tod siedelte sie wieder in ihre Geburtsstadt über. Die Wohnung in Manhattan hat sie allerdings behalten.
In Berlin hat Ursula Mamlok alte Freundinnen wiedergetroffen. Inge Deutschkron zum Beispiel. Mit der Schriftstellerin und Journalistin war sie in derselben Schulklasse . »Eines Tages habe ich sie einfach angerufen. Aber sie konnte sich nicht an mich entsinnen, denn ich war damals keine gute Schülerin, während Inge immer die Erste war, die Lehrer konnten kaum mitkommen, so gescheit war die.« Beim 150-jährigen Jubiläum ihrer Schule standen die beiden alten Damen gemeinsam auf der Bühne und erzählten von früher. Das werden sie am Samstag dieser Woche wieder tun, umrankt von Ursula Mamloks Kompositionen.

»Aus Berlin über Ecuador ins Exil nach New York«. Ursula Mamlok im Gespräch mit Inge Deutschkron. Musik: Isabelle Herold (Flöte), Wolfgang Bender (Violine). Samstag, 26. Januar, 19 Uhr Blindenwerkstatt Otto Weidt, Rosenthalerstraße 39, 10178 Berlin

Interview

»Sehr präzise und äußerst wirksame Schläge«

Arye Sharuz Shalicar über Israels Angriff auf den Iran, die Situation der iranischen Bevölkerung und die Zukunft des Mullah-Regimes

 15.06.2025

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025