Parteien

Die Staatsfeinde

Ronen Steinke Foto: Peter von Felbert

Parteien

Die Staatsfeinde

AfD und andere Rechtsextreme wollen die Demokratie in Deutschland abschaffen. Ein Verbot ist überfällig

von Ronen Steinke  01.02.2024 17:10 Uhr

Vieles muss man im demokratischen Rechtsstaat aushalten. Meinungen, auch abstruse. Argumente, auch dumme. Emotionen, auch niederträchtige. Demokratie heißt Streit, Demokratie ist eine Zumutung. Für alle. Gut so. Wunderbar so.

Aber was man nicht aushalten muss, das ist, wenn Leute sich aufmachen, dieses für alle Beteiligten so anstrengende Gespräch einfach aufzukündigen – und stattdessen Fäuste sprechen zu lassen. »Faschismus ist keine Ideologie, sondern bloß eine politische Herrschaftstechnik«, und zwar mit Knüppeln und Stacheldraht für die politischen Gegner statt mit Argumenten.

So hat das einmal ein jüdischer Jurist geschrieben, der vom Faschismus mehr wusste als viele jener Menschen, die in diesen Tagen sagen, man solle angesichts der Wahlerfolge der AfD entspannt bleiben.

Wach auf, Europa!

Dieser kluge Jurist arbeitete während der Weimarer Republik in München als Rechtsanwalt. Er lehrte zugleich Verfassungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität und engagierte sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei DDP. Von den Nazis wurde Karl Löwenstein (1891–1973) ins US-Exil getrieben, wo er unter anderem in Yale lehrte. Er schrieb dort sehr klar: Wach auf, Europa! Die europäischen Demokratien seien viel zu lang tolerant gegenüber den Intoleranten gewesen, den Nazis. Er fand: Das sei ihr historischer Fehler.

Es war 1937, die großen antisemitischen Pogrome hatten noch gar nicht begonnen, aber Juden im Deutschen Reich waren schon weitgehend entrechtet, da kritisierte Löwenstein in einem fulminanten Essay in der »American Political Science Review« seine deutschen Landsleute dafür, dass sie so leichtsinnig gewesen seien, die Hitler-Partei überhaupt je an Wahlen teilnehmen zu lassen.

Wie kann sich eine Demokratie gegen ihre Feinde behaupten, ohne selbst verschlossen und undemokratisch zu werden, fragte er. »Sie muss wehrhaft werden«, lautete seine Schlussfolgerung. Wobei er im englischen Original einen noch schwungvolleren Ausdruck prägte: »militant democracy«. Übersetzt etwa: kampfbereite Demokratie. Nach der Befreiung von der Hitler-Herrschaft ist dieses Konzept dann im Gepäck der US-Armee zurück nach Bayern gekommen. Mit Löwenstein als ihrem Berater. So ist dieses Konzept 1949 auch ins Grundgesetz eingeflossen.

Klartext: Die AfD beabsichtigt eine ethnische Säuberung.

Wenn jetzt über ein AfD-Verbot diskutiert wird, dann auch über eine Idee Löwensteins: Nach Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes sind Parteien, »die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden«, verfassungswidrig und sollen deshalb – anders als einst die NSDAP – keine Chance bekommen, bei demokratischen Wahlen mit anzutreten.

Wahrscheinlich würde Löwenstein, der geistige Vater der »wehrhaften Demokratie«, aber staunen, wenn er erführe, wie gelassen und abwartend sich die politischen Institutionen verhalten, während AfD-Leute bereits eine konkrete Machtperspektive in östlichen Bundesländern aufbauen. »Remigration«: So lautet ein beschönigendes Schlagwort, das in diesen Tagen groß in die Nachrichten gekommen ist.

Plan für eine Rückabwicklung von Migrationsbewegungen

AfD-Politiker haben gemeinsam mit bekannten Rechtsextremen in einem Hotel in Potsdam zusammengesessen und über einen Plan für eine Rückabwicklung von Migrationsbewegungen fantasiert. Es geht ihnen, wohlgemerkt, nicht bloß um eine Abschiebung von Ausländern. Um eine Asylpolitik also, über die man in einer Demokratie selbstverständlich streiten kann.

AfD-Leute sprechen hier offen – und nicht zum ersten Mal – darüber, dass Deutsche, die ihren ethnischen Reinheitsvorstellungen nicht entsprechen, ausgebürgert und aus diesem Land hinausgeworfen werden. Es geht um eine ethnische Säuberung.

Wenn heute manchmal über die AfD ein wenig verharmlosend gesagt wird, das sei doch bloß eine Partei von Retro-Konservativen, dann ist das nicht richtig. Sondern es verkennt einen wichtigen Punkt. Was der AfD an jenen Nachkriegsjahren besonders gefällt, das ist die Friedhofsruhe, die damals in der Gesellschaft herrschte. Die Bundesrepublik der 50er-Jahre war ethnisch so homogen, wie Deutschland vorher und nachher nie wieder war. Nicht nur die Menschen in jüdischen Gemeinden wissen aber noch allzu gut, wieso.

In der AfD, die gerade einmal zehn Jahre jung ist, schicken sich heute wieder Leute an, staatsbürgerliche Rechte für Menschen mit dem »falschen« Stammbaum infrage zu stellen. Sie schwadronieren über die Möglichkeit, im Staat eine neue Rassenlehre zu etablieren – mit Bürgern erster und zweiter Klasse.

»Propaganda gegen die Verletzlichsten«

Sie wollen ein Land schaffen, in dem weniger Menschen als bisher demokratisch mitreden dürfen. Hinzu kommt das, was Karl Löwenstein einst eine »Propaganda gegen die Verletzlichsten« nannte: Hetze, die eine Mehrheit der Bevölkerung gegen Minderheiten zusammenschweißen soll.

Das Grundgesetz überlässt die Entscheidung, wann eine solche politische Kraft verboten werden sollte – oder auch nur Teile von ihr –, klugerweise nicht den Parteipolitikern, sondern den unabhängigen Richtern am Verfassungsgericht. Es braucht aber Parteipolitiker, um diesen Prozess überhaupt in Gang zu setzen. Bundesregierung, Bundesrat oder Bundestag: Von ihnen muss das Startsignal kommen.

Der Autor ist rechtspolitischer Korrespondent bei der »Süddeutschen Zeitung«.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025

London

Nach antisemitischem Post: Lineker hört bei BBC auf

In den sozialen Medien teilt Gary Lineker einen Beitrag zum Israel-Gaza-Konflikt mit antisemitischer Konnotation. Nun zieht der frühere Fußballstar die Konsequenz

 19.05.2025