Der christlich-jüdische Dialog

Die Jesus-Frage

von Micha Brumlik

Dieses Treffen ist etwas Besonderes. Am heutigen 9. März kommen in Berlin auf Anregung des Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit deutsche Rabbiner und Rabbine- rinnen mit hochrangigen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche (EKD) zusammen. Mit dabei der Vorsitzende der vatikanischen Kommission für die Beziehung zum Judentum, Walter Kardinal Kasper, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, und der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber. Sie alle werden mit den jüdischen Geistlichen über Religion reden.
Auffallend ist dabei: Es wird anders als bisher zugehen. Zwar sind auch hierzulande Dialoge zwischen hohen kirchlichen Würdenträgern und jüdischen Repräsentanten an und für sich nichts Ungewöhnliches. Neu ist aber, daß es seitens der jüdischen Gemeinschaft nicht mehr wie ge- wohnt gewählte Verbandspolitiker (also Laien) sind, sondern Rabbiner (also Geistliche), die den Dialog offiziell aufnehmen. Das gab es zwar in Einzelfällen bereits in kirchlichen Akademien, in Kommissionen beider Kirchen sowie auf vielen öffentlichen Veranstaltungen. Daß sich aber Rabbiner und Rabbinerinnen aus 23 Landesverbänden bei aller Verschiedenheit ge- meinsam auf ein solches Treffen einlassen, hat es so noch nie gegeben. Neu ist auch, daß die Initiative zu dieser Art der Begegnung von den Kirchen ausging. Es waren ihre Vertreter, die ein Treffen nicht nur mit den politischen Vertretern des jüdischen Volkes wünschten, sondern mit Vertretern der jüdischen Glaubensgemeinschaft.
Worum kann es bei einem solchen Gespräch gehen? Der früher an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrende jüdische Neutestamentler David Flusser hat be- reits vor Jahren behauptet, daß Judentum und Christentum eine Religion seien. Diese für Juden wie Christen identitätsbedrohende Aussage ist keineswegs so absurd, wie sie zuerst klingen mag.
Ob und nach welchen Kriterien Glaubenssysteme zusammengehören, nach welchen Kriterien unterschiedliche Konfessionen zu einer Religion gehören und welche verschiedenen Religionen womöglich eine Religionsfamilie und damit vielleicht eine bestimmte Ökumene bilden, läßt sich nicht von außen bestimmen. Das hängt entscheidend von Bewußtsein und Erkenntnisstand der Gläubigen ab. Festhalten läßt sich, daß Judentum und Christentum in einem einzigartig intimen Verhältnis zueinander stehen. Einfach deshalb, weil es keine zwei anderen Religionen gibt, die sich gleichermaßen auf eine gemeinsame Offenbarungsschrift gründen: das Alte Testament, die Hebräische Bibel. Beide Religionen beruhen jedoch nicht nur auf den dort verkündeten Offenbarungen, sondern kennen noch weitere Offenbarungsschriften: das rabbinische Judentum die Mischna mitsamt ihrer Auslegung, das Christentum das Neue Testament, das Evangelium. Von dem hatte Leo Baeck bereits 1938 behauptet, daß es eine Urkunde jüdischen Glaubens sei.
Womöglich hat ja der Religionswissenschaftler und Publizist Schalom ben Chorin den Sachverhalt am genauesten getroffen, als er kurz und bündig feststellte: Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns. Einer fruchtbaren und konstruktiven Weiterentwicklung steht hierzulande freilich ein Problem entgegen, das derzeit die protestantischen Kirchen stärker zu betreffen scheint als die katholische Kirche, die seit der problematischen Erklärung »Dominus Jesus« hier einige Wandlungen vollzogen hat: die Frage der Judenmission.
Es ist noch nicht lange her, daß die theologische Kammer der EKD eine Denkschrift unter dem arroganten Titel »Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen« veröffentlicht hat. In diesem Text wird das Judentum en passant in eine Reihe mit dem Islam und einer New-Age-Religiosität gestellt. Und noch immer haben sich die zentralen Gremien der EKD seit dem Eklat des Stuttgarter Kirchentags 1999 (es ging damals um die klammheimliche Unterstützung von Judenmissionaren) nicht bereit gefunden, vielen ihrer Landeskirchen darin zu folgen, jede Form der Judenmission förmlich und feierlich abzulehnen – und zwar nicht aus Gründen zivilgesellschaftlicher Toleranz, sondern aus theologischer Einsicht.
Es war kein Geringerer als Franz Rosenzweig, der schon früh eine mögliche Formel für die Ökumene von Juden und Christen gefunden hat: »Es ist wahr«, so schrieb der auch christlich denkende Rosenzweig in einem Brief, »es kommt keiner zum Vater denn durch den Sohn – mit Ausnahme jener, die schon beim Vater sind, den Juden«.
Aber auch die jüdische Seite darf es sich beim Berufen auf diese Formel nicht zu leicht machen. Rosenzweig bekennt ausdrücklich, daß es neben dem Judentum allein der christliche Glaube ist, der als wahr gelten soll. Rosenzweigs Formel kann heute nicht mehr das letzte Wort sein. Vielleicht aber das erste, das einen längst überfälligen Dialog der jüdischen und christ- lichen Geistlichkeit einleiten kann.
(vgl. auch S. 2 und 19)

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