Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

Der Nazi, der Psychiater und die Kritiker

von Harald Loch

Der Klagenfurter Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis gilt als wichtige Standortbestimmung der deutschsprachigen Literatur. Handverlesene Kritiker sitzen jedes Jahr im Juni zu Gericht über Texte von meist jungen Schriftstellern. Einer der Autoren war dieses Jahr Kevin Vennemann. Vennemann ist 1977 in Westfalen geboren und hat Germanistik, Anglistik, Judaistik und Geschichte studiert. Er lebt in Berlin und Wien. Im vergangenen Jahr hat er bei Suhrkamp seinen Roman Nahe Jedenew veröffentlicht, der ein Pogrom in Polen 1939 beschreibt.
In Klagenfurt las Vennemann einen Auszug aus seinem noch nicht fertiggestellten neuen Roman Im Komponistenhäuschen. Darin erzählt er, fiktional bearbeitet und mit avantgardistischen Sprach- formen verfremdet, einen realen Fall nach: Der Tiroler Rechtsradikale Pflüger hat mit Gleichgesinnten vor zehn Jahren die öffentliche Präsentation der Wehrmachtsausstellung in Klagenfurt verhindert. Er wird wegen dieser und zahlreicher anderer Gewalttaten verurteilt, später auf Bewährung entlassen und einem seiner früheren Opfer, einem slowenischen Psychiater, zwangsweise zur Behandlung zugewiesen. Doch die sozialtherapeutische Maßnahme verfängt nicht: Der Rechtsradikale drängt den Psychiater verbal an die Wand.
Vennemann hat das Thema bewußt gewählt. Kritik, er betreibe Literatur mit erhobenem Zeigefinger, nimmt er als Kompliment: »Ich versuche, die Vergangenheit in die Gleichzeitigkeit mit der Gegenwart zu führen; denn natürlich ist realer Antisemitismus nach wie vor omnipräsent«, sagt er im Gespräch. Als Ausdrucksmittel dient dem Autor dabei eine hoch-avantgardistische Sprache. Sein Text ist zugegebenermaßen ein ästhetisches Wagnis.
Das Publikum hatte damit dennoch keine Schwierigkeiten. Anders die Jury. Iris Radisch, die Vorsitzende, bekannte: »Ich bin ratlos.« Karl Corino kritisierte die Mischung aus Fiktion uund Zitaten aus realen Akten, als sei literarische Montage etwas völlig neues für ihn. Corino beckmes- serte auch, in Osttirol wachse kein Wein (da irrt der Juror), weshalb der Text da nicht stimme, wo er ein traumhaftes Erinnern des Rechtsradikalen beschreibt. Burkhard Spinnen sprach von »Unvalenz«, Iris Radisch erhöhte auf »Polyvalenz«. Einige Juroren waren von dem hohen Ton irritiert, der dem Rechtsradikalen zugebilligt wird. Alle hatten Probleme mit der defensiven Haltung des Psychiaters. Einzig Ilma Rakusa, die den Autor nach Klagenfurt eingeladen hatte, beschwor das Flirrende des Texts, die Sprache der Avantgarde.
Keiner der Kritiker merkte offenbar, worum es in dem Text geht. Vennemannn will zeigen, daß eine zwangsweise durchgeführte Therapie gegen die Menschenwürde verstößt, auf die selbst ein Rechtsradikaler Anspruch hat. Niemand in der Jury erkannte diese faktische und literarische Ausnahmesituation.
Eine dramaturgisch gut angelegte Disposition macht die Jury »ratlos«, ja hilflos. Die avantgardistische Warnung vor etwas politisch Gegenwärtigem empfand sie als ein überholtes Thema in einer zukünftigen Sprache. Doch Thema und Sprache Vennemanns sind gegenwärtig, der starke Applaus des Publikums bewies, daß »gewöhnliche« Leser manchmal besser verste- hen als professionelle Kritiker.

Krieg

Jerusalem warnt Menschen im Iran vor möglichen neuen Angriffen

In bestimmten Gebieten des Irans stehen offensichtlich neue Angriffe bevor. Israels Militär ruft die iranische Bevölkerung zur Evakuierung auf

 15.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Juni bis zum 18. Juni

 11.06.2025

Tel Aviv/Gaza

Israel will Ankunft von Thunbergs Schiff in Gaza verhindern

Das Schiff des Bündnisses Freedom Flotilla Coalition ist unterwegs nach Gaza. Nach Angaben der Aktivisten nähern sie sich immer mehr dem Gebiet - Israel droht ihnen nun

 08.06.2025

Petition

Deutsche Prominente werfen Israel Völkermord vor

Die Unterzeichner verlangen eine Aussetzung von Rüstungsexporten

 05.06.2025

Bundestag

Wegen »Palestine«-Shirt: Linken-Abgeordnete des Plenarsaals verwiesen

Mit der politischen Botschaft auf ihrer Kleidung hatte Cansin Köktürk offenbar gegen die Regeln des Hauses verstoßen. Die Bundestagspräsidentin zog die Konsequenz

 04.06.2025

Medien

Presseschau zur Debatte um Deborah Feldmans »Weltbühne«-Artikel

In dem Blatt des umstrittenen Verlegers Holger Friedrich zieht die Autorin die Jüdischkeit des Chefredakteurs der Jüdischen Allgemeinen in Zweifel. In Zeitungskommentaren wird nun vernichtende Kritik an ihrem Text geübt

 26.05.2025

Israel

Geisel-Angehörige fordern Ende des »Albtraums«

Seit bald 600 Tagen hält die Hamas noch 58 lebende und tote israelische Geiseln im Gazastreifen fest. Israelis demonstrieren vehement für ihre Freilassung und fordern ein Ende des Krieges

 24.05.2025

Nachrichten

Strände, Soldat, Flüge

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  21.05.2025

Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalt: Verfassungsschutz sieht Demokratie bedroht

Im Osten ist die AfD besonders stark. Allerdings etablieren sich auch andere rechtsextremistische Bestrebungen

von Christopher Kissmann  19.05.2025