Friedrich Torberg

Billig gab er’s nie

von Michael Wuliger

Wenn von Friedrich Torberg (1908–1979) die Rede ist, fällt den meisten Lesern als Erstes die Tante Jolesch ein, jene wundervolle Anekdotensammlung, die das von den Nazis weggemordete deutsch-jüdische Prager Milieu und die Wiener Kaffeehausgesellschaft der Zwischenkriegszeit wiederauferstehen ließ. Aber Torberg, der an diesem 16. September 100 Jahre alt geworden wäre, war mehr als ein genialer Geschichtenerzähler. Er war ein ernsthafter Romancier, dessen von der Kritik hochgelobtes Erstlingswerk Der Schüler Gerber, das er mit gerade 22 Jahren veröffentlichte, ein Sensationserfolg war; es folgten 1932 ... und glaubten, es wäre die Liebe und 1935 der Sportroman Die Mannschaft. Im amerikanischen Exil entstanden die Novelle Mein ist die Rache und der Roman Hier bin ich, mein Vater, die sich mit jüdischem Leben und Leiden unter dem Nazismus befassen, ein Thema, das Torberg 1950 mit Die zweite Begegnung fortführte. Sein letzter Roman Süßkind von Trimberg 1972 leitete die Wiederentdeckung des jüdischen Minnesängers aus dem Mittelalter ein.
Torberg war aber auch ein Lyriker, dessen in den USA enstandene Poeme Kaddisch 1943, Sehnsucht nach Altaussee und Seder 1944 zu den, so das Metzler-Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur, »wichtigs-ten jüdischen Exilgedichten überhaupt« zählen. Und da ist der Theaterkritiker Torberg, der, 1951 in seine Geburtsstadt Wien zurückgekehrt, dort in den 50er- und 60er-Jahren über Sein oder Nichtsein jeder Neuinszenierung entschied. Gelernt hatte er sein Handwerk beim legendären Prager Tageblatt, wo Egon Erwin Kisch, Alfred Polgar und Joseph Roth seine Kollegen waren. Ebenso gefürchtet wie Torbergs Theaterkritiken waren die wüsten, oft persönlich gehaltenen Polemiken, die er in seiner CIA-finanzierten Zeitschrift FORVM gegen tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten und deren linksliberale Apologeten richtete. Nicht nur Brecht und Sartre, auch ihm missliebige Mitjuden wie Salcia Landmann oder Hilde Spiel machte Torberg gnadenlos nieder – der Henryk Broder seiner Ära. Bei all diesen Aktivitäten blieb ihm immer noch die Zeit, nebenher Ephraim Kishon ins Deutsche zu übersetzen.
Immer schwang das Jüdische dabei nicht nur mit, sondern gab den Ton an. Für Torberg war, anders als für viele andere jüdische Autoren seiner Generation, das Judentum nicht bloß ein Zufall der Geburt. Es prägte ihn und sein Werk. Zwar war er nicht religiös, stand, wie er sagte, »zum lieben Gott bestenfalls in einem Verhältnis wohlwollender Neutralität«. Aber das tat der Treue zu seinen Wurzeln keinen Abbruch: »Ich gehöre weder zu jenen Juden, die erst den Hitler gebraucht haben, um dahinterzukommen, dass sie es sind, noch auch zu jenen, die es sich von Hitler ‚nicht vorschreiben‘ ließen.«
Geprägt wurde diese Haltung weniger in Torbergs assimiliertem Elternhaus, sondern vor allem in der jüdischen Sportbewegung. Der junge Friedrich war aktives Mitglied des berühmten Wiener Sportklubs Hakoah, wo er zu den Stars der Wasserballmannschaft zählte. Ruppiges Spiel gehörte zu deren Markenzeichen: »Wir wollten die antisemitische Lüge von der körperlichen Minderwertigkeit und Feigheit der Juden entlarven. Dieser Beweis ist uns überzeugend gelungen«, erinnerte er sich noch 30 Jahre später stolz an Rempeleien und Bodychecks im Schwimmbecken.
Torbergs Verachtung galt den überassimilierten verschämten Juden, die am liebsten Gojim gewesen wären. In Hier bin ich, mein Vater erzählt er die Geschichte des Juden Otto Maier, der zum Nazispitzel wird, um seinen im KZ inhaftierten Vater zu befreien. Für Torberg ist Maiers würdeloses Verhalten auch ein Ergebnis dieser Mentalität: »Immer und seit je ist es mir doch nur darum gegangen, von den andern, die keine Juden waren, so behandelt zu werden, als ob auch ich keiner wäre; so behandelt zu werden, wie ein normaler Mensch«, lässt er Maier sagen. »Ich habe mein Judentum immer als Defekt akzeptiert, und die es mich fühlen ließen, immer als Ankläger. Ich habe nie zu vermuten gewagt, dass da vielleicht die Ankläger selbst an einem Defekt litten.«
Diesen »Defekt« diagnostizierte Torberg auch am liberalen Nachkriegsphilosemitismus, den er in seinem Essay Das philosemitische Missverständnis als Antisemitismus mit umgekehrtem Vorzeichen be- zeichnete, der »den Juden als Deutschen, als Menschen, sogar als Christen (akzeptiert) – als alles, nur nicht als Juden«. In diesem Sinn verriss Torberg auch 1961 Max Frischs in Zürich uraufgeführtes Stück Andorra. Torberg rieb sich vor allem an Frischs Versuch, den Antisemitismus universalistisch abstrahierend nur als eine spezifische Erscheinungsform des allgemeinmenschlichen Vorurteils zu begreifen: »Hier wurzelt das fundamentale Missverständnis des Stücks. Jude, Judesein, Judentum sind keine austauschbaren Objekte beliebiger Vorurteile, wie ja auch der Antisemitismus kein beliebiges Vorurteil ist. So billig geben’s weder die Juden noch die Antisemiten.« Billig gab es auch Friedrich Torberg sein Leben lang nicht.

Das Jüdische Museum Wien widmet Fried-rich Torberg ab dem 17. September die Ausstellung »Die Gefahren der Vielseitigkeit«.
www.jmw.at

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025