Irma Putziger

Besuch bei einer alten Dame

von Miryam Gümbel

Den wachen Augen von Irma Putziger entgeht nichts. Nur ein wenig lauter sprechen sollte man mit ihr, dann klappt die Unterhaltung mit der Hundertjährigen bestens. Sie hat eine Menge zu erzählen, nicht nur, weil sie immer gerne gereist ist. Dass sie viele Jahrzehnte in Palästina, Israel und den Vereinigten Staaten verbrachte, war der kleinen Irma Hausmann am 13. Juni 1907 an der Wiege in der Münchner Rückertstraße nicht gesungen worden. Daran schuld war »der Hitler, der mochte uns nicht«.
Was sie so scheinbar verharmlosend ins Gespräch wirft, ist ihr in dem vernichtenden Ausmaß voll bewusst. Sie denkt nur lieber an das Schöne, das sie im Lauf eines Jahrhunderts trotz allem erlebt hat. Vieles davon hat sie bereits als Kind mit der Kamera festgehalten.
Irma Putziger lässt sich von einer Betreuerin im Saul-Eisenberg-Seniorenheim ihre alten Fotoalben reichen. Sie braucht diese Hilfe, sie sitzt im Rollstuhl. Beim Blättern bestätigt sich schnell, dass Reisen zu den großen Freuden in ihrem Leben gehörte. Irma Putziger, geborene Hausmann, lebt heute wieder da, wo sie auch den größten Teil ihrer Kinder- und Jugendjahre verbrachte: im Münchner Stadtteil Schwabing.
Als sie sechs Jahre alt war, zog die Familie hierher in die Kaiserstraße, in eine große Wohnung mit sechs Zimmern. Die Hausmeistersfrau kam, um im Haushalt zu helfen. Die weltoffene Familie lebte integriert in der Münchner Bevölkerung. Auch von der Schule blieben Irma und ihr Bruder Kurt nur am jüdischen Neujahrsfest zu Hause. Nach den vier Grundschuljahren, zuletzt an der Simmernschule, besuchte sie eine private Handelsschule. Das hier gelernte Englisch sollte ihr später zugute kommen. Doch zu dieser Zeit dachte noch niemand ans Auswandern.
Da machte man lieber Reisen mit dem Opel des Vaters, in die Alpen zum Beispiel. Die Fahrt über das »Stilfser Joch« mit seiner Passstraße ist ihr noch lebhaft in Erinnerung. An den Starnberger See ging es mit dem Fahrrad, häufig mit Freundinnen, mit denen sie auch Tennis spielte. Als junges Mädchen begann Irma mit dem Klavierspielen, machte einen Nähkurs. Im Haushalt lernte sie von der Köchin der Familie, die 38 Jahre lang bei den Eltern und Großeltern tätig war.
Hier wird Irma Putziger wieder ernst. »Von der Martha hab’ ich viel gelernt«, sagt sie fast ein wenig traurig. Die Familie hat später, nachdem sie noch 1933 nach Wiesbaden übergesiedelt war, den Kontakt mit ihr abgebrochen, »damit sie keine Unannehmlichkeiten hat, wegen uns Juden«.
Die Familie Hausmann wusste, was der Machtwechsel 1933 bedeutete. Die assimilierte Familie hatte in München der Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße angehört, an die sich Irma Putziger noch heute gerne erinnert, auch wenn sie nicht allzu oft dort war. Vater Emil war Mitglied der Isar-Loge und gehörte dem »Bund jüdischer Frontsoldaten« an. Er arbeitete bei der Firma Erdal, die ihren Hauptsitz in Wiesbaden hatte. Das war auch der Grund für den Umzug dorthin noch kurz vor der Machtübernahme.
Ein Haus wie geplant kaufen, konnten sie nach diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr. Überall war Antisemitismus zu spüren. Irma und ihr Bruder Kurt wanderten nach Palästina aus. Vom Erbe eines Onkels konnten sie sich in Haifa ein Haus kaufen. 1938 kamen die Eltern nach. Der Manager des Erdal-Konzerns hatte Emil Hausmann gesagt, dass er ihn nicht mehr halten könne. 1942 starb Irmas Vater in Palästina. Von den Verwandten der Mutter, die in Süddeutschland lebten, kamen während der Schoa fast alle ums Leben.
1939 heiratete Irma Putziger in Haifa. Heimisch wurde sie in Palästina und später Israel nie; sie hatte auch die Sprache nicht richtig gelernt. Als ihr Bruder Kurt 1948 nach Amerika ging, folgte sie ihm. Nach einem Jahr Tätigkeit in einem Haushalt arbeitete sie viele Jahre lang in einer New Yorker Buchhandlung.
Jetzt konnte sie ihre alte Liebe, das Reisen, wieder aufleben lassen. Sie fuhr nach Hawaii, nach Alaska, in die Schweiz und nach Norwegen. Vieles davon hielt die begeisterte Fotografin mit ihrer Kamera fest.
Schon von Kindestagen an war Irma Putzigers Bindung zu ihrer Mutter Berta sehr intensiv. Umgekehrt wohl auch, denn die Mutter zog von Haifa zu ihrer Tochter in die USA. Nach 13 Jahren fiel es ihr jedoch immer schwerer, tagsüber, während die Tochter arbeitete, allein zu sein. 1965 schließlich siedelte sie in das jüdische Altenheim in der Kaulbachstraße in München um. Sohn und Tochter teilten sich die Kosten.
1987 tat es Irma Putziger nach 34 Jahren in New York und zweien in San Diego ihrer Mutter gleich. Auch sie kehrte zurück nach Schwabing, wo sie aufgewachsen ist.
In der alten Heimat feierte sie am vergangenen Mittwoch ihren 100. Geburtstag Unter den Gratulanten war auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch. Die Glückwünsche der Stadt und des Oberbürgermeisters überbrachte Stadtrat Marian Offman. Sie alle konnten auch die vielen Bilder aus den 18 Fotoalben der Jubilarin bewundern, die noch für ein paar Wochen in der Vitrine des Wintergartens im Saul-Eisenberg-Seniorenheim zu sehen sein werden.

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