zeugnisse

Arbeitskampf

Elena Malygina (Name von der Redaktion geändert) hatte einige Jahre als Ingenieurin in einer ukrainischen Traktorenfabrik gear-
beitet, bevor sie beschloss, nach Deutschland auszuwandern. Dort, so hatte die 45-Jährige gehört, würden Ingenieure gebraucht. Doch aus dem Traum, in ihrer neuen Heimat schnell wieder beruflich Fuß zu fassen, wurde nichts, denn ihr ukrainisches Ingenieursdiplom wurde in Deutschland nicht anerkannt. Hatte sie doch zu sowjetischer Zeit »Geschichte der Kommunistischen Partei« gelernt. Auch ihre Technologie- und Computerkenntnisse waren nicht auf dem neuesten Stand. Da die jüdische Einwandererin weder zu den Aussiedlern noch zu den EU-Bürgern gehört, hatte sie auch keinen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren. Ohne Abschluss kein Job.
Ende August eröffnete deshalb das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zusammen mit zwei Landesminis-
terien und der ARGE Saarbrücken eine Landes-Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen. Das Modellprojekt soll Einwanderer durch die zahlreichen zuständigen Behörden lotsen und diese miteinander vernetzen. Die Servicestelle kann aber selbst keine Abschlüsse bewerten oder anerkennen. »Wir wollen den Einwanderern ein Coaching und einen individuellen Plan für die berufliche Integration anbieten«, sagt BAMF-Referentin Katharina Koch. »Damit sie wissen, wie viele Jahre sie investieren müssen.«

Abschluss 2,8 Millionen Zuwanderer haben ihre Ausbildung im Ausland gemacht, rund 800.000 von ihnen sind Akademiker. Aber nur ein Bruchteil kann in Deutschland den erlernten Beruf wieder aufnehmen. Schon im Sommer hatten mehrere Ministerien sowie die Migrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) Gesetzesentwürfe zur Reform der Anerkennungspraxis vorgelegt. Die könnten, wenn überhaupt, aber erst in der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden. Das zentrale Reformvorhaben lautet, Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren für alle Einwanderer zu bekommen. Und das in einer angemessen kurzen Zeit. In Dänemark dauere es höchstens sechs Monate, sagte Böhmer bei der Vorstellung ihres Entwurfs. In Deutschland kann es sich über Jahre hinziehen.
Hier gibt es nämlich kein einheitliches System und keine zentrale Stelle für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Kaufleute und Techniker werden von Handwerks- beziehungsweise Industrie- und Handelskammern geprüft. Hochschulabsolventen müssen ihren Leistungsnachweis vor staatlichen Zulassungsstellen oder berufsständischen Organisationen erbringen. Und zwar nicht überall vor den gleichen: Im föderalen deutschen Bildungssys-
tem müssen Ingenieure mal den Ingenieurskammern, mal den Landräten, mal den Kultusministerien ihre Diplome vorlegen. Die Anerkennung gilt nur in dem Bundesland, in dem sie erteilt wurde. Wenn ein russischer Friseur von der Handwerkskammer in Bremen akzeptiert wurde, darf er noch lange nicht in München Haare schneiden. Informatiker, Geistes- oder Wirtschaftswissenschaftler üben dagegen oft nichtreglementierte Berufe aus, die formell gar nicht anerkannt werden können. Solche Fachkräfte können höchstens ihr Zeugnis übersetzen und beglaubigen lassen. Es ist Sache des potenziellen Arbeitgebers, damit etwas anzufangen.

Herausforderung Damit tun sich viele Mittelständler schwer, meint der stellvertretende Leiter für Berufliche Bildung bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Günter Lambertz. Bisher war der Bedarf an Arbeitskräften in diesem Bereich gering, inzwischen fehlen sie. Deshalb begutachten einige Kammern die fremden Papiere im Auftrag von Privatpersonen und Unternehmen. Das Interesse daran schwankt je nach regionalem Arbeitsmarkt und der internationalen Verflechtung der örtlichen Wirtschaft.
Zumindest Hochschulabsolventen sind demnächst näher an einer realistischen Einschätzung, auch wenn sie nicht im Saarland wohnen: Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) wird ab Herbst zum ersten Mal Gutachten für Privatpersonen erstellen. Jeder Akademiker darf seine Hochschulzeugnisse einreichen, sogar aus dem Ausland. Der Service kostet 100 Euro, trotzdem, so Barbara Buchal-Höver von der ZAB, gäbe es bereits eine Warteliste.
Die Bewertungen sind für die Behörden nicht verbindlich, aber eine Art Gütesiegel. Die Bescheinigung gibt Aufschluss darüber, ob die Hochschule anerkannt ist, wie die Qualifikation heißt und welche Berechtigungen damit verbunden sind. Wenn die Ausbildung zu eingleisig, zu kurz oder wenig anspruchsvoll ist, kann eine Anpassung empfohlen werden. »Wir schauen an, welche Studienleistungen in den entsprechenden deutschen Studiengang hineinpassen. Dann würden wir zum Beispiel eine Anrechnung im Umfang von drei oder vier Semestern, vielleicht mit Zwischenprüfung oder auf dem Niveau des Bachelors empfehlen«, so Buchal-Höver. Berufserfahrung zählt als praktischer Teil einer Ausbildung. Aber nur, wenn sie in der EU erworben wurde.
Für Elena Malygina bliebe natürlich auch die Möglichkeit, noch einmal an die Universität zu gehen. Denn immerhin wurde ihr die allgemeine Hochschulreife attestiert. Aber die zweifache Mutter kann sich das nicht leisten: Wenn jemand in der Familie studiert, dann sollten es lieber die Kinder sein, entschied sie, denn sie hätten mehr davon. Kurzzeitig war die gelernte Ingenieurin als Lageristin in einer Maschinenbaufabrik tätig, doch jetzt ist sie ar-beitslos und überlegt, eine Umschulung als Energieberaterin zu beginnen.

Nachfrage Aber nicht immer bedeutet eine volle Anerkennung auch, dass der Einwanderer einen entsprechenden Job findet, warnt Barbara Buchal-Höver. Ein Beispiel: Für Agraringenieure gab es in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion einen großen Markt. In Deutschland mit einem geringen Bedarf in der Landwirt- schaft, haben Agraringenieure weitaus schlechtere Chancen. Für sie würde es sich lohnen, auf ein verwandtes Fach umzusatteln: etwa Maschinenbau. Auch in diesem Fall würde die Hochschule bestimmte Studienleistungen anrechnen.

Den meisten Migranten geht es allerdings wie Elena Malygina: Sie können die benötigte Weiterbildung nicht aus eigener Tasche bezahlen. Das bestätigt auch Katharina Koch. Für ein Aufbaustudium gibt es keine Studienförderung wie das Bafög mehr. In einigen Bundesländern werden saftige Studiengebühren erhoben. Auch Bildungsgutscheine der Arbeitsagentur darf man für die Weiterbildung nicht verwenden. Wer nicht arbeitslos gemeldet ist, bekommt kein Arbeitslosengeld. Für die Arbeitslosen gilt wiederum: Vermittlung geht vor Weiterbildung! Sie müssen bereit sein, auch Stellen unter ihrer Qualifikation anzunehmen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma sei, so Koch, das Bafög zu öffnen, gerade für Ingenieure oder Informatiker.

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